Garage Gorki-Park in Moskau
Solides Gerüst, leuchtende Hülle: Die „Garage“, Museum für zeitgenössische Kunst, hat im Moskauer Gorki-Park eine verlorene Attraktion aus den Sechzigern neu belebt
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
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Mit viel Abstandsflächen schimmernd in Szene gesetzt: die neue „Garage“ im Gorki-Park. Die Dimensionen des Vorgängerbaus waren riesig, die neue Hülle zitiert ihn und setzt doch klar heutige Zeichen.
Foto: Iwan Baan
Mit viel Abstandsflächen schimmernd in Szene gesetzt: die neue „Garage“ im Gorki-Park. Die Dimensionen des Vorgängerbaus waren riesig, die neue Hülle zitiert ihn und setzt doch klar heutige Zeichen.
Foto: Iwan Baan
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Die Foyerhalle mit Funktionskern: Stützen, Deckenplatten und Treppen sind noch original. Die Garderobe unter der Haupttreppe ist einer der wenigen Orte, die mit grellen Farben auf heutige Gestaltungsmoden verweisen.
Foto: Vasily Babourov/OMA
Die Foyerhalle mit Funktionskern: Stützen, Deckenplatten und Treppen sind noch original. Die Garderobe unter der Haupttreppe ist einer der wenigen Orte, die mit grellen Farben auf heutige Gestaltungsmoden verweisen.
Foto: Vasily Babourov/OMA
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Hinter der Mosaikwand führt eine Treppe zur Dachterrasse. Am Treppenansatz zeugen kleine Höhendifferenzen vom teilweise schwierigen Umgang mit der alten Konstruktion.
Foto: Iwan Baan
Hinter der Mosaikwand führt eine Treppe zur Dachterrasse. Am Treppenansatz zeugen kleine Höhendifferenzen vom teilweise schwierigen Umgang mit der alten Konstruktion.
Foto: Iwan Baan
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An der Südwand des Foyers wurden Reste eines großen Mosaikbildes aus der Erbauungszeit restauriert. Zwei Treppen schlängeln sich seitlich hinter die Wand zum Konferenzbereich.
Foto: Iwan Baan
An der Südwand des Foyers wurden Reste eines großen Mosaikbildes aus der Erbauungszeit restauriert. Zwei Treppen schlängeln sich seitlich hinter die Wand zum Konferenzbereich.
Foto: Iwan Baan
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Ausstellungsebene im Obergeschoss. Tischtennis war nur eine temporäre Nutzungsvariante.
Foto: Iwan Baan
Ausstellungsebene im Obergeschoss. Tischtennis war nur eine temporäre Nutzungsvariante.
Foto: Iwan Baan
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Auch der Konferenzbereich wird gelegentlich Künstlern überlassen. Blick von dort auf die Ausstellungsfläche im Obergeschoss. Über dem Foyer wurde ein 9 x 11 Meter großes Deckenfeld geöffnet, um größeren Kunstobjekten Raum zu gewähren. Installation im Vordergrund: Yayoi Kusama
Foto: Iwan Baan
Auch der Konferenzbereich wird gelegentlich Künstlern überlassen. Blick von dort auf die Ausstellungsfläche im Obergeschoss. Über dem Foyer wurde ein 9 x 11 Meter großes Deckenfeld geöffnet, um größeren Kunstobjekten Raum zu gewähren. Installation im Vordergrund: Yayoi Kusama
Foto: Iwan Baan
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Die „Lesetreppe“ ist eigentlich eine Kunstbuchhandlung, wird aber gern als Freihandbibliothek genutzt
Foto: Vasily Babourov/OMA
Die „Lesetreppe“ ist eigentlich eine Kunstbuchhandlung, wird aber gern als Freihandbibliothek genutzt
Foto: Vasily Babourov/OMA
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Die neue Garage als Chamäleon: Je nach Tageszeit und Lichtverhältnissen verändert sich das opake Weiß der Polycarbonatplatten
Foto: Iwan Baan
Die neue Garage als Chamäleon: Je nach Tageszeit und Lichtverhältnissen verändert sich das opake Weiß der Polycarbonatplatten
Foto: Iwan Baan
Die „Garage“ will nicht nur Museum für zeitgenössische Kunst sein, sondern in erster Linie „ein Ort für Menschen, für die Künste und schöpferische Ideen“. Gegründet wurde sie 2008 als private Stiftung von Darja Zhukowa, der kulturell sehr aktiven und international bestens vernetzten Lebensgefährtin des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch. Das Profil der Garage umfasst neben Ausstellungen und Veranstaltungen auch Studentenwettbewerbe, Kurse, Workshops, Künstlerstipendien und Publikationen. Auch sollen Sammlungen und Archive entstehen, die sich der in Russland erst allmählich geschätzten klassischen Avantgarde, dem „Underground“ der Sowjetzeit sowie heutigem Kunstgeschehen widmen. Zentrales Anliegen der „philanthropischen Institution“ ist aber, dem russischen Publikum Zugang zu aktueller, hochkarätiger Weltkunst zu gewähren.
