Kulturzentrum in Palencia
Wie aus einem Gefängnis kein Kulturzentrum wurde
Text: Cohn, David, Barcelona
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Fernando Guerra | FG + SG
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Fernando Guerra | FG + SG
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Eigentlich sollte dieser Text von einem neuen Bürgerzentrum in einer kleinen Provinzstadt in Spanien handeln. Aber wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise haben wir nun von einem Fall zu berichten, der zeigt, woran öffentliche Projekte dieser Art in Spanien scheitern können.
Von einer Anhäufung von Irrtümern und menschlichem Versagen, die zu der Krise beitrugen und von der Krise aufgedeckt wurden.
Das schon lange Zeit ungenutzte historische Gefängnis der Stadt Palencia wurde zu einem Bürgerzentrum umgebaut. Nur treffen sich die Bürger dort noch immer nicht. Die Geschichte der Planung und Realisierung wirft Fragen hinsichtlich der aktuellen Einstellung zur Bewahrung und Sanierung historischer Gebäude auf: Das Gefängnis wurde mit einem Aufwand von mehr als zehn Millionen Euro aus seinem Ruinenstatus gerettet und umgewandelt. Mit Ausnahme der Außenwände blieb von der ursprünglichen Bausubstanz sehr wenig erhalten. Aufgrund politischer Querelen und der starken staatlichen Ausgabenkürzungen steht das Gebäude nach Abschluss der Bauarbeiten heute leer.
Palencia ist eine marode Industriestadt in der autonomen Gemeinschaft Kastilien und León mit 80.000 Einwohnern. Wegen des hohen Anteils von Arbeitern hatte die Stadt bis vor kurzem eine sozialistische Regierung – eine Ausnahme in dieser konservativen, ländlich geprägten Binnenlandregion, die seit den späten siebziger Jahren von der konservativen Volkspartei (PP) beziehungsweise deren Vorgängern regiert wird. Das Gefängnis wurde 1891 von dem aus der Provinz stammenden Architekten Mariano Goñi Rojas als Ensemble aus vier Gebäuden errichtet, die einen Hof bildenden. Die tragenden Wänden aus Mauerwerk waren mit Ornamentziegeln geschmückt, die Dachstühle aus Eisen und die Dächer mit Ziegeln gedeckte. Zur Zeit seiner Errichtung lag das Gefängnis an der Av. Valladolid südlich der Stadtgrenze. Bis in die fünfziger Jahre wuchs um die Gebäude ein Arbeiterwohnviertel. 2004 wurde das Gefängnis geschlossen und das Areal der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Heliodoro Gallego übertragen.
Gallego ging auf die Forderungen von Nachbarschaftsinitiativen ein, die örtliche Gemeinde an der Entscheidung, was mit dem Gelände geschehen sollte, zu beteiligen. Er ernannte den Architekten Peridis (José María Pérez, auch als politischer Karikaturist bekannt) zum Mediator des Prozesses. Wie in den meisten während der Franco-Diktatur entstandenen Wohnvierteln fehlte es auch hier an vielen grundlegenden Versorgungseinrichtungen. Die Gemeinde stellte mit mehreren Stadtverordneten eine ehrgeizige Liste all der Einrichtungen zusammen, die ihrer Meinung nach gebraucht würden.
Ganz oben auf der Wunschliste stand eine Bibliothek mit Räumen, in denen Schüler ungestört lernen könnten, was in diesem Viertel wegen der beengten Wohnverhältnisse schwierig ist. Ebenfalls gewünscht wurden ein Jugendzentrum mit Übungsräumen für Musiker (auch in der Hoffnung, Jugendliche von der Straße zu holen und zu sozial verträglichen Aktivitäten anzuregen), Flächen für Fitness- und Tanzkurse, Künstlerateliers und Probenräume für Theatergruppen, ein Versammlungssaal, eine Sporthalle, ein Kinderhort, eine Cafeteria mit Internetcafé, eine Anlaufstelle aller städtischen Behörden sowie Sitzungsräume und Büros für Nachbarschaftsorganisationen.
