Obscured Horizon
Text: Thein, Florian, Berlin
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Winter-Pavillon
Florian Thein
Winter-Pavillon
Florian Thein
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Sommer-Pavillon
Iwan Baan
Sommer-Pavillon
Iwan Baan
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Frühling-Herbst-Pavillon
Iwan Baan
Frühling-Herbst-Pavillon
Iwan Baan
Als Wochenenddomizil erwarb Jerry Sohn, Kunstsammler aus Los Angeles, vor einigen Jahren eine ehemalige Ranch in der kalifornischen Mojavewüste. Arata Isozaki, ein langjähriger Freund, hat für das Gelände drei Pavillons aus Ortbeton geplant, in denen man unter freiem Himmel schlafen kann. Bauwelt-Redakteur Florian Thein hat dort eine Nacht verbracht.
„We can’t stop here. This is bat country“
Hunter S.Thompson, Fear and Loathing in Las Vegas
Ein paar Motels und Casinos der günstigeren Kategorie stehen entlang des Highway 15 im Sand verstreut; hinter der Stadtgrenze von Las Vegas wird die Besiedlung spärlicher: hier eine Tankstelle, dort ein Diner, „abandoned places“, zurückgelassene Behausungen, die Fenster mit Brettern vernagelt. Die Mojavewüste ist natürlicher Lebensraum für Klapperschlange, Skorpion und Fledermaus. Dem Menschen verlangt die schöne Kargheit einige Entbehrungen ab.
Bei Barstow verlasse ich den Highway. Die Straßen werden schmaler. Nach 80 Meilen gelange ich nach Pioneertown – eine Kulissenstadt, 1946 von Gene Autry und Roy Rogers als Set für Westernfilme errichtet. Heute leben hier sonnenhungrige Rentner und Dropouts, aber auch Künstler in Trailern, die das einfache Leben in der Wüste dem nervösen Los Angeles vorziehen. Wasser wird aus der nächsten Stadt geliefert oder aus tiefen Brunnen gepumpt, Internet gibt es nur vereinzelt via Satellit und in Modemgeschwindigkeit.
Auf dem Parkplatz von „Pappy’s“, dem einzigen Diner am Ort, bin ich mit Jason verabredet. Der gelernte Zimmermann mit Vollbart, Arbeiterhemd und Hornbrille betreibt mit seinem Mitarbeiter Moses eine Baufirma. Nach den Plänen Arata Isozakis haben sie die drei Pavillons aus Ortbeton in die Wüste gegossen.
Die Sonne geht gerade unter, als Moses mich über das Gelände führt. Gegen den dunkelblauen Abendhimmel zeichnen sich die Joshua Trees ab. Zwischen den Felsformationen erscheinen schemenhaft Installationen. Künstlerfreunde von Jerry Sohn haben ihre Arbeiten über das Gelände verteilt – eine übergroße Perlenkette aus grün-transparenten Kugeln von Richard Long, eine Stahlskulptur von Seth Kinmont. Moses schläft nicht im Freien. Einmal hätte er das versucht und nur von Schlangen geträumt. Vor denen solle ich mich in Acht nehmen, gibt er mir als Rat mit für die Nacht, das Gift wirke schneller, als man im nächsten Krankenhaus sein könne.
Zum ersten Mal fällt mir der Sternenhimmel auf – unglaublich klar, kein bisschen vom Licht der Städte verschmutzt. Von der auf einem Hügel gelegenen Rancher-Hütte windet sich ein sandiger Weg abwärts. Als erste der drei Schlafstätten schält sich der Winter-Pavillon aus der Dunkelheit. Ein geschlossener Kubus, der in Wüstennächten vor den kalten Winde schützt. Große Glasflächen in Wand und Decke lassen dennoch das Gefühl aufkommen, im Freien zu liegen. Der an der Glastür angebrachte Hinweis, vor dem Öffnen den Boden von Sand zu befreien, verrät die Feinheiten der Planung: Das sehr geringe Spaltmaß verhindert, dass Skorpione unter der Tür hindurch passen. Obwohl die Regenwahrscheinlichkeit für diese Nacht bei ungewöhnlich hohen zwanzig Prozent liegt, erscheint mir der Winterpavillon, auch wegen der relativ hohen Innenraumtemperatur, nicht als erste Wahl.
Einige Schritte weiter, eine Betontreppe mit aufgelegter Platte. Keine Wände, kein Dach – der Sommer-Pavillon. Probeweise lege ich mich auf die offene Ebene. Für die angekündigte Witterung fühle ich mich etwas zu schutzlos. Außerdem teile ich den von Jason beschriebenen Eindruck eines kultischen Opferaltares, von dem einen des Nachts im Mondlicht ein großer Vogel abholt. Ich entscheide mich für den dreiseitig offenen, tonnenförmig überdachten Frühling-Herbst-Pavillon. „Obscured Horizon“, in etwa „verschleierter Horizont“, hat der Künstler Lawrence Weiner mit gelben und roten Pinselstrichen an die Außenwand geschrieben. Die Worte gefielen Isozaki so sehr, dass er sie als Titel für die Pavillons übernommen hat.
Über drei Stufen erreicht man die erhöhte Schlafebene, die für zwei Personen ausreicht. Allzu viel bewegen sollte man sich allerdings nicht. Der Beton der Liegefläche ist hart, aber angenehm glatt und ohne Fugen makellos geschalt. Wie das Summen einer Hochspannungsleitung legt sich das Zirpen der Grillen über die Nacht. Von der nächsten, einige Meilen entfernten Ranch schallt Hundegebell herüber. Gelegentlich scharren und fiepen Feldmäuse. Später in der Nacht verstummt das Gebell. In nicht bestimmbarer Entfernung heulen Kojoten. Diese seien aber eher feige und näherten sich Menschen in der Regel nicht, hatte Jason erklärt.
Drei Uhr: Der Beton gibt die gespeicherte Wärme des Tages stetig ab, dennoch wird es deutlich kühler. Es weht ein konstanter Luftzug, ähnlich wie bei den häufig zu kalt eingestellten Klimaanlagen der Motels. Der dünne Schlafsack ist nicht winddicht und ich muss mir Kleidung aus dem Kofferraum besorgen.
Sechs Uhr: Die aufgehende Sonne weckt mich aus einem leichten Schlaf und taucht die Umgebung in ein tiefes Orangerot. Die Pavillons verschmelzen mit den Felsformationen, ihre geometrischen Grundformen zeichnen scharfe Schatten in den Sand. Bei Tageslicht wird die Wüste zum Landschaftsgarten. Arata Isozakis Follies sind plötzlich ganz nah an den „Fabriques“, den skulpturalen Landschaftsstaffagen seines Vorbildes Claude Nicolas Ledoux.
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