Bauwelt

Kongresszentrum „El B“


Polycarbonat aus der Umgebung


Text: Geipel, Kaye, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Roland Halbe

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Roland Halbe

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Roland Halbe

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Roland Halbe

Nach knapp zehnjähriger Planungs- und Bauzeit ist im November das Kongresszentrum „El B“ von José Selgas und Lucía Cano eröffnet worden. Der Bau im spanischen Cartagena setzt die geduldige Suche, mit der die Madrider Architekten Low-Tech-Details umdeuten und daraus eine neue populäre Architekturkonzeption entwickeln, eindrucksvoll fort.
Cartagena ist die zweitgrößte Stadt der Region Murcia an der Südostküste Spaniens. Die Region war in den letzten zehn Jahren einer der großen Profiteure des beispielhaften Baubooms auf dem zweiten Wohnungsmarkt der Ferienwohnungen. Murcia gehört zu den trockensten Regionen Europas. Weil hier aber mehr als 300 Tage im Jahr die Sonne scheint, war sie be­vorzugtes Ziel vieler Investoren auf der Suche nach neuen Bauplätzen. Der Wassermangel führte zu fragwürdigen Infrastrukturprojekten. Besonders absurd war der unter der Regierung Aznar Anfang 2000 ausgearbeitete „Plan Hidrológico Nacional“, der unter dem Stichwort Agua para todos – Wasser für alle – ein Netz neuer Aquädukte vorsah, um Wasser vom Norden des Landes in den Süden, insbesondere nach Valencia und Murcia umzuleiten. Der Plan wurde gestoppt. Doch schon die Idee war ein Freibrief für die wasserintensive Landwirtschaft und für die Planung neuer privater Golf Resorts, die die städtebauliche Entwicklung der Küste prägen sollten. Mehr als 6o waren allein in Murcia geplant.
Reaktivierung des einstigen Militärhafens
Cartagena, eine der wenigen großstädtischen Agglomerationen Murcias wollte von den zusätzlichen Touristen profitieren. Die historische Altstadt der von den Römern einst Carthago Nova genannten Stadt hätte als Attraktor aber kaum ausgereicht. Die energische Bürgermeisterin Pilar Barreiro Alvarez setzte seit ihrem Amtsantritt 1995 auf einen Umbau des ehemaligen Militärhafens zu einem Erholungsort und auf eine Diversifizierung der Wirtschaft.
Der Wettbewerb für ein neues Kongresszentrum am Ha­fen fand Anfang 2000 statt. Dass die jungen Madrider Architekten José Selgas und Lucía Cano diese Konkurrenz für sich entscheiden konnten, lag auch daran, dass sie kurz zuvor den Wettbewerb für die historisch und politisch knifflige Aufgabe eines Kongresszentrums in Badajoz gewonnen hatten (Heft 40–41.2006). Nach fast zehnjähriger Planungs- und Realisierungsphase wurde das Kongresszentrum im vergangenen November eingeweiht. Von außen handelt es sich um eine langgestreckte Kiste, die sich nach Osten hochtreppt, während sie im Inneren, unsichtbar für das Auge, immer tiefer in den Untergrund absinkt. Umgeben ist der farbige Kubus von einer holzbeplankten Uferpromenade und einer ganzen Reihe großblättriger Feigen, jener schnellwachsenden Bäume, die in nicht allzu ferner Zukunft den Bau in ihren Schatten stellen werden. Über die ganze Länge ist die langgestreckte Großform – die auch in ihren Farben die Ästhetik des Hafens aufgreift – in verschiedene Einheiten geteilt.
Containerarchitektur mit Kerben
Der Eingang liegt auf der Westseite, dort, wo man von der historischen Stadt mit ihrer mächtigen Stadtmauer auf die Uferpromenade stößt. Rechter Hand befindet sich das archäologische Unterwasser-Museum, das Guillermo Vázquez Consuegra vier Jahre zuvor realisiert hat. Mit seiner angestrengt skulpturalen Architektursprache bildet es einen Gegensatz zum Containerbau von selgascano. Dessen prominenter Standort im Hafen war politisch umstritten. Die Stadtverordneten der Linken hätten lieber ein unterprivilegiertes Quartier aufgewertet. „Wir hatten nur die Chance, hoch zu wetten“, ent­gegnete damals die Bürgermeisterin und verwies auf die Stadtkonkurrenz zu Valencia mit ihren Großbauten von Santiago Calatrava.
