Haus Lilienthal
Entwurfsansatz Ursprungsidee
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Ein verfallenes Haus im Berliner Südwesten sollte wiederhergestellt werden. Bernrieder.Sieweke Lagemann hatten Glück: Der Architekt hatte schon vor 120 Jahren so viele unkonventionelle Lösungen erdacht, dass heutigen Anforderungen ohne schwerwiegende Eingriffe entsprochen werden konnte. Nur am Putz scheiden sich die Geister.
Wer durch Berlin-Lichterfelde streift auf den Spuren von Gustav Lilienthal (1849–1933) und den von ihm entworfenen „Burgen“, wird früher oder später vor dem eigenen Haus des Architekten in der Marthastraße 5 stehen und vielleicht auch mit der Enkelin des Architekten ins Gespräch kommen, die heute noch darin lebt. Die alte Dame gewährt Interessierten gerne einen Blick in die Eingangshalle des Hauses (siehe Seite 1), doch sollte der Besucher besser vermeiden, sie auf die jüngste Renovierung in der Nachbarschaft anzusprechen: Mit deren Ergebnis ist sie nämlich ganz und gar nicht einverstanden. Vor allem der neue Putz missfällt ihr – nie und nimmer hätte ihr Großvater eine solch „glatte Kiste“ gebaut. Dennoch lohnt es, das Objekt einmal in Augenschein zu nehmen und bei den verantwortlichen Architekten nachzufragen, was es mit dem Putz und den weiteren Besonderheiten des Gebäudes und seiner Sanierung auf sich hat. Wer keine Erwartungen mit diesem Projekt verbunden hat, dürfte bei dieser Gelegenheit jedenfalls mit Freude erfahren, dass der jahrelange Verfall des Gebäudes gestoppt und auch manches Detail der Lilienthal’schen Architektur gerettet oder wieder hergestellt werden konnte.
Mit dem Putz allerdings, da hat es seine eigene Bewandnis: Vom charakteristischen rauen, mit einem Reisigbesen bearbeiteten Originalputz, wie er sich beispielsweise noch heute an den Lilienthal-Häusern in der Paulinen- oder Marthastraße betrachten lässt, war hier nichts mehr vorhanden, erzählt Architekt Christian Bernrieder; das Gebäude war bereits vor Jahrzehnten komplett neu verputzt worden. Zwar hätten sich Entwurfszeichnungen Lilienthals erhalten, doch wiche die ausgeführte Architektur in einigen anderen Fällen durchaus von den Plänen ab, sodass, abgesehen von den zu erwartenden hohen Kosten, der ursprüngliche Zustand der Oberfläche dieses Gebäudes nicht exakt zu rekonstruieren gewesen sei. Selbst die Denkmalpflege habe deshalb davon abgeraten, eine Art „Lilienthal-Phantasie“ auszuführen, und zugestimmt, den vorhandenen schadhaften Putz abzuschlagen und einen neuen aufzubringen. Dieser ist im Grunde ein sehr schöner Putz: mit dem beigemengten Glimmer glitzert die gelb durchgefärbte Außenhaut selbst im fahlen Winterlicht sanft. Die Fassungen der Fenster hingegen wurden wiederhergestellt, da sie vom Putzaustausch vermutlich nicht betroffen waren; die Fenster selbst wurden, wo immer möglich, aufgearbeitet und auf der Innenseite mit einer dünnen Isolierglasscheibe ausgestattet, um den Energieverbrauch des Hauses zu senken. Gelungen wirken die nachgebrannten schwarzen und gelben Ludowici-Falzpfannen, welche die Attikamauern krönen. Die originalen Exemplare, die gerettet werden konnten, wurden in einer Reihe zusammengefasst.
Dem Ziel „Energiesparen“ diente auch ein Eingriff in den Außenwandquerschnitt, den die Experimentierfreude Lilienthals möglich machte. Denn die Fassadenoberfläche ist nur eine, die im Wortsinn oberflächlichste, der zahlreichen Besonderheiten der Lilienthal-Häuser; unmittelbar darunter geht es weiter mit den unkonventionellen Lösungen, die der Baumeister einst erdacht hat und die seine Häuser weit aus der Architektur der 1890er Jahre hervor ragen lassen. Bei flüchtigem Hinsehen mögen diese mit ihren Anspielungen auf die englische Gotik der Tudor-Zeit heute als Zeugnis des Historismus erscheinen. In Wahrheit sind sie jedoch ein Versuch, Funktion, Bautechnik und Architektur wieder in Einklag zu bringen – ein Vorbote dessen, was sich erst knapp zwanzig Jahre später, mit der Gründung des Deutschen Werkbunds, auf breiter Front durchsetzen sollte.
Ein Beispiel dafür ist der Aufbau der Außenwände. Diese sind im Querschnitt zweischichtig mit Luftschicht ausgeführt, womit Lilienthal einer zu hohen Luftfeuchte im Inneren, vor allem im Keller, vorbeugen wollte. Entlüftet wird dieser Zwischenraum über die Fialen, welche die jeweils individuelle Silhouette der „Burgen“ in den Himmel zeichnen. Wie so oft bei Lilienthal, verbinden sich Ornament und Funktion, oder anders gesagt: Die alltäglichen Bedürfnisse werden zur Gestaltfindung herangezogen.
Das Besondere des Wandaufbaus erschöpft sich darin aber noch nicht: Hinzu kommt, dass die tragende äußere Schale außen liegt – eine Anordnung, die bauphysikalisch riskant erscheint, in diesem Fall aber keine Schäden zeitigte; Spuren von Feuchtigkeit im Mauerwerk oder gar Schimmel seien jedenfalls nicht zu entdecken gewesen, so Architekt Bernrieder. Im Zuge der Sanierung wurde der Hohlraum für die Dämmung des Gebäudes genutzt, das nun immerhin den Neubaustandard der EnEV 2006 erreicht, wozu auch die neue Erdwärmeanlage beiträgt.
Vorbote des Raumplans
Die größte Änderung, die mit der Sanierung einher gegangen ist, betrifft die eigentliche Gebäudefunktion selbst. Als wohnliches Heim einer bürgerlichen Familie entworfen, ist ihr räumliches Rückgrat die Haupttreppenspindel, von der aus die einzelnen Räume und Ebenen auf unterschiedlichen Niveaus zu betreten sind – ermöglicht wurde diese ebenso interessante wie effiziente Verschränkung durch die differenzierten Höhen der einzelnen Räume, ein Vorgehen, das bereits eine Vorahnung gibt auf den „Raumplan“ von Adolf Loos. Diese Einheit wurde nun aufgegeben, zugunsten einer Teilung des Hauses in drei Wohnungen, die zeigt, wie sich die heutigen Wohnwünsche und -möglichkeiten von den damaligen unterscheiden.
Fakten
Architekten
Lilienthal, Gustav (1849-1933); Bernrieder. Sieweke Lagemann, Berlin
Adresse
Potsdamer Straße 57 12205 Berlin
aus
Bauwelt 5.2012
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