Bauwelt

Grünes Zimmer


Auch in Baden-Württemberg wurden viele neue Kindergärten gebaut. Binnen kurzer Zeit mussten die Plätze vervierfacht werden. Noch vor acht Jahren lag die Betreuungsquote bei 8 Prozent – weit entfernt von den 35 Prozent, die der Gesetzgeber seit 2013 fordert. Containerlösungen sind inzwischen wieder vom Tisch, aber der riesige Bedarf hat die Frage nach einer kindgerechten Architektur in den Hintergrund gedrängt. Welcher gestalterische Spielraum bei der neuen Kinderkrippe in Neckarwestheim möglich war – und warum einige japanische Kindergärten immer ein unerreichbares Vorbild bleiben –, beantwortet die Stuttgarter Architektin Julia Raff im Bauwelt-Gespräch


Text: Geipel, Kaye, Berlin


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    Der zurückgesetzte Eingangsbereich verbindet Krippe und Mensa
    Foto: Thomas Herrmann

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    Der zurückgesetzte Eingangsbereich verbindet Krippe und Mensa

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    Im „grünen Zimmer“, dem Mittelpunkt der Krippe: ein japanischer Fächerahorn
    Foto: Thomas Herrmann

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    Im „grünen Zimmer“, dem Mittelpunkt der Krippe: ein japanischer Fächerahorn

    Foto: Thomas Herrmann

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    Das Wettbewerbsmodell von 2008
    Foto: Stadt Neckarwestheim

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    Das Wettbewerbsmodell von 2008

    Foto: Stadt Neckarwestheim

Julia Raff, wie sieht für Sie heute eine passende Architektur für Kinder aus?
Angemessene Materialien, gut zugeschnittene Freiräume und vor allem: das Schaffen eines geschützten Ortes.
Stichwort geschützter Ort: Es gab eine Zeit, da waren Kindergärten gebaute Metaphern. Kindgerecht war die Architektur dann, wenn sie einem Schiff, einer Burg oder einer knallbunten Puppenstube ähnlich sah. Ihre Kinderkrippe in Neckarwestheim wirkt da nüchtern. Warum?
Für mich muss ein solcher Bau nicht das Bildliche haben. Ich denke, es ist nicht nötig, ein Schiff für Kinder zu bauen. Es reicht ein schönes Gebäude.
Sie haben den Wettbewerb für die Kinderkrippe plus kleinem Mensagebäude 2008 gewonnen. Gab es von Seiten des Auslobers spezielle Anforderungen an die Architektur?
Der Bauherr wollte eine solide Bauweise, ein dauerhaftes Gebäude. Wir haben das für uns so interpretiert: kein Wärmedämmverbundsystem, stattdessen Holz und Klinker, aber dazwischen auch mal eine Sichtbetonwand.
Was ist das Grundprinzip des Entwurfs?
Wir wollten, dass sich die Gruppenräume um einen zentralen Innenhof gruppieren. Als Referenz für dieses Entwurfskonzept dienten uns japanische Hofhäuser.
Welche Hofhäuser meinen Sie?
Historische und neuere Bauten aus Japan, die einen sehr kleinen Garten in den Mittelpunkt der Bezugsachsen der angrenzenden Räume stellen.
Wie wirkt sich dieses Modell im Grundriss aus?
Wir haben eine Anordnung gewählt, die einem Windmühlenflügel gleicht. Es gibt vier feste Bausteine für die Gruppen und die Sonderräume im Süden, die ich als „Flügel“ bezeichne. Dazwischen sind die Freiräume mit ihren Zugängen in den Garten gelegt. Diese Anordnung funktioniert ausgezeichnet; die Räume orientieren sich alle auf das „Grüne Zimmer“, den Hof in der Mitte, und sind gleichzeitig auch nach außen geöffnet.
Welche Anforderungen stellen Kinder an die Gestaltung?
Das Allerwichtigste ist der Maßstab. Die unterschiedliche Augenhöhe der Kinder ist für mich maßgebend. Darauf muss ich als Architektin reagieren. Kinder brauchen andere Oberflächen. Sie brauchen mehr Haptik, sie müssen die Oberflächen direkt greifen können. Wir hätten zum Beispiel gern rauere Oberflächen verwendet, korbartige Strukturen aus Bast. Das ließ sich leider aus brandschutztechnischen Gründen nicht umsetzen. Wir konnten aber Streifen aus Filz in die Wände einlassen.
Die pädagogischen Konzepte haben sich in den letzten Jahren verändert. Viele Eltern fordern, dass schon die Kinderkrippen zu Ausbildungsorten werden und die Kinder auf die Schule vorbereiten sollen. Wie stehen Sie dazu?
Ich persönlich halte das in dem Krippen-Alter – also bei Kindern zwischen null und drei Jahren – für übertrieben. Aber die sogenannten Kreativräume, die wir in Neckarwestheim als Teil des Bauprogramms (Reihe von Zimmern auf der Südseite, A.d.R.) umsetzen konnten, sind eindeutig eine Bereicherung. Dabei handelt es sich um jeweils 16 m2 große Räume für die Sinne, die Musik und für die Sprachförderung. Solche Besonderheiten gab es früher nicht.
Haben Sie sich beim Entwurf von anderen Kindergärten anregen lassen? Wenn ja, welche Architektur hat Sie besonders beeindruckt?
Der Kindergarten, der mir am besten gefallen hat, liegt in Japan. Es ist ein Gebäude von Tezuka Architekten aus Tokio: ein ovaler Grundriss mit begehbarem Dach für die Kinder – wunderbar!
Sie haben in Ihrem Entwurf ja auch einen Innenhof mit einem Baum in der Mitte realisiert. Aber das Dach ist nicht begehbar.
Ja, in der Tat.
Eine offenere Form war nicht zu realisieren?
Wenn ich sehe, welche Normen und Regeln bei uns einzuhalten sind, dann könnten wir ein solches Konzept, wie es die japanischen Kollegen gebaut haben, in Deutschland gar nicht umsetzen. Das ist leider völlig unmöglich.



Fakten
Architekten Raff, Julia, Stuttgart
Adresse Sperlingweg 1, 74382 Neckarwestheim


aus Bauwelt 47.2014

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