Bauwelt

Neurologische Klinik


Neurowissenschaftlich begründete Planung


Text: Riepe, Matthias W., Ulm


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    Wade Zimmerman

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Ein aktueller Forschungsbericht zur besseren Orientierung in Gebäuden bei Beeintächtigung der geistigen Leis­tungsfähigkeit, passend illustriert mit dem Neubau der Neurologischen Klinik in Las Vegas von Frank O. Gehry.
Das klinische Bild der Demenz ist gekennzeichnet durch eine Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit. Zu Beginn der Alzheimer-Erkrankung tritt die Beeinträchtigung von Gedächtnis und räumlicher Orientierung auf. Für die Aufrechterhaltung der Autonomie des Menschen ist die räumliche Orientierung von besonderer Bedeutung. Bereits in einem frühen Stadium der Erkrankung gelingt es dem Betroffenen meistens nicht mehr, Besorgungen für den täglichen Bedarf selbständig zu erledigen und Termine selbständig wahrzunehmen. Noch stärker und früher als in einem bekannten Umfeld tritt dieses Problem in unbekannten Umgebungen auf.
Die Herausforderungen für die Architektur in Zeiten des demographischen Wandels sind daher vielfältig: Wie kann gewährleistet werden, dass die Gestaltung öffentlicher Räume Menschen mit beginnenden kognitiven Einschränkungen hilft, dass sie sich weiterhin in ihnen zurechtfinden? Was gilt es zu berücksichtigen, damit sie sich möglichst autonom orientieren und bewegen können?
Diese Problematik muss nicht allein unter ästhetischen Gesichtspunkten einzelner Architekten oder durch bürokra­ti­sche Richtlinien angegangen werden. Vielmehr können einige Voraussetzungen dafür, wie Räume beschaffen sein sollten, neurowissenschaftlich begründet werden. In Bezug auf betreute Wohnanlagen und Pflegeheime ist es das Ziel, dass die Gestaltung der Einrichtungen auf eine Weise erfolgt, dass sich die Bewohner ohne Hilfe durch das Pflegepersonal allein zwischen den eigenen Räumen und den Gemeinschaftsräumen sowie den Räumen zur sanitären Versorgung orientieren können.
Neurowissenschaftlich können zwei Strategien der Navigation, d.h. der Orientierung im Raum, unterschieden werden. Auf der einen Seite haben wir die allozentrische Navigation, der dem Wortsinn gemäß „sich auf die Welt beziehende“ Repräsentationen der Umwelt zugrunde liegen. Hierbei erfolgt die Orientierung unter Einbeziehung von Objekten aus der Umwelt, sogenannter Landmarken, und weniger anhand der Verarbeitung räumlicher Koordinaten.
Auf der anderen Seite gibt es die egozentrische Navigation, die davon bestimmt wird, dass genau diese räumlichen Koordinaten (Entfernun­gen, Winkel usw.) im Gehirn verarbeitet werden und diese Koordinaten – etwa über einen immer wieder gegangenen Weg – bei der Bewegung eingespielt werden.

Experimente mit Nagern

Medizinisch und neurowissenschaftlich ist nun von Bedeutung, dass die Netzwerke der allozentrischen und egozentri­schen Navigation in unterschiedlichen Hirnregionen verankert sind. Je nachdem, welche Orientierungsstrategie demente Patienten benutzen – wobei Geschlecht und Stadium der Erkrankung einen Einfluss haben –, kann das Navigationsverhalten nicht oder sehr schwerwiegend betroffen sein. Belege hierfür liegen sowohl aus tierexperimenteller Grundlagenforschung als auch aus der Analyse des Verhaltens von Probanden vor. Zum Beispiel werden in geschlechtsabhängiger Weise unterschiedliche Navigationsstrategien bevorzugt – auch dies ist in Tierexperimenten mit Nagern den Ergebnissen der Untersuchung von Probanden und Patienten gleich. Je nach den Funktionen, für die die Räume ausgelegt sind, kann es angemessen sein, eher den Vor­aussetzungen für eine allozentrische oder für eine egozentrische Navigation Aufmerksamkeit zu schenken. Ob ein Grundriss im Vergleich zu anderen Grundrissen besser oder schlechter geeignet ist, wenn es um die Orientierung von Patienten geht, muss also nicht erahnt werden, sondern kann mit neurowissenschaftlichen Methoden untersucht werden.
Nun mag voreilig geschlussfolgert werden, dass räumlich sinnvolle Voraussetzungen für egozentrische und allozentrische Navigation überlagert werden können und es dann möglich ist, beide kognitiven Strategien bei dem Patienten gleichermaßen anzusprechen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da auf der anderen Seite komplexe Raumstrukturen die Bewältigung anderer Aufgaben, zum Beispiel Gedächtnisaufgaben, erschweren. In einer kürzlichen Studie der eigenen Arbeitsgruppe konnte gezeigt werden, dass bei Alzheimer-Patienten bei der Navigation in einer komplexen virtuellen Wirklichkeit (also 3-D-Räumen) eine wesentlich stärkere Beeinträchtigung von Gedächtnisinhalten vorliegt als bei der einfachen Wiedergabe von Gedächtnisinhalten ohne Ablenkung durch eine sich ändernde räumliche Umgebung.

Architektonische Forschung

Die Brauchbarkeit eines Grundrisses kann jedoch in einem ersten Schritt neurowissenschaftlich begründet evaluiert werden, bevor, dann wohl erst nach Realisierung im Rohbau, die Nützlichkeit einer orientierungsadäquaten Innengestaltung durch die Untersuchung von Probanden und Patienten ermittelt wird.
Architektur hat für die Medizin eine besondere Bedeutung. Dies betrifft Aspekte der Gesundheitsentwicklung bei psychia­trischen Erkrankungen ebenso wie die hier diskutierte neurowissenschaftliche Fundierung der Grundrissplanung und Innengestaltung von öffentlichen Räumen, Krankenhäusern und Pflegeheimeinrichtungen.
In Zeiten ökonomischer Knappheit sollte sich auch die Architektur der Herausforderung stellen, etwaige Mehraufwen­dungen nicht nur unter Berücksichtigung von ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten, sondern Nutzbarkeit messbar zu machen. Ein wichtiger Schritt wäre deshalb, auch neurowissenschaftliche Erkenntnisse für die architektonische Gestaltung innen und außen zu berücksichtigen. In der Medizin ist es inzwischen üblich, auch danach zu fragen, in welchem Verhältnis ökonomische Aufwendungen und funktionaler Nutzen stehen, und die Empfehlungen zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen daran auszurichten. Auch Mehraufwendungen für Architektur müssen in Zeiten finanzieller Zwänge unter diesen Gesichtspunkten betrachtet werden. Ist es wichtiger, eine Gruppe von zehn demenzerkrankten Menschen über einen Zeitraum von zehn Jahren konsequent medikamentös zu behandeln (Aufwand etwa 100.000 Euro), oder könnte diese Summe besser eingesetzt sein, wenn sie für Maßnahmen im Rahmen der Architektur verwendet wird? Und nicht zuletzt: Was bedeuten solche Entscheidungen für die funktionelle Qualität des Lebens für Patienten mit Demenz? Um die Beantwortung dieser Fragen werden die Architekten und die Gesellschaft nicht herumkommen, wenn sie Finanzmittel verantwortungsvoll ausgeben wollen. Die Zeit drängt.
 



Fakten
Architekten Frank O. Gehry, Los Angeles
aus Bauwelt 26-27.2010

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