Bauwelt

Kapitel 8: Abfall und Stauraum


Aporien des Wohnens in einer kleinen Wohnung in Gifu


Text: Poulin, Caroline, Paris


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    Caroline Poulin

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Im April 1999 – es ist das Ende der Kirschblüte, und die letzten bräunlichen Blütenblätter liegen noch auf dem Pflaster – reisen wir zum ersten Mal durch Japan. Nach einer Hotelnacht in Nagoya treffen wir am anderen Morgen an der kleinen Bahnstation von Gifu ein, die Luft ist lau. Zu Fuß streben wir ans andere Ende der kleinen Stadt, ein festes Ziel vor Augen: Wir wollen uns die Sozialwohnungsbauten von Kazuyo Sejima ansehen, Stichwort High-Town-KITAKATA-Projekt (Bauwelt 20.99). Noch ist das Areal größ­tenteils Baustelle, doch das Viertel nimmt bereits eine Art Alltag auf. In die akkurat ausgebauten Erdgeschoss-Partien setzen massive Stützen rhythmische Zäsuren, ebenso akkurat die in lan­ger Reihe aufgefädelten Fahrräder. Die erste Tranche des Gebäudes ist bezugsfertig. Erste Mieter wohnen schon hier. Über Treppenschächte und metallene Gerüstleitern klettern wir nach oben, weiter Blick über die Ebene von Gifu mit wohlbestellten Feldern ringsum, am Horizont die Bergrücken des „grünen Rückgrats von Japan“; zu unseren Füßen sirrende Lastenaufzüge, das Einkaufszentrum, die Wohnbauten, die großen Sportplätze, die Golfanlage unter grünen Plastiknetzen. Korrespondenzen zwischen der Landschaft draußen und den inti- men Innenhöfen drängen sich auf. Die Patios, als funktionale Erweiterungen für die Wohnun­gen konzipiert, lassen die persönlich geprägte und sorgsame Inbesitznahme erkennen. Die Besichtigung dieser Mikro-Biotope von den um-laufenden Laubengängen aus wirkt wie eine verkappte Einladung, Verlockung... Neugierde, wie es drinnen aussieht?

Sonst eher schüchtern, fasse ich mir ein Herz, ich läute, eine Frau öffnet, ich frage, ob wir wohl hereinkommen dürften. Sie versteht meine Sprache nicht, ich nicht die ihre, ich nutze die japanische Höflichkeit aus, um ins Innere vorzudringen, es ist ein Typ 2DK, 57,06 Quadrat­meter.

Wir stehen alle in ihrer Küche, von Diskretion kann sowieso nicht die Rede sein, einer nach dem anderen schlängeln wir uns weiter durch die Wohnung. Der Flur ist völlig zugestellt, die Fenster verbarrikadiert, das Badezimmer bis obenhin voll. Etikette ist ohnehin längst obsolet, und so halten wir unseren Besuch mit der Kamera fest – später sehen wir unsere Erinnerung bestätigt: Die große verglaste Fassade und das auf dem Grundriss eingezeichnete Bad sind auf den Abzügen gerade noch zu erkennen.

Wir fahren dann weiter nach Kyoto, deutlich beeindruckt von Sejima, der „Abstecher“ nach Gifu hat uns befriedigt. Und bewegt.



Fakten
Architekten Kazuyo Sejima, Ryue Nishizawa, SANAA, Tokyo
aus Bauwelt 33.2010

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