Guimarães
Am äußersten Rand der europäischen Kulturhauptstadt
Text: Brandao, Pedro, Lissabon; Geipel, Kaye, Berlin
Die Programme der diesjährigen Kulturhauptstadt Guimarães mögen für sich gesehen sinnvoll sein, sie fokussieren aber auf die Reaktivierung des Zentrums mit seiner historischen Vergangenheit – Guimarães ist die Wiege Portugals.
Die Ränder der Stadt, ihre Tore und ihre Einbindung bleiben, bis auf einige Aktionen, programmatisch blinde Flecken. Der Standort des Europan-11-Wettbewerbs bildet eine Ausnahme. Es geht um die Suche nach einer alternativen Landschaft für das automobile Einfallstor in die Stadt, ein technizistischer Verkehrskreisel der Nachmoderne. Lassen sich die zementierten Grenzen der Autobahn überspringen?
Neue Werkzeuge für die neuen „Stadttore“ | Interview mit Pedro Brandao
Das Europan-Areal in Silvares wirft die Frage nach der Neuordnung des Zugangs in die Stadt auf – welchen Stellenwert haben diese chaotischen Vorstadtareale im heutigen Portugal?
Das Umfeld der Städte stellt sich, vergleicht man den Norden und den Süden, die Küstengebieten und das Landesinnere, sehr unterschiedlich dar. Dennoch weist der Europan-Kontext Eigenheiten auf, die charakteristisch sind für die starke Expansion der Städte in den letzten drei Jahrzehnten. Ein ganzes Bündel unterschiedlicher Faktoren spielt dabei eine Rolle: die binnen kürzester Zeit entstandenen Anbindungen an die Autobahnen und die rasante Zunahme von privaten Pkws, der Niedergang der Landwirtschaft, neue Immobilien-Angebote und der einfachere Zugang zu Krediten für den Wohnungsbau. Der Verstädterungsprozess der jüngsten Jahre beherrscht die gesamte Verkehrsinfrastruktur und verwischt im Zuge einer flächendeckenden Urbanisierung die Unterschiede zwischen Stadt und Land. Mit dem Way of Life der Gegenwart sind aus unterschiedlichen Strukturen und Hierarchien hybride, ineinander verflochtene Siedlungsformen entstanden: ein Land im Umbruch.
Das infrastrukturelle Netzwerk bildet neue Strukturen aus, an den Autobahnknoten mit ihren Zubringern siedeln sich ‚große Kästen‘ mit Stellflächen für Autos an. Derartige Typologien fungieren jetzt als ‚Tore‘ zu den Städten bzw. Kleinstädten und machen neue, weithin sichtbare Signal- und Hinweisschilder erforderlich. Diese Knoten generieren einen neuen Fokus. Geprägt werden sie durch diejenigen Aktivitäten, die sich eine solche Anbindung leisten können. Wie Magneten polarisieren diese Knoten die Expansion der Städte – das Ergebnis ist eine neuartige urbane Landschaft mit versprengten
Ruinen aus einer unwiederbringlich vergangenen Zeit.
Werden solche Areale noch irgendwie geplant?
Die herkömmlichen, auf Regelwerken und definierten Standards basierenden Mechanismen für Planung und Entwurf erweisen sich in den Zeiten der Wirtschaftskrise als nicht länger tauglich. Die Kurzlebigkeit aller wirtschaftlichen Aktivitäten ist auch für die Städte ein Grund, sich Optionen offenzuhalten. Der entscheidende Punkt ist: das ist schwer. Solche Zwischenstadt-Areale machen deutlich, wie sehr die Architektur in der jetzigen Situation neue Werkzeuge braucht, um helfen zu können und um aus den neuen Erfahrungen zu lernen. Die Vielfalt der europäischen Architektur ist ein wichtiger Aktivposten in dieser Bilanz.
Kennen Sie Vorbilder, Projekte aus vergleichbaren Umbruchsituationen?
In den letzten Jahren wurden Stimmen laut, die eine deutliche qualitative Aufwertung der Verkehrs-Infrastruktur vor den Toren der Städte forderten – einschließlich der dazugehörigen Transit-Flächen, die den Übergang zu den weitmaschigeren Verkehrsnetzen in Gebieten mit landwirtschaftlichem Niedergang und der neuen Wohnraum-Erschließung leisten. Cacém, ein hochwertiges Vorstadt-Projekt in der Nähe von Lissabon, ist ein Beispiel dafür, wie Mobilität und Umweltziele in Einklang zu bringen sind. Doch eine solche Lösung ist mit hohen Kosten und aufwendigem Projektmanagement verbunden – als allgemeiner Standard für die neue Sachlage taugt sie nicht.