Nachdem sich die Bürgergruppen die Gebäude angeschaut hatten, beschlossen alle Beteiligten 2004, das Gefängnis für die genannten Zwecke umzubauen. Da der Bürgermeister keine Unterstützung von der konservativen Regierung der Region bekam, wandte er sich an die Staatsregierung, die damals unter sozialistischer Führung stand. Sie übernahm 70 Prozent der Finanzierung für das vorgesehene Kultur- und Bürgerzentrum, den Rest trugen Regionalregierung und Stadtverwaltung zu jeweils der Hälfte. Das Ministerium lobte Ende 2005 einen landesweiten offenen Wettbewerb aus, aus dem ein in Madrid ansässiges Team dreier junger Architekten – Ángel Sevillano, José María Tabuyo und Eduardo Delgado – als Sieger hervorging. Die drei gründeten später mit zwei weiteren Partnern das Büro Exit Architects. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 2007 und wurden 2011 abgeschlossen.
Umbau mit Verlusten
Der Entwurf von Exit Architects vergrößerte die bebaute Fläche des ehemaligen Gefängnisareals beträchtlich: Der Raum zwischen den vier alten Gefängnisgebäuden und um sie herum wurde mit neuen, eingeschossigen Bauten und vertikalen Erschließungsblocks ausgefüllt. Sie folgen ungefähr dem Verlauf der alten Mauern um die Gefängnisanlage, die niedergerissen wurden. Außerdem bemühten sich die Architekten, den ausgeprägten Gefängnischarakter zu überwinden, insbesondere die fehlende Belichtung der Innenräume. Zu diesem Zweck wurde die gesamte Dachkonstruktion – die sich laut Sevillano in sehr schlechtem Zustand befand – abgetragen und eine neue geschaffen, die über große Fenstergaden für natürliche Belichtung sorgt. Die Pavillons wurden vollständig entkernt und innerhalb der alten Außenmauern neue, freitragende Stahlskelette eingezogen. Diese stärken das ursprüngliche Mauerwerk, welches nun keine konstruktiven Lasten mehr aufnimmt.
Die neuen Bauteile sind in leichten, lichtdurchlässigen Materialien ausgeführt, in Kontrast zum schweren Backstein und den kleinen Fenstern der Gefängniszellen. Große Flächen bestehen aus U-Glas, durch das die leichten Fachwerkträger der Oberlichter zu sehen sind, und aus Zink-Riffelblechen. Die Transformation war durchgreifend: Abgesehen von den Raumproportionen und Fensteröffnungen sind alle Spuren der ursprünglichen Nutzung verschwunden. Wände, Decken und Böden sind allesamt in Weiß gehalten.
Besonders durchgreifend ist die Veränderung in dem kreuzförmigen Zellenblock, der heute der Bibliothek vorbehalten ist. Die schöne Originalkuppel mit ihren feinen, sich kreuzenden Eisenträgern und einer Ziegelverkleidung wurde ebenso beseitigt wie die zwei Geschosse hohen, eingewölbten und teilweise durch Gitter dramatisch akzentuierten Öffnungen rund um die Vierung und die freitragenden Zugangsbalkone zu den Flügeln. Nach meinem Eindruck haben diese Änderungen dem einzigartigen Raumeindruck ernsthaft geschadet. Immerhin bewahrten die Architekten die eindrucksvolle Höhe des Raumes, die schrägen Decken der Flügel und die räumliche Gliederung der Balkone, während die Kuppel durch eine flach eingedeckte, achteckige Laterne ersetzt wurde. In den beiden Pavillons, die den Zellenblock beidseitig flankieren, geben die Dachbinder der kastenartigen Lichtgeschosse, die die oberen Räume überspannen, den dort untergebrachten Multifunktionsräumen eine dramatische Anmutung, die sie zuvor nicht hatten.
In den neuen eingeschossigen Gebäuden, die die Lücken schließen, finden sich Lichtschächte und Freiflächen. Die Verteilerhalle, die den Hof zwischen den vier Altbauten ausfüllt, ist in der Mitte durch eine Reihe kleiner, runder Höfe perforiert und von den Seitenpavillons durch Lichtschneisen getrennt. Die Architekten wollten hier offenbar einen grenzenlosen Raum schaffen. Zudem wurden die vier Ecken zwischen den Flügeln des Zellenblocks mit U-Glas umschlossen. In diesen Außenräumen sind freistehende Pavillons mit Räumen untergebracht, in denen man sich treffen oder lernen kann. Das ursprüngliche Verwaltungsgebäude, das dem Zellentrakt gegenüber steht, hat seine Bedeutung als straßenseitige Hauptfassade des Komplexes bewahrt. Um das untere Geschoss haben die Architekten eine neue Raumschicht herum gezogen, die einen neuen Eingang und daneben auf der einen Seite die Cafeteria und auf der anderen die Kinderkrippe aufnimmt.
