Bauwelt

Europacity Berlin


Nachdem die aufgelassenen Bahnflächen nördlich vom Berliner Hauptbahnhof privatisiert waren, blieb der Stadtplanung, die Qualität dessen, was da entstehen würde, so gut es geht zu sichern. Durch einen robusten Masterplan etwa und durch Regelungen in den städtebaulichen Verträgen. In Berlin setzt man dabei nicht zuletzt auf die Wirkung von Architektur: Gäbe es eine Kennzahl, mit der man in einem Stadtviertel die Dichte von Bauten aus der Hand renommierter Büros beziffert – in der Europacity läge sie weit über dem Durchschnitt


Text: Friedrich, Jan, Berlin


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    1928 Das Gebiet nördlich vom Humboldthafen gehörte 150 Jahre lang der Bahn. Westlich vom Hafen: der 1957 abgerissene Lehrter Bahnhof
    Foto: Landesarchiv Berlin

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    1928 Das Gebiet nördlich vom Humboldthafen gehörte 150 Jahre lang der Bahn. Westlich vom Hafen: der 1957 abgerissene Lehrter Bahnhof

    Foto: Landesarchiv Berlin

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    1989 Nach dem Krieg fungierte das Areal als Containerbahnhof. Östlich vom Kanal: Mauer und Todesstreifen
    Foto: Landesarchiv Berlin

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    1989 Nach dem Krieg fungierte das Areal als Containerbahnhof. Östlich vom Kanal: Mauer und Todesstreifen

    Foto: Landesarchiv Berlin

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    2014 Neuer Hauptbahnhof an der Stelle des alten Lehrter Bahnhofs und erste Neubauten auf dem Areal
    Foto: Landesarchiv Berlin

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    2014 Neuer Hauptbahnhof an der Stelle des alten Lehrter Bahnhofs und erste Neubauten auf dem Areal

    Foto: Landesarchiv Berlin

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    ca. 2025 Simulation des Quartiers Europacity
    © CA Immo; Visualisierung: Bünck+Fehse; Luftbild: Dirk Laubner

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    ca. 2025 Simulation des Quartiers Europacity

    © CA Immo; Visualisierung: Bünck+Fehse; Luftbild: Dirk Laubner

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    Lageplan Europacity Berlin
    © Ca Immo/ASTOC

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    Lageplan Europacity Berlin

    © Ca Immo/ASTOC

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    Miller & Maranta, Basel: ­Büro- und Galeriegebäude für Ernst Basler + Partner

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    Miller & Maranta, Basel: ­Büro- und Galeriegebäude für Ernst Basler + Partner

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    ACME/AKT II, London: Fuß- und Radwegbrücke am Stadtplatz

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    ACME/AKT II, London: Fuß- und Radwegbrücke am Stadtplatz

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    Baumschlager Hutter, Dornbirn: Eigentumswohnungen im Stadtquartier Süd

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    Baumschlager Hutter, Dornbirn: Eigentumswohnungen im Stadtquartier Süd

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    Max Dudler, Berlin: Mietwohnungen im Stadtquartier Süd

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    Max Dudler, Berlin: Mietwohnungen im Stadtquartier Süd

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    Barkow Leibinger, Berlin: „Tour Total“ und „Monnet 4“
    Foto: Corinne Rose

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    Barkow Leibinger, Berlin: „Tour Total“ und „Monnet 4“

    Foto: Corinne Rose

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    nps tchoban voss, Berlin: Hotel
    Foto: Martin Tervoort

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    Foto: Martin Tervoort

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    Zoom/Zanderroth Architekten, Berlin: Mietwohnungen im Stadtquartier Süd

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    Zoom/Zanderroth Architekten, Berlin: Mietwohnungen im Stadtquartier Süd

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    léonwohlhage, Berlin: ­Eigentumswohnungen am „Kunstcampus“

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    léonwohlhage, Berlin: ­Eigentumswohnungen am „Kunstcampus“

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    Kleihues + Kleihues, Berlin: Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

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    Kleihues + Kleihues, Berlin: Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

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    LOVE, Graz: Unternehmenszentrale „50Hertz-Netzquartier“

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    LOVE, Graz: Unternehmenszentrale „50Hertz-Netzquartier“

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    KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt: KPMG Wirtschaftsprüfergesellschaft

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    KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt: KPMG Wirtschaftsprüfergesellschaft