Dass die Stadt diese zwischen Autobahntrassen eingekeilten ‚Problemgebiete‘ angeht und sie als Herausforderung in den Europan-11-Wettbewerb einstellt, ist durchaus ambitioniert. Was gab den Anstoß für diese Wahl?
Guimarães ist besonders in den Randgebieten stark gewachsen: Auf die 50.000 Einwohner der Innenstadt kommt ein Mehrfaches in den Randgemeinden. Silvares ist eine von mehreren Kommunen im fruchtbaren und landschaftlich reizvollen Tal des Creixomil, von einer komplexen Verkehrsinfrastruktur durchzogen wird.
In ihrem übergeordneten General-Erschließungsplan formuliert die Stadt eine Reihe von strategischen Zielen für Silvares. Die Umsetzung dieser Ziele erfordert neue Tools für die Verhandlungen mit den Akteuren. Europan 11 kam zum richtigen Zeitpunkt, in der Phase des Nachdenkens darüber, wie diese Werkzeuge aussehen könnten. Die konzeptuellen Ideen, die der Siegerentwurf präsentiert, sind sehr weitgehend‚auf Wellenlänge‘ mit den Zielen einer Prozesslogik von Stadtentwicklung und ihren Akteuren. Eine architektonische ‚Formfindung‘ hätte da weniger Chancen.
Das Interview führte Kaye Geipel
Der Standort ist der wichtigste „Point of access“ in die Innenstadt. Ein Autobahnkreisel dreht sich förmlich einmal um ein heterogen genutztes Areal. Dieses Areal ist völlig abgeschnitten von der Umgebung – der Forderung, dass hier das „Tor in die Stadt“ zu finden sein soll, steht diese Abriegelung diametral entgegen. Das Programm für den Europan-Standort sieht vor, eine Reihe von neuen Verbindungslinien zu entwerfen. Das Mischgebiet soll als besser erreichbarer Stadtraum wahrgenommen, das Straßen und Wegenetz neu geordnet und der öffentliche Raum als solcher entwickelt werden. Öffentliche Mittel für den Umbau stehen allerdings kaum zur Verfügung. Das Programm soll dazu beitragen, neue Denkkonzepte anzustoßen und die lokalen Akteure mit dem Ziel gemeinsam entwickelter Konzepte an einen Tisch zu bringen.
270° Landscape | Guimarães 1. Preis
Der Entwurf der französischen Preisträger versteht sich als großes Strategiepapier, das mit seinen Vorschlägen über den Europan-Standort hinausreicht. In einem ersten Schritt analysieren die Architekten die territorialen Herausforderungen an der westlichen Peripherie von Guimarães. Sie stellen diesen ein Set von „local answers“ gegenüber, die man als Werkzeugkasten mit einem typologisch-architektonischen „Repair-Angebot“ betrachten kann. Im Rahmen ihrer landschaftlichen Analyse schlagen die Architekten vor, mit einer Reihe von charakteristischen Eigenschaften zu arbeiten: mit den urbanen „Voids“, mit der Regionalstraße 206, die als zentrale OstWest-Achse bisher zu wenig Beachtung fand, mit signifikanten Punkten, die sich zu einer neuen Art von „Eingangstoren“ verknüpfen ließen, und mit attraktiven Terrains, die sich für neuen Wohnbau eignen würden. Was den eigentlichen Europan-Standort innerhalb des Verkehrskreisels betrifft, so geben die eindrucksvollen Luftbilder aus der Sicht der Architekten die Realität am Boden nicht adäquat widergeben. Zwar finden sich in diesem Gewerbeareal, in dem auch gewohnt wird, eine Reihe von größeren Fabriken, die den Ort prägen. Genauso wichtig aber sind die diffusen Freiflächen, aus denen sich das Bild der peripheren Landschaft zusammensetzt. Sie sind als Potential zu verstehen, aus dem sich ein Netz von öffentlichen und halböffentlichen Räumen knüpfen ließe; gerade ihre Undefiniertheit macht sie wertvoll. Voraussetzung für die Erneuerung ist ein kollektiver Verständigungsprozess aller Akteure, den die Architekten „stimulieren“ würden. KG
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