Fischmarkt
Text: Hiçşaşmaz Heitele, Zeynep Ayşe, Berlin
Zeynep Ayşe Hiçşaşmaz Heitele entdeckt im alten Istanbul ein neues Dach über einem Fischmarkt, das die Umbrüche der orientalischen Nachkriegsstadt mit einer Architektur des „modernen Augenzwinkerns“ zusammenbringt – ein vorbildliches, weil so selbstverständlich einfaches Projekt.
Wer in Istanbul ganz alte Bezirke sucht, geht auf die historische Halbinsel, wer den Westen sucht, geht in die Stadtteile Taksim, Pera oder Galata. Und wer die Entwicklung nach der Gründung der Republik sucht, geht am besten nach Kadiköy, Levent oder Beşiktaş. Hier sind alte Planungen von neuen überformt und bestimmen ein ganz spezielles Stadtbild – das Istanbul der 1950er Jahre.
Dieses Stadtbild unterscheidet sich deutlich von dem, was im Deutschland der Nachkriegszeit entstanden ist: Hier gibt es keine Rekonstruktionen, keine Massenwohnungsbauten und auch keine Stadtlandschaften. Sondern Stahlbetonbauten, die orientalisch angehaucht wirken, auf die Typologie der Holzhäuser zurückgreifen und in vielen Fällen diese auch überformen. Sie erzeugen eine dichte Stadt mit engen Straßen.
In einer solchen Situation, unweit des alten Schiffsanlegers von Beşiktaş, findet sich ein Eingriff aus jüngster Zeit: der neue Fischmarkt vom Büro GAD – Gökhan Avcioğlu. Wie einen Pavillon haben ihn die Istanbuler Architekten auf einen dreieckigen Platz in die Stadtstruktur der 1950er Jahre eingefügt.
Auf den ersten Blick beeindruckt er allein durch seine ästhetische Form, auf den zweiten lassen sich weitere Besonderheiten erkennen. Indem sich der Bau als muschelförmiges Dach von drei Punkten aus aus dem Boden der Stadt entwickelt, bringt er das Thema Land und Wasser zum Ausdruck. Die kühlbaren Edelstahltheken mit ihren abgerundeten, gefliesten Sockeln wirken wie das Perlmutt des Daches. Die im Licht Hunderter Glühbirnen glänzenden Schuppen der Fische, das frische Obst und Gemüse und die leuchtenden Blumen stellen die Perlen dar.
Auf einer weiteren Ebene interpretiert der neue Fischmarkt die für Istanbul charakteristische Kultur der fliegenden Händler – das Vergängliche und Offene, das Veränderbare und Leichte, das sich den städtischen Raum aneignet, sich in diesem entfaltet und sich ihm dann wieder entzieht. Ähnlich einem Kiosk (aus dem türkischen köşk = Schlösschen), welcher im Verlauf eines Tages mit dem öffentlichen Raum auf vielfältige Art interagiert, stellt er einen Dialog mit dem Stadtviertel und seiner Öffentlichkeit her. Der Markt ist nach allen Seiten hin offen, die alltägliche Nutzung ermöglicht so ganz unterschiedliche Wahrnehmungen der angebotenen Waren unter dem Dach.
Mit diesem bescheidenen Eingriff gelingt es den Architekten, kulturelle Eigenheiten der Istanbuler – das Thema des Handels im öffentlichen Raum – zeitgenössisch zu interpretieren. Die Händler auf der Straße können ihre Waren ebenso appetitlich, hygienisch und modern beleuchten wie die Marktketten in den großen neuen Shopping-Malls, die um das alte Stadtzentrum herum entstehen. So öffnet sich der Blick auf einen wesentlichen Aspekt des Projektes: seine Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe und dessen Wettbewerbsfähigkeit in der globalen kommerziellen Entwicklung der Stadt.
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