Linker Hand eingezäunte Brachflächen, zwischen denen Arbeiter neue Straßen asphaltieren; eine offensichtlich beliebte Tankstelle; ein Stück entfernt ein einsames Bauschild mit der Ankündigung, dass hier in Kürze Mietwohnungen entstehen. Rechter Hand riesige, weitgehend leere Parkplätze mit ein paar Containern drauf; daneben alte Gewerbehöfe, Reste einer gründerzeitlichen Blockbebauung, zwischengenutzt von Architekturbüros und anderen aus der „Kreativwirtschaft“. Das Gelände – im Osten vom Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal, im Westen von Bahngleisen begrenzt – wird der Länge nach zerschnitten durch die Heidestraße, auf der sich die Autos aus dem Tiergartentunnel in die nördlichen Stadtteile schieben.
In der Ferne erahnt man mit dem Tour Total, der schon seit drei Jahren fertig ist (Bauwelt 28.2013), und dem im Bau befindlichen Firmensitz einer Netzagentur etwas von dem, was hier auf ehemaligem Bahngelände in den nächsten Jahren entstehen soll: ein neuer Stadtteil mit gut 2800 Wohnungen und 9000 Arbeitsplätzen, die „Europacity“. Doch wer sich zurzeit auf dem 40 Hektar großen Entwicklungsgebiet nördlich vom Hauptbahnhof umschaut, braucht Phantasie, um sich in diesem Niemandsland eine „dichte Packung“, das Thema dieser Stadtbauwelt, vorzustellen.
Überhaupt, dicht: Die GFZ-Angaben im Masterplan der Europacity reichen von 2,4 über 2,8 und 3,3 bis hin zu 3,8 und 5,5. Doch wie dicht ist das tatsächlich? Ein Blick auf die Karte im Berliner Umweltatlas, die Block-genau sämtliche Geschossflächenzahlen der Stadt als Farbflächen darstellt, bestätigt: Was in der Europacity entstehen soll, entspricht im Mittel ziemlich genau dem, was man an anderen Stellen in Berlin, etwa in Prenzlauer Berg, in Kreuzberg oder in Neukölln, als dichte Stadt empfindet.
Doch zu einer „dichten Packung“ gehört neben der schieren Baumasse die Erlebnisdichte, die Urbanität ja in Wahrheit ausmacht. Wie sieht es damit in der Europacity aus? Da dort alles noch im Werden ist, kann man nur versuchen zu beurteilen, ob Masterplan und Strukturplan des Teams um ASTOC aus Köln (die Sieger des städtebaulichen Realisierungswettbewerbs 2008) sowie die weiteren Rahmenbedingungen eine solche Erlebnisdichte zulassen.
Der Masterplan sieht einen Mix aus Wohnen, Arbeiten, Geschäften und Kultur vor, in verschiedenen Bereichen des Entwicklungsgebiets in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen. Im Osten des Areals, am Kanal, befinden sich die Baufelder mit dem höchsten Wohnanteil (70 bis 80 Prozent), nach Westen, zu den Bahngleisen hin, steigt der vorgesehene Anteil für Büro- und Gewerbenutzung. An den Gleisen steigt auch die mögliche Höhe der Bebauung, während sich das übrige Gebiet weitgehend „an den Berliner First- und Traufhöhen orientiert“. Kulturelle Nutzungen sollen sich am Museum Hamburger Bahnhof im Süden der Europacity konzentrieren, „Kunstcampus“ ist das Stichwort. Die Gefahr, dass diese Zonierung, die nicht zuletzt geltenden Lärmschutzrichtlinien geschuldet ist, den Eindruck von Mischung im neuen Stadtteil verhindert, erscheint gering, wenn man um die Dimensionen der Europacity weiß: Das Areal misst über einen Kilometer in der Länge, aber nur 300 Meter in der Breite, so dass theoretisch wenigstens in der kurzen Richtung eine weitere Nutzung nie allzu weit entfernt sein dürfte.
Ein anderer wichtiger Prüfstein für ein Stadtviertel, das den Namen Stadt verdient: die soziale Mischung. In dieser Hinsicht ist die Planung der Europacity immer wieder kritisiert worden. Die Kritiker haben dabei natürlich auch die abschreckenden Beispiele neuer Stadtteile in anderen deutschen Großstädten vor Augen, die unter ähnlichen Vorzeichen auf früherem Bahngelände errichtet wurden – etwa das Europaviertel in Frankfurt am Main, das ausschließlich aus Büros und Luxuswohnungen zu bestehen scheint. Man muss sich die Ausgangssituation vergegenwärtigen: Auch das Gelände der Berliner Europacity gehörte einmal der Bahn. Die Bahn ist zu hundert Prozent ein Staatsunternehmen, also ist Bahnbesitz eigentlich öffentlicher Besitz. Nun brachte der Bund aber die aufgelassenen Bahnliegenschaften, die ihm nach der Bahnreform 1996 noch gehörten, 2001 in die neu gegründete Vivico Real Estate GmbH ein – mit der Absicht, die Gesellschaft später zu privatisieren. Das geschah 2011, als die Vivico an die österreichische Immobilengesellschaft CA Immo verkauft wurde und die ehemaligen Bahngrundstücke endgültig auf dem freien Markt landeten.
