Immanuelkirche und Gemeindezentrum
Für rechtsrheinische Protestanten
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Mit kleinem Budget, viel Pragmatismus und gestalterischer Perfektion haben Sauerbruch Hutton von außen gesehen den Bautypus Basilika neu interpretiert. Gebaut aus Holz, inszeniert mit Licht und Farbe.
Vor rund zehn Jahren schlossen sich im rechtsrheinischen Stadtgebiet von Köln die beiden evangelischen Gemeinden Flittard und Stammheim zusammen. Die danach 2000 Mitglieder zählende Doppelgemeinde – sie nennt sich Brückenschlag-Gemeinde – nutzte fortan das Bonhoeffer-Gemeindezentrum in Stammheim. Fast 40 Jahre lang hatten sich die Gläubigen damit abfinden müssen, dass die einst für Stammheim geplante Kirche aus Geldmangel nie realisiert werden konnte – nun aber wurde das Provisorium, das auch in keiner Weise mehr dem Selbstverständnis der fusionierten Gemeinde entsprach, schlichtweg zu klein. Um einen finanziellen Grundstock für den Neubau einer Kirche zu legen, wurde die Flittarder Lukas-Kirche, ein spröder Bau aus dem Jahr 1959, abgerissen und das Grundstück verkauft. Als Standort der neuen Kirche bot sich das parkähnliche Gelände an der Bonhoeffer-Straße an, das etwa an der Schnittstelle des Stammheimer Ortskerns und einer Siedlung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus liegt. Von dem schmucklosen Gemeindezentrum wollte man sich gerne trennen, als viel kostbarer und schützenswerter empfand die Gemeinde den historischen Baumbestand auf dem Grundstück. Sechs Büros wurden 2009 nach einem Bewerbungsverfahren zur Teilnahme am Wettbewerb für den Neubau der Kirche eingeladen. Die Aufgabe war nicht einfach, denn obschon das Budget wieder einmal schmal war, wollte die Gemeinde jetzt alles richtig machen und eine Kirche mit Gemeindezentrum bauen, die nicht nur alle funktionalen Anforderungen erfüllt, sondern auch als bauliches Zeichen für den gemeinsamen Neuanfang besteht. Die Preisträger des Wettbewerbs, Sauerbruch Hutton, überzeugten die Jury mit einem Entwurf, der die Kirche an den Rand rückt und so den von hohen Laubbäumen eingefassten zentralen Platz in seiner ursprünglichen Form als „Open-Air-Kathedrale“ belässt. Eine einladende und vielversprechende Geste, die heute, knapp ein Jahr nach der Einweihung der Immanuel-Kirche, der Überprüfung standhält.
Sechs flache Stufen über Straßenniveau liegt das Kirchengelände, dessen Zugang eine breite, von einem Glockenturm flankierte Freitreppe bildet. In dieser schmalen, nach oben einseitig abgeflachten Wandscheibe klingen die drei Glocken der Lukas-Kirche weiter. Aus dem Ortsbild des bürgerlich-biederen Stammheim sticht der Turm allein schon durch die diagonale Holzverschalung auf – in der Höhe, für einen Kirchturm bescheidene 16,80 Meter, wird er von den Baumwipfeln noch deutlich überragt. Und doch sendet er Zeichen aus. Die für den Ort ungewöhnliche Materialität der Fassade macht aus den drei Solitären Turm, Kirche und Kapelle ein Ensemble; einen formalen Hinweis auf die sakrale Bestimmung gibt das in die Hülle des Turms eingeschnittene Kreuz, durch das man vom richtigen Standpunkt aus den Himmel sehen kann. Die Kirche ist nicht geostet – diese Freiheit nehmen sich die Protestanten, um den Städtebau zu optimieren. Doch auch wenn sie zugunsten des halböffentlichen Grünraums nach hinten rücken musste, wird die Kirche nicht zur Kulisse der Natur. Sie öffnet ihre strenge, aus drei Quadern zusammengesetzte Kubatur mit einer aus der Achse gedrehten verglasten Eingangsfront und bestimmt damit die Blick- und Wegbeziehungen über das Gelände.
Kirche und Kapelle sind reine Holzkonstruktionen. Für die Gemeinde bedeutete die Verwendung von vorgefertigten Elementen, dass sie schon zwei Monate nach der Grundsteinlegung Richtfest feiern konnte und noch einmal ein halbes Jahr später, im März letzten Jahres, bereits die Einweihung stattfand. Durch den Vergrauungsanstrich ist die finnische Lärche der Fassade rundherum gleichmäßig vorgealtert. So macht das Kirchenensemble in erstaunlicher Harmonie mit seinem heterogenen Umfeld den Eindruck, als sei es schon immer da gewesen. Elfmal wechselt die Lattenverkleidung über die gesamte Gebäudelänge die Richtung, sodass sie abwechselnd heller oder dunkler erscheint und den großen geschlossenen Flächen eine wohltuende Gliederung verleiht.
