Dieses Gebäude dürfte es nach der Berliner Bauordnung gar nicht geben. Tom Kaden und Tom Klingbeil haben mit ihrem siebengeschossigen Holzhaus einen Präzedenzfall geschaffen.
Dieses Gebäude dürfte es nach der Berliner Bauordnung gar nicht geben. Hinter der 24 Meter hohen Putzfassade verbirgt sich eine siebengeschossige Holzkonstruktion: ein Novum im innerstädtischen Bereich, ermöglicht durch zwei erstmalig gewährte Befreiungen von der Bauordnung „im Einzelfall“. In der Esmarchstraße, einer von Gründerzeitbauten geprägten Wohnstraße im nördlichen Prenzlauer Berg, haben Tom Kaden und Tom Klingbeil einen Präzedenzfall geschaffen.
Ein Holzhaus? Seit Anfang April sind die Gerüste abgebaut, und es ist kein Holz zu sehen – bis auf die Rahmung der beinahe quadratischen Fensteröffnungen, die sich im Schachbrettmuster mit weiß verputzten Wandflächen abwechseln. Ein solider, unaufgeregter Wohnungsbau, der viel stärker durch die Erschließungstypologie auffällt als durch die Materialität: Ein offenes Treppenhaus aus Stahlbeton ist an die nördliche Brandwand gestellt, über massive Brücken (und in drei Geschossen auch über Terrassen) erreichen die Bewohner ihre Wohnungstüren. Später soll das Betonregal begrünt werden, doch das hat es überhaupt nicht nötig. Es gibt der Situation Transparenz und den Wohnungen eine dritte Fassade, deren Öffnungen zwar keinen weiten, dafür aber einen besonderen Ausblick bieten.
Ein Holzhaus, so die Architekten, muss nicht zwangsläufig eine Holzfassade haben. Die Pfosten-Riegelkonstruktion aus süddeutscher Fichte mitsamt den vorgefertigten Dickholzwänden ist eingepackt in zwei 18 mm starke Gipsfaserplatten innen und eine 12,5 mm starke Gipsfaserplatte außen, gefolgt von einer Schicht Steinwolle und einem mineralischen Putz. Lediglich ein feiner Unterschied in der Putzkörnung gibt einen Hinweis auf die Holzkonstruktion.
Puristen mag diese Verkapselung widersinning erscheinen und die Frage aufwerfen, warum nicht gleich massiv gebaut wurde. Umgekehrt stellt aber auch niemand die Frage, warum man den Stahl im Beton nicht zu Gesicht bekommt. Ein Holzbau mit sichtbarer Konstruktion ist in Deutschland nur bis zu einer Höhe von drei Geschossen zugelassen, für die Innenstadt also nicht relevant. Mit der Novellierung der Musterbauordnung im Jahr 2002 (an die sich auch die Berliner Bauordnung im Februar 2006 angeglichen hat) öffnet sich das deutsche Baurecht dem städtischen Holzbau – jedoch nur für Gebäude der Gebäudeklasse 4, deren oberstes Geschoss bei höchstens 13 Metern über Straßenniveau (Oberkante Fußboden) liegt. Höhere Häuser müssen nach wie vor mit nicht-brennbaren Baustoffen errichtet werden.
Die beiden Befreiungen von der Berliner Bauordnung, die die Architekten in langwierigen Auseinandersetzungen erwirkt haben, betreffen §27 (1) und §31 (1): Weder die tragenden Bestandteile noch die Decken mussten feuerbeständig ausgeführt werden, sondern lediglich hochfeuerhemmend, so dass Holz erstmalig überhaupt als Baumaterial für ein siebengeschossiges Stadthaus infrage kam. Ausschlaggebend für die Gewährung der Befreiungen war das Brandschutzkonzept, das bereits in der Entwurfsphase vorlag. Vor allem das frei stehende Treppenhaus hat die Feuerwehr überzeugt: Auf einem Fluchtweg ohne geschlossene Räume kann sich kein Rauch entwickeln. Hinzu kommen Brandmelder auf allen Geschossen. Und zwei Betonkerne, die alle Leitungen aufnehmen und darüber hinaus statisch eine wichtige Rolle spielen. Ein flacher Betonunterzug verläuft von der südlichen Brandwand zu den Kernen bis zur „dritten Fassade“ und befreit so die Wohnungen von tragenden Wänden. Der Unterzug liegt bündig in der Holzverbunddecke, ein elegantes, präzise ausgeführtes Detail. Die Untersicht der Decken ist die einzige Stelle, an der konstruktiv wirksames Massivholz zum Vorschein kommt.
