Kindergarten in Atsugi
In Atsugi, einem Vorort der Metropole Tokio-Yokohama, hat der Architekt Junya Ishigami die Kantine eines ehemaligen Geschäftshauses in einen Kindergarten aus Wolken umgebaut
Text: Spix, Sebastian, Berlin
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Die Kinder können den „Clouds Garden“ wie Neuland betreten. Hinter jeder Wolke verbirgt sich ein neuer Raum.
Foto: Iwan Baan
Die Kinder können den „Clouds Garden“ wie Neuland betreten. Hinter jeder Wolke verbirgt sich ein neuer Raum.
Foto: Iwan Baan
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Noch ist der Kindergarten eher spärlich möbliert. Die wolkigen Tische werden zu Laufbahnen.
Foto: Yasuhiro Takagi
Noch ist der Kindergarten eher spärlich möbliert. Die wolkigen Tische werden zu Laufbahnen.
Foto: Yasuhiro Takagi
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Hinter, unter und zwischen den Wolken können die Kinder unbekümmert spielen, sich verstecken,
krabbeln und klettern. Es gibt kaum Ecken, an denen sie sich stoßen können.
Foto: Yasuhiro Takagi
Hinter, unter und zwischen den Wolken können die Kinder unbekümmert spielen, sich verstecken,
krabbeln und klettern. Es gibt kaum Ecken, an denen sie sich stoßen können.
Foto: Yasuhiro Takagi
Architektur kann nicht fliegen. Und Wolf Dieter Prix hat weder mit der „BMW-Welt“ (
Heft 31.07), noch mit dem „Musée des Confluences“ (Heft 4.15) eine Wolke gebaut. Leichtigkeit, einen Zustand der Schwerelosigkeit und des Schwebens zu erzeugen, schafft vielleicht nur gute Musik. Zum Beispiel Thom Yorkes autistisches Elektro-Gefrickel, The Notwists Indietronic, ganz sicher der weich plätschernde Bossa-Nova von Antônio Carlos Jobim und von mir aus das virile „Get Off of my Cloud“ von den Rolling Stones. So gesehen wirkt es auf den ersten Blick befremdlich, wenn der japanische Architekt Junya Ishigami bei seinem neuesten Projekt erstmal von Wolken erzählt und was er mit ihnen assoziiert. „Vor kurzem schaute ich in den Himmel und dachte: Wolken ändern ihre Gestalt beliebig. Sie sind gleicher-maßen weich und fest – es ist schwierig in Worte zu fassen, aber falls es möglich ist, in diesen Sphären architektonisch zu denken, dann in Wolken.“ In der 225.000 Einwohner zählenden Stadt Atsugi in der japanischen Präfektur Kanagawa hat er im vergangenen Jahr die Kantine im achten Stockwerk eines ehemaligen Bürogebäudes zu einem Kindergarten, dem „Clouds Garden“ umgebaut.
Ishigami selbst und seine Angestellten arbeiten im fensterlosen Kellergeschoss eines Bürokomplexes (Heft 44.12). Im Frühjahr 2013 wurde der 40-jährige Architekt und Sanaa-Schüler von der Stadt Atsugi mit dem Umbau der rund 2300 Quadratmeter großen ehemaligen Cafeteria eines Geschäftshauses zu einem Kindergarten mit Krippe beauftragt. Die Stadt hat das ehemals ausschließlich kommerziell genutzte Gebäude erworben, um im Zentrum von Atsugi einen öffentlich-privaten Mischkomplex zu errichten. In dem Konzept der Stadt soll der neue Kindergarten als Scharnier funktionieren, das die unterschiedlich genutzten Geschosse mit-einander verknüpft.
Die Architekten fanden die Etage in einem chaotischen Zustand vor: Entlang der Decke verliefen ungeordnet und offen Elemente der technischen Gebäudeausstattung. Im ersten Schritt wurde daher der Bestand entkernt und bis auf die konstruktive Struktur freigelegt. Bedingt durch die kurze Ausführungsphase, mussten die Architekten größtenteils auf der Baustelle spontan und flexibel entscheiden. Neue bauliche Maßnahmen konnten und durften nur innerhalb des strengen Tragwerkrasters vorgenommen werden. Dementsprechend verläuft die komplette Haustechnik offen unter der Betondecke und entlang der Stützen und Träger.
„Wir haben uns den Raum behutsam angeeignet und so entworfen, als hätten wir eine Skizze in die Luft gezeichnet“, beschreibt Ishigami seinen Entwurf. Anhand der gestalterischen Verwebung der primären Elemente wie Stütze, Träger, Gebäudetechnik und Wand ist ein großzügiger Raum entstanden, befreit von allen überflüssigen Einbauten. Riesige Betonwände in Wolkenform durchziehen die fünf Meter hohe Etage und gliedern die einzelnen Funktionen Krippe, Kindergarten, „Park“ und Büro. Zwischen grauen Stützen und auf hellem Holzparkett sitzend, umfassen die weißen Zement-Wolken die einzelnen Bereiche, ohne sie voneinander abzugrenzen. Durch die unterschiedlich großen Bögen und Öffnungen wird aus einer abgerundeten „Wolkenwand“ eine durchlässige Raumskulptur. Die Kinder können durch sie hindurchschlüpfen oder über sie hinwegklettern, Erwachsene drüberschauen oder durchwandeln. Die einzelnen Räume scheinen ineinander zu fließen. Gleichzeitig bleibt der Kindergarten so offen zu den anderen Geschossen, auf denen sich eine Behörde, ein Kino und ein Supermarkt befinden. Zusammen ergeben die Räume eine Art „Parklandschaft“ mit unterschiedlich definierten Zonen, die sowohl als öffentlicher Platz zum Mittagessen und Spielen aber auch als Ausstellungs-, Seminar- und Veranstaltungsraum genutzt werden können. Obwohl die Etage hauptsächlich von den Kindern bevölkert wird, besteht durch einen öffentlichen und frei zugänglichen „Innenhof“ die Möglichkeit des Aufeinandertreffens von Familien, Senioren, Studenten oder rastenden Einkaufenden.
Die Ausgestaltung und die Nutzungsvielfalt des Kindergartens verdeutlichen, was Ishigami mit seiner metaphorischen Entwurfsidee für die Gestaltung des „Clouds Garden“ im Sinn hatte. Durch seinen Blick in die Wolken hat er ihren Formenreichtum, den sie wie von selbst erzeugen, wahrgenommen und in den Entwurf für den Kindergarten architektonisch übertragen. Das luf-tige Raumgefüge liefert die Szenerie zur räumlichen Entdeckung und Erfahrung. Eine unbekannte Abenteuerlandschaft, die Kinder wie Neuland betreten und die sie wie verlassene Häuser oder Dachböden erkunden, in der sie unbekümmert Fangen spielen, sich verstecken und klettern können.
Fakten
Architekten
junya.ishigami+associates, Tokio
Adresse
Japan, 〒243-0018 Kanagawa-ken, Atsugi-shi, Nakachō, 2 Chome−12−15 アミューあつぎ
aus
Bauwelt 9.2015
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