Ørestad-Gymnasium
Text: de Waal, Allan, Kopenhagen
Allan de Waal entdeckt in den Räumen des Ørestad-Gymnasiums ein offenes Konzept, das die Lehrer zwar nicht überflüssig macht, aber auf geschlossene Klassenräume fast völlig verzichtet. Mit architektonischen Mitteln wird die Schule zu einem Großraum, in dem verschiedene Unterrichtsformen gleichzeitig praktiziert werden können.
Das Gymnasium in Ørestad, dem neuen Stadtteil von Kopenhagen, sorgt spartenübergreifend für Aufsehen: Zum einen wurde die Schule als vorbildliche Architektur prämiert, zum anderen gilt das Gebäude als Bereicherung der Schulpädagogik und wird oft in internationalen Debatten als Beispiel dafür angeführt, wie ein Schulbau das Lehrkonzept unterstützt, ja sogar zu dessen Bestandteil wird.
Steht man auf der obersten Geschossebene und blickt durch die vier gegeneinander verdrehten Geschosse hinab in das Multi-Foyer, kann einem fast schwindelig werden. Nicht nur, weil einige der Schüler der Versuchung nicht widerstehen können, das geschwungene Treppengeländer herunterzurutschen; und auch nicht deswegen, weil die Aula so groß und hell ist und einen weiten Ausblick in die umgebende Landschaft bietet; sondern, weil deutlich spürbar ist, dass das Ørestad-Gymnasium eine neue Auffassung zeitgemäßer Pädagogik sicht- und erlebbar macht.
Farbige Sitzkissen auf den „Dächern“ der zylinderförmigen Auditorien lassen freie Lounges entstehen, neben Klassenzimmern mit Glaswänden gibt es vollkommen offene Gruppenbereiche mit runden Computertischen auf jeder Etage. Was aber ist der Vorteil von so viel Offenheit und Sichtbarkeit? Erhofft man sich, dass die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit zu positiven Mitnahmeeffekten „en passant“ führt?
Nein. Vielmehr sollen die Lehrer reflektieren, welche Unterrichtsform sie für passend erachten; welchen Raum sie für welchen Zweck benötigen – klassischer Frontalunterricht, Gruppenarbeit oder fächerübergreifender Unterricht in einem der zylinderförmigen Mehrzweckräume? Das Gymnasium bietet Platz für rund 1000 Schüler und 100 Lehrer, und obgleich hier vieles beispiellos und neu ist, sind es weiterhin die Lehrer, welche die Verantwortung für den Unterricht tragen, während die Schüler ihre Pflichten erledigen müssen und verantwortlich dafür sind, dass sie etwas lernen.
Überall im Haus herrscht reges Treiben. Die breiten, frei stehenden Wendeltreppen sind die Treffpunkte. Die Bereiche für das Selbststudium verteilen sich zwischen den festen Glaswänden und den kreisrunden Regalsystemen. Dennoch ist der Geräuschpegel moderat. Es herrscht Konzentration bei den Computern oder bei den Gruppentischen, auch wenn einmal viel „Verkehr“ ist und jedermann alles sehen und beobachten kann.
Die Lehrerschaft hat einen geschlossenen Besprechungsraum, der auch für vertrauliche Lehrer-Schüler-Gespräche genutzt wird. Ansonsten haben die Lehrer (Durchschnittsalter: 40 Jahre) ebenfalls offene Arbeitsplätze, bleiben also für jedermann sichtbar, wenn sie sich nachmittags in der Schule aufhalten, während die Schüler sich entspannen oder ihre Aufgaben erledigen. Bei dringenden fachlichen Fragen können sich die Schüler jederzeit an die Lehrer wenden.
Das Gebäude wurde von Kim Herforth Nielsen entwickelt, einem der drei Partner von 3XN. Das Prinzip des zentralen offenen Foyers haben die Architekten in den letzten Jahren bei mehreren Bürogebäuden, zum Beispiel bei der Sparkasse Kronjylland in Randers (2002), wie auch bei Kulturbauten, so beim Muziekgebouw in Amsterdam (2005), angewandt und weiterentwickelt: Gebäudehohe Atrien führen Tageslicht tief ins Gebäudeinnere, um bei der Umsetzung des Programms größere Freiheiten zu erhalten.
Von außen wirkt das Ørestad-Gymnasium, das sich in Nachbarschaft zu einem Einkaufszentrum und Bürogebäuden befindet, selbst ein wenig wie eine Unternehmenszentrale. Drehbare senkrechte Glaspaneele in dezenten Farben dienen als Sonnenschutz, lang gezogene Balkone sind in die Fassade eingeschnitten. Im Inneren ist alles darauf angelegt, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen zu verwischen, wie es in den draht- und hierarchielosen Arbeitswelten der Medien-, Kultur- oder IT-Branche seit langem erwartet wird.
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