Ein Holzhaus? Mit einem Treppenhaus und zwei Kernen aus Stahlbeton, mit Verkapselung innen und außen, mit Knotenpunkten aus Stahlblechformteilen und stählernen Andreaskreuzen als Windverband in den Wandebenen?
Das Bauen mit Holz ist hier kein ästhetischer Imperativ, sondern der Versuch, einen Prototyp als Alternative zum Massivbau zu schaffen. Der „Holzbau in der Stadt“ wird zum Label für die Architektur. „Nur die Verwendung von Holz im Bauwesen kann unsere Wälder retten“, lautet der Slogan von Julius Natterer, Doyen des modernen Holzbaus und Professor in Lausanne, der für das Tragwerk in der Esmarchstraße verantwortlich ist. Nicht die mit Holz konnotierten Eigenschaften des Behaglichen und Natürlichen stehen im Vordergrund (obwohl diese durch die Holzdecken im Inneren durchaus zum Tragen kommen), sondern die selbstverständliche Verwendung eines Rohstoffes mit vorteilhafter Ökobilanz. Holz wächst nach und bindet Kohlendioxid; doch gilt es trotz kurzer Bauzeiten nach wie vor als zu teuer. Die Studien zu Kostenvergleichen zwischen Holz- und Massivbau variieren stark, je nach Auftraggeber. Soll jedoch KfW-40-Standard erreicht werden wie bei diesem Niedrigenergiehaus (also ein Verbrauch von 40 Kilowatt-Stunden pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr), verliert der Massivbau seinen Preisvorteil, da Holz mit geringeren Wandstärken auskommt und damit auch mit weniger dicker Wärmedämmung. Die Erstellungskosten von 2250 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche liegen durchaus im Normalbereich; die Heizkosten von nur 500 Euro im Jahr für eine 140-Quadratmeterwohnung sind langfristig von Vorteil.
Seit geraumer Zeit verfolgt nicht nur die Tagespresse den Baufortschritt, auch das ZDF dreht eine Langzeitdokumentation. Von einem „Weltrekord“ ist die Rede; auch wird der Bau gerne zum heroischen Fanal gegen das „Steinerne Berlin“ stilisiert. Die Bauherren – eine Baugruppe aus anfänglich drei Familien, „die die Welt jetzt unter dem Namen e3 kennt“ (Zitat von der Webseite) – haben das Label mit dem Slogan „Holz. Haus. Hauptstadt“ geschickt lanciert. Doch auch wenn sie ihren Eigentumswohnungsbau weniger professionell ausgeschlachtet hätten: Architekten und Baugruppe werden vom öffentlichen Interesse überrannt. Bei einer Begehung der Baustelle im November 2007 kamen über 1000 Besucher.
Dass ein gut durchdachtes, aber an sich wenig spektakuläres Gebäude wie dieses zum Großereignis wird, illustriert zum einen die mangelnde Experimentierfreude und das kurzfristige Gewinninteresse herkömmlicher Bauträger, zum anderen das Zögern der Architektenschaft, sich auf einen neuen Umgang mit Ressourcen einzulassen. In der Regel verlassen Absolventen noch immer die Hochschulen, ohne für „energetisch korrektes“ Bauen ausgebildet zu sein; die Frage der Nachhaltigkeit wird als Nebenwiderspruch gehandelt. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet eine Gruppe von „kritischen Stadtbürgern“ den Ehrgeiz für den Superlativ im städtischen Holzbau mitbrachte und sich auf die Suche nach einem erfahrenen Büro machte. Der Briefwechsel zwischen den Architekten und der Baugruppe aus dem Jahr 2006 ist aufschlussreich. Mehrere angefragte Büros hatten die Baugruppe ausdrücklich vor dem gewünschten Holzbau gewarnt: „... langes und kompliziertes Genehmigungsverfahren, hohe Brandschutzauflagen, die ggf. zu Sprinkleranlagen oder Verkapselung der Wandelemente mit Metallplatten führen können; hohe Gebäudeversicherung, höhere Baukosten; obwohl Holzbauweise, wird kein Holz sichtbar sein.“ Es war die gelassene und zugleich abenteuerlustige Antwort aus dem Büro Kaden Klingbeil, die zur Auftragserteilung führte.
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