Neue Haymat Dorf
Text: İlk, Çağla, Berlin; Pressel, Dietrich, Siegen; Schwalbach, Gerrit, Siegen
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Burbach-Holzhausen
Ulrich Krumm
Burbach-Holzhausen
Ulrich Krumm
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Kanstamonu (Türkei)
Gerda Wülfken
Kanstamonu (Türkei)
Gerda Wülfken
Migration wird meist als städtisches Phänomen betrachtet, doch auch auf dem Dorf verändert sich die Bevölkerungsstruktur. Viele Einwanderer ziehen in die historischen Ortszentren, während die Alteingesessenen seit Jahrzehnten die neuen Einfamilienhausgebiete am Ortsrand bevorzugen.
Die historische Bausubstanz entspricht oft nicht mehr heutigen Wohnbedürfnissen, ist baufällig geworden und daher günstig zu erwerben. Wie nimmt die seit Generationen ansässige Mehrheitsbevölkerung diesen Prozess wahr?
In Burbach-Holzhausen, einem Fachwerkdorf im Siegerland, ist eine Auseinandersetzung über die neue und die alte Heimat im Gange. Bis in die achtziger Jahre hinein drohte die Ortsmitte Holzhausens zu veröden. Überwiegend türkische Familien kauften die leerstehenden Fachwerkhäuser im Ortskern und setzten sie instand. Heute wohnt dort bereits die zweite Einwanderergeneration: Jeder zehnte Holzhausener hat keinen deutschen Pass, jeder sechste einen Migrationshintergrund. Die einzigen Geschäfte in der Dorfmitte sind die Sparkasse, ein Hotel und ein Dönerimbiss.
Der 1952 gegründete Heimatverein Holzhausen sah durch die unterschiedlichen Überformungen der Fachwerkhäuser das historische Ortsbild gefährdet und erarbeitete Vorschläge für eine Gestaltungssatzung, die von der Stadtverwaltung entwickelt und 2010 vom Stadtrat beschlossen wurde. In der Präambel ist zu lesen, dass „Heimat nur dort erhalten werden kann, wo sich aus architektonischer Vielfalt und geschichtlichem Reichtum ein unverwechselbares Ortsbild ergibt, mit dem sich die Bewohner identifizieren können.“ Ein Satz, dem sicher auch viele Einwanderer zustimmen würden, nur dass sie aufgrund ihrer Migrationserfahrung auch andere Bilder von Heimat mitbringen. Die baulichen Konfliktlinien laufen jedoch nicht eindeutig zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen, sondern sind komplexer. So schätzen die Mitglieder des Heimatvereins die Wiederbelebung des Dorfkerns durchaus; die Käufer sollten vorab nur wissen, welche Beschränkungen es für Umbauten gibt. Die Beispiele zweier türkischer Hauseigentümer zeigen, dass diese den Heimatbegriff durchaus unterschiedlich interpretieren: So kaufte eine türkische Familie in den achtziger Jahren ein altes Wohnhaus, befreite die Fassade von Asbestplatten, die der Voreigentümer angebracht hatte, und ließ sie ortstypisch mit Schiefer verkleiden. Die Familie investierte darüber hinaus mehrere tausend Euro in die Pflasterung und Möblierung des neuen „Europaplatzes“, der vor ihrer Haustür liegt, und 2010 mit Zuschüssen aus einem Dorferneuerungsprogramm und Eigenmitteln der Anwohner neu gestaltet wurde.
Ein anderes Beispiel ist ein türkischer Gastarbeiter, den die Holzhausener Architektur an die osmanischen Fachwerkhäuser seiner Heimatstadt Kastamonu am Schwarzen Meer erinnert. Er baute sein Haus ebenfalls um und fügte ihm einen Holzerker mit Sitzgelegenheit à la Kastamonu hinzu – ein direkter Import dessen, was für ihn Heimat ausmacht.
Obwohl die neu Zugezogenen mit viel Eigenleistung einige ortsprägende Häuser vor dem Verfall bewahrt haben, bestehen die Alteingesessenen auf ihrer Vorstellung des Ortsbildes. Für alle künftigen Bauvorhaben gilt die Gestaltungssatzung für den historischen Ortskern, die die Verwendung bestimmter Materialien und Farben vorschreibt – ohne auf die sehr unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten und Baukulturen der Holzhausener einzugehen. Satzungsrecht klärt jetzt die bauliche Identität des Ortes und schreibt den Zugezogenen letztendlich vor, ihre neue Heimat nach dem Heimat-Sehnsuchtsbild der Mehrheitsgesellschaft zu gestalten.
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