Das äußere Erscheinungsbild erinnert nur wenig an einen Sakralbau, doch lassen sich im Grundriss und Schnitt Anklänge an das klassische Bauschema einer Basilika finden. Das etwa dreifach überhöhte „Mittelschiff“ bildet den eigentlichen Kirchenraum, die „Seitenschiffe“ nehmen Küche, Gruppenraum, Sakristei, Probe- und Mehrzweckraum auf; Nebenräume, die dem Hauptraum bei Bedarf zugeschaltet werden können. Diese Optimierung der räumlichen Organisation ist nicht nur dem knappen Budget geschuldet, sie ist auch eine Besonderheit der evangelischen Kirche, die Alltägliches und Sakrales wenig strikt trennt, sodass der Kirchenraum auch für profane Aktivitäten der Gemeinde genutzt werden kann und nicht nur für die eine Stunde Gottesdienst am Sonntag.
Richtung Himmel wird es Licht
Sauerbruch Hutton inszenieren das Holz als „ehrliches Material“. Die Architekten zeigen die Konstruktion; sie ließen die Rippen im Kirchenschiff unverkleidet und die hölzernen Oberflächen weiß wachsen, da sie damit ihren Ansprüchen an Haptik, Ästhetik, Licht und Raumklima bereits gerecht wurden. Auf diese Weise ist auch die Hierarchie der Räume am Material der Innenwände ablesbar: Fineline in finnischer Fichte im Kirchenraum, OSB-Platten in den Nebenräumen.
In der Kirche riecht es nach Holz, nach Leinöl, weniger nach Kirche. Und trotz oder vielleicht auch wegen der Helligkeit, die sich vom Eingangsbereich, der unter einer treppenförmigen Empore liegt, bis zum Altarraum fast dramatisch steigert, herrscht eine sakrale Atmosphäre. Über dem Altar öffnet ein „Himmelsfenster“ das Kirchendach über die gesamte Breite und setzt damit die farbige Altarrückwand in Szene. Dieses Bild aus 2700 Holzleisten in 26 verschiedenen gedeckten Farben sowie einzelnen hellroten Akzenten wird zum Fokus des Kirchenraums. Dass die Farben nach oben hin sukzessive verblassen, unterstützt die Wirkung des Fensters oder imitiert sie, wenn es draußen dunkel ist. „Richtung Himmel wird es Licht“ ist eine der in dem farbigen Screen enthaltenen Botschaften, und es steht jedem Besucher frei, weiter darin zu lesen: mag
er nun in den roten Akzenten Flammen des Heiligen Geistes oder Blutstropfen Christi erkennen oder sich schlicht an der bloßen Farbigkeit erfreuen. Auch heute ist es noch möglich, zeigt diese Wand, Architektur und bildhafte Inhalte zu vereinen.
Hinter der durchlässigen Altarwand sind Pfeifenwerk und Windladen der Stahlhuth-Orgel verborgen, die mit der einen Gemeindehälfte aus der Lukaskirche umgezogen ist. Die Position der Orgel hinter dem Altar scheint ungewöhnlich, entspricht aber der evangelischen Kirchbautradition. Die über dem Eingang steil ansteigende Empore unterstützt den skulpturalen Gesamteindruck des Kirchenraums, ihre Sitzstufen machen eine Möblierung überflüssig, und sowohl die hinaufführende Treppe als auch die eigentliche Emporenkonstruktion sind so in das statische System integriert, dass auf zusätzliche Stützen verzichtet werden konnte. Über der Empore auf der Rückwand des Kirchenraums liegt als Kontrapunkt zum Himmelsfenster ein zweites großes Fenster, doch Milchglas schirmt die Ein- und Ausblicke ab, allein die Silhouetten der Kirchenbesucher drinnen und die Äste der Bäume davor sind schemenhaft zu erkennen.
Es ist das Weglassen, das die Kirche ebenso wie die kleine Gebetskapelle und den Glockenturm ausmacht: kein prächtiges Kreuz, sondern bloße Einschnitte; kein auffälliger Eingang, sondern eine ausgesparte Ecke oder eine aus der Achse gedrehte Front; kein Putz auf den Wänden, sondern Holzmaserung, gebürstet und gewachst; keine Stühle auf der Empore, nur Stufen. Diese Kirche macht nichts vor, sie zeigt ihr Material, ihre Konstruktion, nichts ist verkleidet. Schnörkellos ist sie, aber nicht schmucklos, und immer wieder bleibt das Auge gerne an der Struktur der Oberflächen und der Ausarbeitung der Details hängen. Alles fügt sich zu einem harmonischen Ganzen, das Geborgenheit vermittelt, weil es den triumphalen Auftritt vermeidet.
Immer wieder finden sich im Neuen Elemente des Alten, sogar ganz zentrale Stücke, wie die Prinzipalien, Wandbehänge, Orgel und Glocken und ein Bodenkreuz aus Backsteinen, denn auch wenn es für die Gemeinde ein Neuanfang ist, setzt sie mit der Immanuel-Kirche ihre Geschichte fort. Ein weiteres Kapitel ist bereits in Planung – noch in diesem Jahr soll zwischen Kirche, Kapelle und hinterer Grundstücksgrenze ein Kolumbarium unter freiem Himmel das Ensemble vervollständigen.
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