Gründungsort und Namensgeber des neuartigen Kulturzentrums war das von Konstantin Melnikow 1927 entworfene Bachmetiew-Busdepot, ein so beeindruckendes wie weiträumiges Baudenkmal, in dem aber eigentlich ein Jüdisches Museum vorgesehen war (welches inzwischen eröffnet hat). Da sich die Lage des Busdepots als wenig besucherfreundlich erwies, sahen sich die Kunstvermittler nach einer zentraleren Adresse um. Die fanden sie 2012 im Gorki-Park. Um dort die Planungs- und Bauzeit für den endgültigen Museumsbau zu überbrücken, wurde bei Shigeru Ban ein Pavillon bestellt. Japans Meister des Leichtbaus umstellte ein verglastes Oval von 2400 Quadratmetern mit einer Endlosreihe sechs Meter hoher Papiersäulen, an einem lauschigen Teich, doch leider abseits aller Blickachsen vom heroischen Eingangsportal.
Der Gorki-Park
Moskaus bekanntestes Freizeitareal ist der Gorki-Park. Er erstreckt sich kilometerweit am südlichen Moskwa-Ufer. Eröffnet im Mai 1937, wurden hier Elemente traditioneller Vergnügungs- und Lunaparks mit volkspädagogischen Angeboten (politische Bildung, Kulturerziehung und Sport) verknüpft, es gab Karnevals und Volksfeste. An manchen Tagen sollen weit über 100.000 Menschen den Park besucht haben, der im Laufe der Zeit immer wieder umgestaltet und so neuen Freizeitgewohnheiten angepasst wurde.
Eine dieser Neuerungen war Mitte der sechziger Jahre die Großgaststätte „Jahreszeiten“, in der Familien sich während ihrer Aufenthalte verpflegen konnten. Voll im Elan des ideologischen „Tauwetters“ jener Jahre entwarf der junge Architekt Igor Winogradski eine langgestreckte Kiste, deren formale Nüchternheit durch überdachte Freisitze sowie im Innern durch zahlreiche Treppen und farbenfrohe Keramikwände gelockert wurde. In den Wirren der neunziger Jahre geschlossen, begann die „gastronomische Großeinheit“ zu verfallen. Ohne die Metall-Glas-Fassade, stand da mitten im weiterhin beliebten Park nur noch ein monströses, von Vandalismus gezeichnetes Skelett.
Dieses Zeugnis früher Sowjetmoderne hatte die Garage zu ihrem endgültigen Domizil erkoren. Seine Wiedererweckung und Neuinterpretation wurde Rem Koolhaas mit dem Büro OMA anvertraut. Allein die schiere Größe des Objekts und die noch intakte Tragstruktur legten behutsamen Umgang mit dem historischen Restbestand nahe. Die Umbaustrategie sah eine klare Zweiteilung vor: Die verlorene Altfassade war durch eine gänzlich neue, zeichenhafte Verkleidung zu ersetzen, während die inneren Raumstrukturen möglichst geschickt mit den neuen Funktionen in Einklang zu bringen waren. Dass dabei alte Bauwerksteile nicht bloß weitergenutzt, sondern in all ihrer Versehrtheit demonstrativ vorgeführt werden, ist für russische Renovierungspraxis längst nicht so alltäglich wie etwa in Deutschland. Obendrein geht es hier um ein Erbstück aus Tagen des Kalten Krieges, also einer Periode, um deren historische Bewertung (wie hierzulande ja auch) noch heftig gerungen wird; folglich kommt dem schonungsvollen Umbauprojekt unter Ägide eines internationalen Spitzenbüros zweifellos Signalwirkung zu.
