Der neue Fondaco dei Tedeschi von OMA in Venedig
Das ehemalige Handelshaus der deutschen Kaufleute in Venedig wurde von Rem Koolhaas zu einem Kaufhaus umgebaut. Ein weiterer öffentlicher Stadtbaustein fällt dem Kommerz anheim – nutzen sollen ihn Touristen und Venezianer dennoch gemeinsam
Text: Kusch, Clemens, Venedig
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Mixed-use am Canal Grande: Auf die neue Dachterrasse haben während der Geschäftszeitend der
Mall Besucher und Einwohner freien Zugang
Foto: Alessandra Chemollo
Mixed-use am Canal Grande: Auf die neue Dachterrasse haben während der Geschäftszeitend der
Mall Besucher und Einwohner freien Zugang
Foto: Alessandra Chemollo
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Direkt neben der Rialtobrücke liegt die Fondaco dei Tedeschi im Stadtteil San Marco.
Abb.: OMA
Direkt neben der Rialtobrücke liegt die Fondaco dei Tedeschi im Stadtteil San Marco.
Abb.: OMA
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Das Gebäude kann im Erdgeschoss sowohl vom Land seitlich der Rialtobrücke, als auch durch die offenen Arkaden der einstigen Anladestelle vom Canale Grande betreten werden.
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
Das Gebäude kann im Erdgeschoss sowohl vom Land seitlich der Rialtobrücke, als auch durch die offenen Arkaden der einstigen Anladestelle vom Canale Grande betreten werden.
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
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Das Erdgeschoss der Mall wirkt durch den grauen Terrazzo auf den ersten Blick kühl.
Foto: Alessandra Chemollo
Das Erdgeschoss der Mall wirkt durch den grauen Terrazzo auf den ersten Blick kühl.
Foto: Alessandra Chemollo
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Eine knallrote Rolltreppe lockt den Besucher ins Obergeschoss.
Foto: Alessandra Chemollo
Eine knallrote Rolltreppe lockt den Besucher ins Obergeschoss.
Foto: Alessandra Chemollo
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Fertig eingerichtet kontrastieren die Verkäufsräume mit der Vielfalt an Materialien.
Foto: DFS Group
Fertig eingerichtet kontrastieren die Verkäufsräume mit der Vielfalt an Materialien.
Foto: DFS Group
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Die Rolltreppen sollten ursprünglich durch den Hof verlaufen. Sie wurden weniger prominent, seitlich versetzt realisiert. Große Durchbrüche ermöglichen nun Sichtbezüge zum Hof.
Foto: Alessandra Chemollo
Die Rolltreppen sollten ursprünglich durch den Hof verlaufen. Sie wurden weniger prominent, seitlich versetzt realisiert. Große Durchbrüche ermöglichen nun Sichtbezüge zum Hof.
Foto: Alessandra Chemollo
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Arkadengänge und Durchbrüche ...
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
Arkadengänge und Durchbrüche ...
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
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... verbinden den Hof mit den seitlichen Räumen
Foto: Alessandra Chemollo
... verbinden den Hof mit den seitlichen Räumen
Foto: Alessandra Chemollo
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Deutlicher Kontrast: Die gold-glänzende Stahltreppe steht neben unverputzten, demaskierten Wänden
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
Deutlicher Kontrast: Die gold-glänzende Stahltreppe steht neben unverputzten, demaskierten Wänden
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
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Im neuen Dachgeschoss über dem Hof wird derzeit eine Ausstellung mit Arbeiten des Installations-, Video- und Medienkünstlers Fabrizio Plessi gezeigt.
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
Im neuen Dachgeschoss über dem Hof wird derzeit eine Ausstellung mit Arbeiten des Installations-, Video- und Medienkünstlers Fabrizio Plessi gezeigt.
Foto: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
Venedig wird jährlich von 20 Millionen Touristen überschwemmt. Speziell unter den Besuchern sind die sogenannten „Elitetouristen“. Sie nutzen ihren Besuch der Lagunenstadt zum Einkaufen und leisten es sich für eine Übernachtung im Amman Ressort, oder einem anderen der zahlreichen Luxushotels, tausend Euro oder mehr zu bezahlen.
Diese stetig wachsende Besucher-Kategorie hat nun seit Oktober im frisch restaurierten Fondaco dei Tedeschi eine weitere Möglichkeit Geld auszugeben; für Waren, die sie auch in allen anderen Luxus-Malls und in Dutyfree-Shops der Welt finden.