Genau diese Jahre waren auch die Zeit, in der Sparen und Schuldenabbau das Zepter führten und es in Berlin keine Wohnungsbauförderung mehr gab. Zu Beginn der Europacity-Planung und auch noch, als der Berliner Senat Rahmenvertrag und städtebauliche Verträge mit der Vivico abschloss, war geförderter Wohnungsbau somit kein Thema. Inzwischen sieht das anders aus: Seit Sommer 2014 gilt für Bebauungsplanverfahren das überarbeitete „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“, das mindestens 25 Prozent geförderten Wohnungsbau bei Wohnungsbauprojekten vorschreibt. Für die Grundstücke der CA Immo in der Europacity kam das zu spät. Und der Senat konnte (oder wollte, wie Kritiker sagen) nicht nachbessern. Dass es dort nun trotzdem magere 42 geförderte Wohnungen geben soll, verdankt sich einem Handel mit der CA Immo: Ihr wurden 16.000 Quadratmeter Geschossfläche mehr genehmigt als ursprünglich vorgesehen. Gut ein Drittel des Geländes der Europacity (westlich der Heidestraße) verblieb übrigens zunächst im Besitz der Deutschen Bahn, die den städtebaulichen Vertrag mit dem Senat bislang nicht geschlossen hat. Für diesen Bereich, der inzwischen auch privatisiert ist (in der „Heidestraße Invest GmbH“), wird die 25-Prozent-Regelung der kooperativen Baulandentwicklung also gelten.
Die Befürchtung, die Europacity würde ein toter Stadtteil werden voller „kalter Betten“ in Kapitalanlagen-Eigentumswohnungen, schien sich zu bestätigen, als die Groth Gruppe hinter dem Museum Hamburger Bahnhof mit dem Bau von Eigentumswohnungen begann, die zurzeit für 6500 bis 7000 Euro pro Quadratmeter verkauft werden, an „Kunden aus der ganzen Welt“, so das Unternehmen. Auch die anderen Flächen, auf denen die CA Immo Wohnungsbau entwickelte, waren ursprünglich vor allem für Eigentumswohnungen vorgesehen. Doch nun hat das Unternehmen in den letzten Monaten all seine Wohnungsbauprojekte an verschiedene Gesellschaften weiterverkauft. Die neuen Eigentümer – zum großen Teil internationale Fonds, die auf langfristige Anlagen setzen, nicht auf einmalige Verkaufserlöse – planen, die Wohnungen fast ausnahmslos zu vermieten. Für die Erlebnisdichte in der Europacity ist das eine gute Nachricht. Bei Mietwohnungen ist die Chance, dass sie tatsächlich bewohnt werden, erheblich größer.
Erlebnisdichte in der Stadt: Die steht und fällt nicht zuletzt mit der Qualität der öffentlichen Räume und der Architektur. Diese zu sichern, gibt sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, gibt sich die Senatsbaudirektorin alle Mühe. Nach dem städtebaulichen Wettbewerb wurden freiraumplanerische Wettbewerbe für die gesamte Europacity und für einzelne Plätze durchgeführt, ebenso Wettbewerbe für die neuen Radweg- und Fußgängerbrücken. Der Rahmenvertrag mit den Investoren regelt, dass für fast alle Bauten entweder Realisierungswettbewerbe ausgelobt (Bauwelt 41.2011, 27–28.2012, 16.2013) oder die Entwürfe zumindest im Baukollegium, der Berliner Variante eines Gestaltungsbeirats, besprochen werden müssen. Ob es mit diesem hohen Anspruch an die Gestaltung eines ganzen Stadtviertels tatsächlich gelingt, aus der gemäß politischer Vorgaben investorengerecht entwickelten Europacity eine urbane dichte Packung zu machen – und nicht nur eine dichte Gestaltungspackung? In spätestens zehn Jahren schauen wir uns die Sache wieder an.



Fakten
Architekten ASTOC Architects & Planners, Köln; Urban Catalist, Studio – Klaus Overmeyer, Berlin; ARGUS Stadt- und Verkehrsplanung, Hamburg
Adresse Heidestrasse Berlin


aus Bauwelt 12.2016
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