Projektbremse Regierungswechsel
Noch ehe das neue Zentrum eröffnet werden konnte, verlor der sozialistische Bürgermeister die Kommunalwahlen im Mai 2011 an die Volkspartei. Die neue Stadtverwaltung legte die Planungen zur materiellen und personellen Ausstattung des Zentrums auf Eis. Statt eines Kultur- und Bürgerzentrums soll nun ein Innovations- und Gründerzentrum in dem Komplex untergebracht werden, das neue Arbeitsplätze schaffen soll. Angekündigt wurde zudem, einen Teil des Geländes an einen Privatinvestor zu verkaufen, der ein Zentrum für Senioren, die an Alzheimer oder Demenz leiden, eröffnen will. Diese Pläne sind bislang noch nicht umgesetzt worden, aber das Ziel ist klar: Trotz des öffentlichen Bedarfs soll das von den Sozialisten initiierte Projekt auf jeden Fall gestoppt und durch ein eigenes ersetzt werden, das die Konservativen für sich verbuchen und propagandistisch ausschlachten können. In der spanischen Politik sind solche „Vergeltungsschläge“ zwischen gegensätzlichen politischen Lagern nur allzu häufig.
Zur gleichen Zeit, als Bürgermeister Gallego die Wahl verlor, fror die spanische Zentralregierung die Finanzierung für die landschaftsarchitektonische Gestaltung des Geländes ein; der Entwurf von Exit Architects sah unter anderem Spielflächen für Kinder und weitere Einrichtungen vor. Kurze Zeit später, im November 2011, gewann die Volkspartei auch die spanischen Parlamentswahlen und löste die sozialistische Regierung ab. Heute erscheint es angesichts empfindlicher, alle Ebenen erfassender Kürzungen der Staatsausgaben als unwahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren irgendwelche Fortschritte hin zur Eröffnung oder Umwandlung des Zentrums erzielt werden. Und so steht das fertige Gebäude ungenutzt und ungewartet herum. Architekt Ángel Sevillano berichtet, dass sich im Winter auf den Flachdächern Pfützen bildeten und Wasser ins Gebäude eindrang, weil die Dachrinnen nicht gereinigt wurden. Wie lange wird es wohl dauern, bis das Gebäude erneut eine Ruine ist?
Hinsichtlich der Frage, wie sich dermaßen komplexe historische Gebäude sanieren und für neue Nutzungen adaptieren lassen, muss auf die offenkundigen Widersprüche in der Zielvorgabe hingewiesen werden: Einerseits sollten die Architekten den historischen Komplex bewahren. Andererseits sollten sie alle Elemente – die Gitterstäbe, die dunklen Räume, die metallene Dachkonstruktion und so weiter – beseitigen, die das Gebäude als Gefängnis kenntlich machten und die, aus guten Gründen, für die neue Nutzung als ungeeignet empfunden wurden. Wäre es dann nicht besser gewesen, das Gefängnis abzureißen und durch einen Neubau mit zeitgemäßen Räumen zu ersetzen? Sevillano räumt ein, dass ein Neubau weit weniger gekostet hätte als der Umbau, bei dem die alten Außenmauern erhalten wurden. Die Gebäude hatten an sich nur einen geringen architektonischen oder historischen Wert, selbst wenn sie durchaus ein regionales Wahrzeichen sind – berühmt ist die Stätte vor allem als eines der Gefängnisse, in denen der Dichter Miguel Hernández, der schließlich im Gefängnis von Alicante an Gelbfieber und Tuberkulose starb, nach dem Bürgerkrieg inhaftiert war.
Eine weitere Option wäre gewesen, sich auf viel bescheidenere Eingriffe zu beschränken, die alten Pavillons mit geringen Kosten zu sanieren und ihre Anmutung weitgehend beizubehalten. Dieser Ansatz wurde beispielsweise bei Madrids Tabacalera verfolgt, einer aus dem 18. Jahrhundert stammenden leerstehenden Tabakfabrik. Das Kulturministerium übergab das Gelände zur zeitweiligen Nutzung an Nachbarschaftsorganisationen, die nun ohne Hierarchie in den nicht restaurierten Gemäuern zu einem Bruchteil der Betriebskosten genau die sozialen Aktivitäten entfalten, die sich die Bürger von Palencia für ihr Zentrum wünschten. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Bürgerinitiativen das Vakuum ausfüllen, das durch die Unfähigkeit des Staates, grundlegende öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen, entsteht. Warum also sollte man mit der ehemaligen und künftigen Ruine in Palencia nicht genauso verfahren?
Übersetzung aus dem Englischen: Christian Rochow
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