Der Betreiber des neuen Waren-Tempels, das Unternehmen DFS (steht für Dutyfree-Shop), ist überzeugt davon, dass sich die Investition in eine Luxus Shopping Mall in einer Stadt mit nur knapp 56.000 Einwohnern in der Altstadt aber Millionen von zahlungsfähigen Touristen rentiert. 1960 in Hongkong gegründet, ist das Unternehmen mit über 420 Läden vorwiegend im nahen und fernen Osten der weltweit größte Betreiber von Dutyfree-Shops. In Europa war DFS bisher noch nicht präsent. Für das europäische Debüt sollte daher ein ganz besonderes Gebäude wiederbelebt werden.
Ob die Rechnung aufgeht, wird sich noch zeigen. Sicher ist, dass die Benetton-Gruppe mit der Vermietung des Gebäudes schon mal ein gutes Geschäft gemacht hat. Benetton kaufte 2008 das im Mittelalter gegründete Handelszentrum der „Tedeschi“ (der Deutschen) am Fuße der Rialtobrücke für 53 Millionen Euro von der Stadt und ließ es anschließend von Rem Koolhaas umplanen.
Um das Jahr 1225 wurde an dieser Stelle erstmalig ein Gebäude von den deutschen Kaufleuten als Handelszentrum genutzt. Durch diese damals einzigartige Institution hatte die venezianische Weltmacht die Möglichkeit, den Handel in der Stadt zu reglementieren und zu kontrollieren. Im Jahr 1318 und ein zweites Mal 1505 wurde der Bau durch Brände komplett zerstört. Nach dem zweiten Brand wurde das Gebäude in kurzer Zeit nach neuen Plänen wieder erbaut und galt als eines der wichtigsten und größten Bauten seiner Zeit in Venedig. Auf der Kanalseite war es mit Fresken von Giorgione und auf der Straßenseite mit Malereien von dem noch jungen Tizian geschmückt.
Die Fresken sind mit der Zeit verfallen, wie auch das Gebäude selber, das mit dem Niedergang der Handelsmacht Venedigs im späten 16. Jahrhundert keine entsprechende Nutzung mehr fand. Während der 30er Jahre wurde das heruntergekommene Gebäude mit dem Ziel rekonstruiert, ihm wieder den ehemaligen Glanz und mit der Nutzung als Hauptpost eine wichtige öffentliche Funktion zu geben. Der Umbau aus der Zeit kann aber kaum als eine Restaurierung oder eine philologische Rekonstruktion betrachtet werden, da die Raumaufteilung grundlegend geändert wurde. Es wurden großzügige Treppen eingebaut und der Innenhof mit einer Glas-Metallkonstruktion überdacht. Von den alten Gemäuern ist wenig geblieben, da anstelle der tragenden Mauern ein Stahlbetonskelett eingebaut wurde. Die einzigen Teile des ursprünglichen Renaissance-Baus sind nunmehr die Außen- und Hoffassaden.
Benetton in Venedig
In diesem Zustand hat Benetton das Gebäude von der Stadt übernommen mit dem Ziel ein Einkaufszentrum daraus zu machen. Das Modeunternehmen wollte das große Gebäude jedoch nicht selber betreiben, sondern sah in der Investition vielmehr die Chance für ein ertragsreiches Immobiliengeschäft.
