Der Wirt eines Kaffeehauses gründet gemeinsam mit dem Stadtamtsdirektor einen Verein für Stadtmarketing. Ihr größtes Projekt wird ein Sommertheater auf dem Hauptplatz, dessen ausgefallene Tribüne eine Eigendynamik entwickelt, die Förderung und neue Einwohner in den Ort zieht.
In den letzten zwölf Jahren fand in der niederösterreichischen Kleinstadt Haag eine intensive Reanimierung des Ortszentrums statt. Neben zahlreichen Aktivitäten am Hauptplatz wurde der gesamte Ortskern neu gestaltet: Gebäude wurden abgebrochen, neue Bauten errichtet, alte Ensembles saniert und erweitert oder mit neuen Nutzungen gefüllt. Und in neuen und alten Gebäuden entstand neuer Wohnraum.
Noch in den 90ern war es mit dem historischen Stadtzentrum von Haag stetig bergab gegangen. Einige Geschäfte hatten wegen der Konkurrenz der Einkaufszentren in der näheren Umgebung schon aufgegeben, die Geschäftslokale standen leer. Um den Hauptplatz wiederzubeleben, gründete der Wirt des am Platz beheimateten Caféhauses Illich gemeinsam mit dem Stadtamtsdirektor einen Verein für Stadtmarketing. Ihre erste Aktion war eine Filmvorführung am Hauptplatz, zu der tausend Besucher kamen. Dieser große Erfolg festigte die Idee, den Hauptplatz durch kulturelle Aktivitäten zu beleben.
Gemeinsam mit dem Kulturverein, der am Hauptplatz seit 1995 einen Theaterkeller mit rund 60 Plätzen betreibt, wurde die Idee eines Sommertheaters geboren. Aufgrund des professionell ausgearbeiteten Konzepts sagte der Bürgermeister finanzielle Unterstützung zu – trotz seiner Bedenken, dass es sich um ein recht ausgefallenes Projekt für eine so kleine Gemeinde handelte und es andere Problemfelder gab, die einer dringenden Lösung bedurften (die Schulen litten unter Platzmangel, die Sportstätten waren in einem desolaten Zustand, die Feuerwehr brauchte Unterstützung...).
Damit es sich wirtschaftlich auch rechnete, musste das Sommertheater mindestens 600 Zuschauern Platz bieten. Für den Entwurf einer temporären Tribüne wurde kurzerhand ein lokaler Architekt beauftragt – jedoch mit unbefriedigendem Ergebnis. Befreundete Architekten rieten den Initiatoren, besser einen Wettbewerb auszuschreiben. Aufgrund des Zeitdrucks entschied man sich für einen eingeladenen Wettbewerb – dessen Aufgabe, 600 Leute auf einer relativ kleinen Fläche unterzubringen, sich als schwieriger erwies als gedacht. Am Ende entschied sich die Jury für den gewagten Entwurf der Architektengruppe nonconform: eine zweistöckige rote Holzkonstruktion.
Zunächst erklärte ein Großteil der Gemeinde die Sommertheater-Initiatoren schlicht für verrückt. Erst kurz vor der Premiere, als die Tribüne bereits aufgebaut war, schlug die Stimmung um. Mitte Juli 2000 fand die erste Vorstellung statt, seither wird Sommer für Sommer zwei Monate lang gespielt. Rund 15.000 Besucher kommen jedes Jahr wegen des Theaters nach Haag, einige nur, um sich die Tribüne anzuschauen. Wer auf dem Hauptplatz ein Haus sein eigen nennt, hat es längst renoviert.
Das Sommertheater war ein Imagegewinn, durch den die Landesregierung auf den Ort aufmerksam wurde. Noch während der Planungsphase trat Haag dem Programm der Stadterneuerung Niederösterreichs bei, das Beratung und spezielle Förderung zur Verfügung stellt. Bürger und Gemeinde konnten innerhalb von vier Jahren Projekte zur Entwicklung ihrer Stadt einreichen. Die Aufgabe des im Prozess vorgesehenen überparteilichen Stadterneuerungsbeirates übernahm der Verein für Stadterneuerung und Stadtmarketing „Wir Haager!“. Das erste offizielle Projekt war der Theatersommer.
Seither gibt es einen spürbaren Zuzug in den Ort, dessen Stimmung als äußerst anregend empfunden wird. Vor allem im Stadtzentrum wurde Wohnraum geschaffen, der sehr gut angenommen wird. So ist es gelungen, leerstehende Häuser zu sanieren und mit neuem Leben zu füllen. Die Wertsteigerung der Immobilien animiert auch zahlreiche private Besitzer und Investoren. Die kurzen Wege zur Bäckerei, zur Fleischerei oder zu anderen Nahversorgern werden ebenso geschätzt wie die zwanglose Geselligkeit im Wirtshaus und in den Gastgärten am Hauptplatz. Der Sohn vom Gasthaus Wagner ist nach Hause zurückgekehrt und hat die Gaststätte am Platz übernommen. Seitdem ist sie am Abend auch Treffpunkt der Jugend.
Das Sommertheater hat aber nicht nur die Wirtschaft beflügelt, sondern auch die Gemeinschaft: Rund 300 Leute helfen jedes Jahr ehrenamtlich mit – vom Aufbau der Bühne über das Verkaufen von Eintrittskarten bis zum Aufräumen nach der Vorstellung.
Als größtes Projekt der Stadterneuerung wurde 2008 der Hauptplatz neu gestaltet. Den dafür ausgelobten Wettbewerb gewann abermals nonconform. Die Architekten verwandelten den heterogenen „Flickenteppich aus Asphalt“ in ein unregelmäßiges Linienmuster aus hellem und dunklem Granit, das aus einer bestimmten Perspektive optisch zu einem rechtwinkligen Raster wird. Dies bringt neben einem Blickfang eine neue Tiefenwirkung in den Platz, die durch das Beleuchtungskonzept von Dieter Bartenbach atmosphärisch noch unterstrichen wird.
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