Bauwelt

Kapitel 18: Revolte gegen die Tradition


Die Anfänge der Architektin Kazuyo Sejima


Text: Hattori, Kazuaki, Tokyo


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    Marie Tzschentke

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Vielleicht sollte sich heute jede Universität passende Sponsoren suchen, um sich ein vergleichbares Kommunikations- und Empfangsgebäude zu leisten – als Großraum der Repräsentation, der konzentrierten oder freien Lektüre, der Gastronomie und des offenen Gedankenaustauschs. In Lausanne war neben Nestlé, Etwas schockieren könnte es schon, dass Kazuyo Sejima nie eine „architektonische“ Ausbildung im eigentlichen Sinn absolviert hat. Ganz korrekt ist diese Angabe allerdings auch nicht, es kommt ganz auf den Standpunkt an. Während ihres Studiums beschäftigte sich Sejima mit denThemen Wohnen, Innenausstattung und Möbeldesign – nicht aber damit, was man klassischer­weise Architektur nennt.

Während ihres Studiums von 1979 bis 1981 an der privaten Frauenuniversität Nihon Joshi Daigaku konzentrierte sich Sejima auf die Gestaltung von Wohnungen und Innenräumen. In diese Zeit fielen aber auch schon weitere Aktivitäten: Mitarbeit im Büro von Toyo Ito und ein Besuch an der Fakultät für Innenarchitektur der Tokyo Zokei University, Hochschule für Kunst und Design in einem der Außenbezirke der Hauptstadt nach Bauhaus-Vorbild.

Der Akademiker Koji Taki (*1928), herausragender Theoretiker und profunder Kenner der Angewandten Kunst von Fotografie bis Architektur, las damals über die Geschichte des westlichen Möbeldesigns, und Sejima versäumte trotz der langen Anfahrt von zwei Stunden keineseiner Vorlesungen. Auf Takis Anraten hin nahm sie außerdem an einem Entwurfsseminar für Interior Design teil, beugte sich zweimal in der Wo­che zusammen mit den jüngeren Semestern der Fakultät über Entwürfe und Gestaltungsaufgaben. Selbst in Japan ist die eher überraschende Tatsache, dass sich Sejima während ihres Studiums auch mit Möbeldesign befasste, wenig bekannt.

Sejimas Interesse an Taki gründete auf der Tatsache, dass er die Wohnhausentwürfe von Kazuo Shinohara (1925–2006) fotografisch dokumentiert hatte, eines Architekten, den sie von Anfang an sehr bewundert hat. Auch wenn der Begriff „Architektur“ immer noch in erster Linie auf öffentliche Gebäude angewandt wurde, meldeten sich Architekten wie Shinohara und eine Gruppe von Gleichgesinnten, zu denen un­ter anderen Taki und Ito gehörten, mit vernichtenden Kritiken an Zeitgenossen in Bezug auf individuellen Wohnungsbau, Kunst und Eigenständigkeit zu Wort. In den 70er Jahren wurde der Begriff des „Öffentli­chen“, so wie er bis da­hin verstanden wurde, in Frage gestellt. Shinohara und seine Gruppe waren es, die als Erste die Revolte ge­gen eine Architekturtradition anzettelten, die hinter der Zeit zurückgeblieben war – dass Sejima sich ih­nen anschloss, war nur eine Frage der Zeit.

1956 geboren und in einer „Company Town“ in der Provinz aufgewachsen, erschien Sejima eine soziale Bezugnahme auf Strukturen, die sich über die lokale Herkunft oder über einen nationalen Kontext definieren, als schlicht widersinnig. Für Sejima erschließt sich gültige Realität ausschließlich aus ihrer eigenen Person – und aus dem, was in ihrer unmittelbaren Reichweite greifbar ist. Der Ausgangspunkt ih­rer Arbeit liegt im Nachdenken, wie Architektur aus diesen beiden Voraussetzungen herleitbar ist.

Bereits während ihrer Studienjahre hat Sejima also das etabliert, was später den Fokus ihrer architektonischen Denkens bilden sollte. Die Basis sind ihre Studien zu Wohnen, Interieurs, Möbeln – und in der Folge dann auch zum eigenen Körper.

Sejima entwickelte Architektur, indem sie Möbel als Ausgangspunkt nahm. Ein prägnantes Beispiel dafür findet sich in ihrem frühen Wohnungsbauentwurf Plattform II (1990), der ausschließlich aus einem losen Arrangement von Einheiten besteht, die Möbel und tragende Struktur zugleich sind. Plattform II steht für Sejimas Versuch, einen Raum aus kleinstmöglichen Elementen heraus zu konstituieren. Der so vermittelte Eindruck fassbarer Realität beruht auf der präzise beobachteten, in Frage gestellten und dann neu gedachten Beziehung zu sich selbst und dem umgebenden Mobiliar. Ge­nau hier liegt die Essenz von Sejimas minimalistischem Ansatz, aus dem sich all ihre späte­ren Projekte herleiten lassen.



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