Derartige Investitionen in Venedig sind für die Benetton-Gruppe, die ihren Hauptsitz im nahegelegenen Ponzano Veneto hat, nichts Neues. Schon vor einigen Jahren übernahm die Gruppe einen großen Gebäudekomplex direkt am Markusplatz, der das Hotel Monaco & Grand Canal, das ehemalige Kino San Marco und das traditionsreiche Teatro del Ridotto umfasste. Nach öffentlichen Protesten gegen die Privatisierung einigte man sich darauf, dass in dem ehemaligen Kino wenigstens eine Buchhandlung und ein öffentlicher Veranstaltungsort Platz finden sollten. Hierzu erklärte sich Benetton bereit, sofern diese Nutzung zeitlich begrenzt ist. 2011 war die Frist abgelaufen und pünktlich kündigte Benetton den Mietvertrag mit der Buchhandlung, um die Räume an die LVHM Moët Hennessy Louis Vuitton Gruppe (Inhaber von DFS) zu vermieten.Ähnliche Versprechen gab es auch, als Benetton nun ein weiteres Mal zuschlug und das Gebäude Fondaco dei Tedeschi erwarb. Auch bei diesem historischen Bau kam es gleich zu Protesten: erneut ging ein Gebäude mit einer öffentlichen Nutzung – die Hauptpost – in Privatbesitz über und trägt dazu bei, die Venezianer aus ihrer Stadt zu vertreiben. Die Stadtverwaltung erwiderte, dass sich die Post ein solches Gebäude nicht leisten könne, da sie in einer tiefen Finanzkrise stecke und versuchen wollte mit dem Verkauf von Immobilien die leeren Kassen zu fül-len. Außerdem wurde argumentiert, man könne durch den Verkauf das Gebäude wieder mit Leben füllen. Anfangs sicherte Benetton noch zu, dass in dem neuen Haus auch viele Nutzungen für die Venezianer Platz finden würden; Kleingewerbe wie beispielsweise einem Bäcker. Außerdem war man der Auffassung, dass ein Gebäude, das in der Vergangenheit eine Handelsstätte gewesen sei, wieder einer kommerziellen Nutzung zugeführt werden kann. Tatsächlich galt die Rialto-Gegend schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts als der „reichste Ort auf der Welt, wo nichts entsteht, wo man aber von Allem reichlich findet“.
Die Koolhaas-Pläne
Die Proteste wuchsen drastisch an, als anlässlich der Architekturbiennale 2012 die ersten Pläne des Büros OMA publik wurden, das damals für die Umbauplanung direkt beauftragt wurde (
Bauwelt 19.2012 und
38.2014). Der zentrale Hof sollte von knallroten Rolltreppen durchquert werden, das Dach am Canal Grande zu einer großen Dachterrasse umgestaltet und das Glasdach über dem Hof angehoben werden. Außerdem sollte das Gebäude, das in seiner ursprünglichen Form nur über zwei eher bescheidene Eingänge, einen vom Land und einen vom Wasser, erschlossen wurde, sich an mehreren Stelle zur Stadt hin öffnen. Ähnlich dem im Januar als Mixed-use-Gebäude fertiggestellten Rathaus Rotterdam (
Bauwelt 8.2016), wollte OMA den öffentlichen Zugang erweitern und das Erdgeschoss in eine große öffentliche Piazza verwandeln, auf der sich sowohl Besucher als auch Bürger tummeln. Die heftigen Proteste, die besonders von dem Verein Italia Nostra, aber auch aus der deutschen Gemeinschaft in Venedig ausgingen, zeigten Wirkung: Der venezianische Denkmalschutz, der sich erst zögernd gegen die Planung aussprach, gab OMAs Entwurf nicht frei und forderte das Büro auf, ihn grundsätzlich zu überarbeiten.
Nach den Änderungen, bei der alle kontroversen Elemente modifiziert oder gestrichen wurden, erteilte die Stadt für venezianische Verhältnisse erstaunlich schnell die notwendigen Genehmigungen und es konnte zügig mit den Arbeiten begonnen werden. Weil Benetton mit diesem Ergebinis zeigte, dass sie die Hürden der venezianischen Poteste bei solchen Vorhaben und der immer komplizierter werdenden Genehmigungsprozeduren überspringen kann, erkämpfte sich das Unternehmen ein größeres Verhandlungspotential bei möglichen Partnern für die Miete und den Betrieb. Parallel zu diesen Verhandlungen wurde die Planung von OMA umgesetzt. Die Rolltreppen verlegte man vom Hof in den Innenbereich, die Dachterrasse wurde verkleinert ohne die Dachform zu verändern und auf den ursprünglich vorgesehenen Ponton für ein Café am Canal Grande wurde ganz verzichtet. Neben der Versetzung der Rolltreppen wurde in eine der Wände zum Innenhof eine über mehrere Geschosse reichende, große abgerundete Öffnung geschnitten. Dadurch kann man die Rolltreppen, die ihre ursprünglich geplante grellrote Farbe und hölzernen Wangen behalten haben, auch vom Hof aus nicht übersehen. Bei dem großen Einschnitt wurden die Wände und das Betontragwerk, die bei dem Umbau im 20. Jahrhundert realisiert wurden, unverputzt bloßgelegt. Mit diesen Freilegungen und Perforationen wollte Rem Koolhaas wohl darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um eine historische Bausubstanz handelt, sondern um ein Gebäude, das schon vor weniger als hundert Jahren stark verändert wurde und von dem eigentlich nur die Außenfassaden und der Hof übrig geblieben sind. Von der ersten Planung beibehalten wurde die Öffnung des Gebäudes an mehreren Stellen des Erdgeschoss, besonders zu dem benachbarten Campo San Bartolomeo, und die erhöhte Überdachung des Hofes, um das Dachgeschoss für Ausstellungen nutzen zu können.