Wie einst der gesamte Gorki-Park als ein vielfältiges Kultur- und Freizeituniversum gedacht war, will die Garage im neuen Gebäude von OMA mehr als nur reine Kunsthalle sein. Zwar nehmen flexibel arrangierbare Ausstellungsflächen den weitaus größten Teil der 5400 Quadratmeter Geschossflächen ein, allseits fließende Übergänge (die viel Personal zur Aufsicht erfordern) bieten aber auch bei anderen Nutzungen – Mediathek, Kinderatelier, Buch- und Lesetreppe, Gastronomie und Servicebereich – den Eindruck wahren Raumüberflusses. Hinter einer großen Mosaikwand im Foyer verbirgt sich eine komplett abschottbare Tagungsebene, mit ähnlichem Geschick sind interne Büros, Werkstätten und Depots im nördlichen Giebelbereich unter einer neu eingezogenen Mezzaninebene verschwunden. Die Fassade aus doppelwandigen Polycarbonat-Platten verleiht dem Bau gerade durch ihr Maximum an Abstraktion ein hohes Maß an Signifikanz; nebenbei zitiert sie mit ihrem leicht unterschnittenen und weithin verglasten Erdgeschoss auf dezente Weise das (ebenso simulierte) „Schweben“ des Vorgängerbaus. Wenn die wuchtigen Portalsegmente auf beiden Gebäudeseiten nach oben geschoben sind, kann der umgebende Park gleichsam innen das Foyer durchfließen. Im Übrigen ist die transluzente Außenhaut eine Absage an das (tages)lichtscheue Ausstellungsprinzip des White Cube. Sollten derarti-ge Anforderungen auftreten, müssen Raumteiler in die sonst sichtbar belassene Kernstruktur eingefügt werden.
Der erste Nutzungstest
Bereits wenige Wochen nach der Eröffnung kamen internationale Historiker zu einer Konferenz über die Sowjetmoderne in der Garage zusammen. Ein kritischeres Publikum ist wohl kaum denkbar. Doch alle mitgebrachte Skepsis, beim Anblick der im Sonnenlicht irreal gleißenden Plastikhülle noch einmal kurz hochgekocht, wich im Innern des weitläufigen Gebäudes rasch. Je ausgiebiger man sich darin bewegt, umso deutlicher lässt sich nämlich der Vorgängerbau erspüren, das schlicht gereinigte, ansonsten offenliegende Betonskelett mit den malerisch anhaftenden Wandbekleidungen, hier ziegelviolett, da keramikgrün. Hat man sich der demonstrativ verschonten Reste erst versichert, wird der Blick auch offener für Zutaten von heute: Die kommen zurückhaltend, gelegentlich minimalistisch, im Mezzanin mit seinen gläsernen Raumzellen sogar „unsichtbar“ daher. Wirklich laute Akzente setzt allein die grell grellfarbige Ausleuchtung einiger Servicebereiche. Solch eine neue Zeitschicht wirkt wie ein ed-ler, dem robusten Altbau aber nur übergeworfener Schleier. Als ließe der sich bei Bedarf anstandslos auch gegen neue Anmutungen austauschen.
Irgendwie trägt diese fragile, zur Improvisation einladende, in mehrerlei Hinsicht also „transitorische“ Ästhetik zu einer besonderen Stimmung im Hause bei: Nicht nur an Wochenenden scharen sich zahllose Familien (bei satten Eintrittspreisen!) etwa um die Rätselobjekte einer Louise Bourgeois. Täglich ab Mittag fällt junges Volk in die Hallen ein: Schüler werkeln im Kinderatelier, Studis stöbern in den Bücherregalen der langen Lesetreppe, Moskaus Hipster drängeln mit Konferenzgästen am Tresen der Coffee-Lounge. Zum Abendprogramm lassen sich im Foyer Treppen wie Bühnen bespielen, gegen Mitternacht müssen Security-Männer zum Aufbruch mahnen.
Auf nächtlicher Heimfahrt ins Hotel überkommt den Gast aus Berlin ein Anflug von Bitterkeit: Genau von so einem Haus wurde einst auch in seiner Stadt geträumt. Ein solides Gerüst mit leuchtender Hülle und solch universalem Kulturprogramm. Doch die Visionen der „Volkspalast“-Initiative wurden einem restaurativen Bilderwunsch geopfert. Rem Koolhaas, schon damals an der Spree einer der namhaftesten Unterstützer, hat bewiesen: Es geht doch! Nun eben in Moskau.
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