Kongressbauten sind generell mit einem Manko ausgestattet. Die abweisende Haltung des Bautypus beruht auf den großen Funktionseinheiten, die außerhalb ihrer Nutzung tot daliegen. Auch der Bau in Cartagena umfasst ein klassisches Programm – er hat einen großen und einen kleinen Veranstaltungssaal sowie vier weitere Veranstaltungshallen, die als nutzungsneutrale Plateaus hintereinander gestaffelt sind. Die fast zwangsläufige Distanz zum Publikum versucht der Grundriss durch geschickte Nutzung der inneren Topographie zu überwinden. Es gibt zwei lange Rampen – eine davon als orangefarbene Stahlbrücke in den Raum gehängt –, die den Bau längs durchqueren. Gleich hinter dem Eingang führen Treppen zum Caférestaurant im Obergeschoss mit seiner großen Terrasse zum Meer. Auf der entgegengesetzten Ostseite gibt es einen halb in die Erde gegrabenen Zugang unter einem Bogen aus gelb und weiß gestrichenen Bewehrungseisen – dieser Seiteneingang fungiert einerseits als Notausgang des großen Saals, andererseits führt er aber auch zu kleineren Räumen, die den Theatergruppen und Bands der Stadt zur Verfügung stehen.
Wie der Bau durch Schnitte im Dach förmlich zerlegt wurde, widerspricht dem vordergründigen Eindruck einer bunt gestrichenen Popkiste im Stil der 60er Jahre. Dabei ist diese Zeit architektonisch durchaus präsent. Gerade die Einkerbungen sind ein Beispiel dafür, wie die Architekten Seitenlicht nach innen führen und Raumbereiche gliedern; etwa dort, wo die orangefarbene Stahlrampe im Obergeschoss anstößt. Hier kommt die Arbeit am Schnitt zum Tragen, die schon Alejandro de la Sotas Madrider Turnhalle zu einem Schlüsselbau der spanischen Nachkriegsarchitektur gemacht hat. Die mit roter EPFE-Folie verkleideten Seitenträger, die den großen Veranstaltungssaal von den angrenzenden Bauteilen abtrennen, erinnern, wenn man von der Farbe abstrahiert, an die porösen Dachabschlüsse eines Miguel Fisac.
Solche historischen Referenzen erschließen sich auf den zweiten und dritten Blick. Der erste Blick wird dominiert von einem Universum aus kräftigen Farben, die man in solch satter Ballung selten gesehen hat. Orange, Orangerot, Rot, Gelb: dass daraus keine Kakophonie wird, bewirken der geschickte Einsatz von weiß gestrichenen Betonflächen und die milchige Polycarbonatfassade. Ganz am Ende des Containers, im großen Veranstaltungssaal mit seinem Türkisblau, kommt es zur Apotheose der Farben. Der Eindruck, dessen Wände seien eigentlich ein wassergefühltes Ozeaneum und man befände sich längst unter Meeresniveau, entspricht, angesichts des abgesenkten Terrains, sogar ein Stück weit der Realität.
In diesem Bau gibt es kaum Transparenz, sondern vor allem Transluzenz, also Lichtdurchlässigkeit. Dabei sind die Oberflächen fast immer roh und haptisch. Die Architekten haben den direkten Kontakt mit den Nutzern eingeplant, mit überraschenden Effekten. Die dicken Türen etwa, die flächenbündig in den geschichteten Aufbau der Wände eingelassen sind, leuchten beim Öffnen am Abend über die ganze Fläche – sie schimmern dann weiß. Ein anderes Beispiel ist ein langes Band aus straff gespannter Kunststofffolie als Blendschutz im Café, das vom Luftzug so in Bewegung gehalten wird, als handle es sich um ein elektronisch animiertes Black painting. Das Prinzip solcher Eingriffe ist klar: einfache Materialien werden so lange gedreht und gewendet, bis sie eine eigene ästhetische Bedeutung gewinnen. Es sei ihr Ziel gewesen, so José Selgas, nicht zu „verkleiden“, sondern die abgrenzenden Flächen wo immer möglich bis an die Konstruktion heranzuführen.
Wenn man eine Weile durch den Bau gegangen ist, fällt an vielen Stellen die handwerkliche Detaillierung auf – sie steht in einem gewissen Gegensatz zu dem farbigen Popart-Anspruch, den man gern mit Industrialisierung assoziiert. Solche „simple details“ finden sich auch in ihrem eigenen Haus, einem Testlabor für die späteren Großbauten (siehe Heft 15–16.2007). In Cartagena lassen sich diese überraschenden Details auch als Antwort auf die Krise und die im Zeichen des Booms immer weiter anonymisierte Bauweise lesen. Auch der großzügige Einsatz von Polycarbonatplatten ist regional begründet. Die Platten stammen von der ortsansässigen Firma Sabic. José Selgas führt ökologische und ökonomische Argumente für den Einsatz von Polycarbonat an. Es sei „zu 100% recycelbar, nachhaltiger als Glas und außerdem auch billiger: 160 Euro pro Quadratmeter im Vergleich zu 400 Euro. Und es bietet viel mehr Isolation.“



Fakten
Architekten SelgasCano, Madrid
Adresse Paseo Alfonso XII, S/N, 30201 Cartagena, Spanien


aus Bauwelt 8.2012
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.