Koolhaas wollte seine Planung aber nicht nur auf die Hülle, die Rolltreppen und weiteren vertikalen Verbindungen beschränken, sondern auch den kompletten Innenausbau planen. Bei der Übernahme des Gebäudes durch DFS zeigten die neuen Betreiber jedoch schnell, dass sie den niederländischen „Theoretiker“ nicht für adäquat hielten, eine Innenausstattung zu realisieren, die für jede einzelne Marke das richtige Ambiente bietet. Dafür hat sich DFS den englischen Architekten und ehemaligen Mitarbeiter von David Chipperfield Jamie Fobert ins Boot geholt. Der Übergang muss nicht ganz schmerzlos gewesen sein, da ab einem gewissen Zeitpunkt dem Büro sogar der Zugang auf die Baustelle untersagt wurde.
Jamie Fobert, der auch schon für verschiedene andere Modemarken Läden entworfen hat und dessen Arbeiten eher von einem „englischen Minimalismus“ geprägt sind, hat sich wohl von dem bunten „venezianischen Pluralismus“ überwältigen lassen. Die Inspiration der wahrhaftig vielfältigen Stadt hat bei ihm zu einer Flut von Materialien, Formen, Farben und Oberflächen geführt. Ganz im Unterschied zu seinem ehemaligen Chef, der bei der Gestaltung der Läden der Modemarke Valentino ein einziges prägendes Material benutzte.
Es fällt schwer, sich bei einem Besuch alle verwendeten Materialien zu merken: Kupfer, Messing, Stahl und Aluminium, die verschiedensten Arten und Farben von Marmor, mehrere Holzfurniere und Massivholzelemente, diverse Textilien, verschiedene Putzfarben, Glas und Leuch-ter aller Art. Zu sehen sind rund, eckig, gekurvt, gestuft, gestaffelt oder frei entworfene Formen der Einrichtungen. So fühlt sich der Besucher während des Rundgangs wie beim Durchblättern eines Baukatalogs oder in einer großen Musterausstellung. Dabei vergisst er schnell, dass man in Venedig ist, es sei denn man nähert sich einem der Fenster und schaut auf den Ca-nal Grande oder blickt in den zentralen Hof. Dieser Hof ist in seiner Architektur beinahe unverändert, aber durch den neuen, blank polierten rotweiß gestreiften Marmorboden, den Beleuchtungseffekten und über die Brüstung hängenden Teppiche, kaum wiederzuerkennen. Hier soll noch eine Bar hinzukommen. In der Mitte, wo sich ursprünglich ein traditioneller venezianischer Brunnen befand, steht schon ein eigentümlicher Tresen aus Stahl und Marmor von Philippe Starck. Er wirkt etwas verloren und deplaziert, als hätte man ihn für ein Catering aus einer schnöden Hotel-Lobby in den Hof gekarrt. Der stillgelegte, vom alten Standort demontierte Brunnen steht jetzt auf einer fahrbaren Plattform und kann so lange in jede Ecke des Hofes geschoben werden, bis er vermutlich irgendwann in einem Lagerraum verschwinden wird.
Wer sich aber durch die vielen Uhren, Taschen, Brillen, Kleidern, Schuhen nicht ablenken lässt und es bis zum letzten Geschoss schafft, wird kostenlos belohnt! Zunächst gelangt man in das Dachgeschoss, das Platz für Ausstellungen und Veranstaltungen bietet. Von dort aus gelangt man auf die Dachterrasse, die wie die typischen venezianischen „Altane“ aufgesetzt wurde, ohne die Dachform wie in der ursprünglich Planung vorgesehen zu verändern.
Von dieser mit einfacher Holzbeplankung und einer schlichten Brüstung gesäumten Terrasse aus haben Touristen und Einwohner einen der schönsten Ausblicke auf die alten venezianischen Bauten: die Kirchtürme und Kuppeln von San Marco, die Anreihung der Palazzi am Canal Grande. Auch viele dieser Bauten polarisierten während der Entstehungszeit. Sie waren vielen Venezianern zu prunkvoll.
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