Baugruppenprojekt H6 in Berlin
Straßenlärm, Zugverkehr, ein verwinkeltes Grundstück: Am Berliner Gesundbrunnen stemmt sich ein Betonfels gegen die Widrigkeiten seiner Umgebung. Halt und Ruhe findet das Wohnhaus hinter massiven Wänden in Plattenbauweise.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
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Hinter Büschen, Bäumen und Lärmschutzwall: Südostseite des Baugruppenprojekts an der Hochstraße
Foto: Till Budde
Hinter Büschen, Bäumen und Lärmschutzwall: Südostseite des Baugruppenprojekts an der Hochstraße
Foto: Till Budde
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Südseite
Foto: Till Budde
Südseite
Foto: Till Budde
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Im 5. Obergeschoss: Vor allem die Wohn- und Essbereiche der Wohnungen fallen unterschiedlich aus.
Foto: Till Budde
Im 5. Obergeschoss: Vor allem die Wohn- und Essbereiche der Wohnungen fallen unterschiedlich aus.
Foto: Till Budde
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Seite zur Hochstraße vor Fertigstellung. Zum Hauseingang an der Nordseite führt rechts eine Treppe hinab
Foto: Nils Koenning
Seite zur Hochstraße vor Fertigstellung. Zum Hauseingang an der Nordseite führt rechts eine Treppe hinab
Foto: Nils Koenning
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Blick auf den spitzen Balkon am Trapez-Ende
Foto: Till Budde
Blick auf den spitzen Balkon am Trapez-Ende
Foto: Till Budde
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Die Architekten haben es nicht leicht. Ständig werden sie dabei unterbrochen, den Wohnriegel zu erläutern, der neben ihnen steht. Ein Lastwagen poltert die Straße hinab, in der Ferne heult eine Sirene und dann, ein Zug, der hinter einem Lärmschutzwall vorbeirauscht wie eine tosende Welle. Regine Siegl und Christoph Roedig kämpfen mit ihren Stimmen. Leicht fällt es ihnen dagegen, die schwierige Ausgangslage des Baugruppenprojekts im Berliner Bezirk Mitte nachvollziehbar zu machen. Ein Restgrundstück in Dreiecksform, umgeben von der stark befahrenen Hochstraße und mehreren Bahngleisen für den Nah- und Fernverkehr.
Als das Grundstück 2014 vom Bundeseisenbahnvermögen verkauft wurde, war die Baugruppe H6 auch der einzige ernstzunehmende Interessent. Dabei waren die 300 Euro pro Quadratmeter ein unschlagbar günstiger Kaufpreis. Wie aber, hätte sich wohl jeder Investor gefragt, soll hier ein bewohnbares Haus entstehen?
Die Berliner Architekturbüros roedig.schop und sieglundalbert hatten bereits eine Antwort auf der Festplatte. Nachdem sie 2012 das 2150 Quadratmeter große Stückchen Land entdeckt hatten, entschieden sie sich für eine Kooperation, aufbauend auf ihrer gemeinsamen Erfahrung für das Berliner Baugruppenprojekt Dennewitz Eins in Schöneberg (
Bauwelt 14.2014). Reihenweise bastelten sie Modelle, klebten Hochpunkte an, schlugen sie wieder ab, schnippelten an der Kubatur und wählten schließlich eine im städtebaulichen Repertoire eher seltene Form: das Trapez. Mit diesem trapezförmigen Grundriss zogen die Planer sowohl die Längsseite des dreieckigen Grundstücks nach und nahmen seitlich die Straßenflucht auf, als auch die benachbarte Wohnzeile. Das Haus platzierten sie dafür wie eine sechsgeschossige Schallschutzwand an den Nordrand und dämmten so den Zuglärm vom südlichen Gartenbereich ab. Der Straßenlärm soll durch eine hügelige Einfriedung wenigstens gemindert werden.
Mit ihrer Projektidee begaben sich die Architekten auf die Suche nach einer Baugruppe als Bauherrn und Grundstückskäufer. Per Mundpropaganda war eine Kerngruppe schnell gefunden, andere der 36 Parteien – darunter Familien, Paare, Singles, Akademiker wie Handwerker – folgten. Die Arbeit teilten sich roedig.schop und sieglundalbert dabei nicht nach Leistungsphasen, sondern Geschoss für Geschoss. So sprach jeweils ein Büro mit den zukünftigen Nachbarn eines Geschosses deren Wohnwünsche durch. Die Grundrissgestaltung wiederholte sich dabei zwar in ihren Grundzügen, ließ aber Spielraum – von zusätzlichen Wänden, über die Eingangssituation bis zur Parkettwahl. Wirken die 60 bis 115 Quadratmeter großen Wohnungen auf den Plänen wie enge Längsstreifen, ist davon beim Betreten wenig zu spüren. Nicht nur, weil im südlichen Teil jeder Wohnung gläserne, dreieckige Balkonnischen auf den sattgrünen Hügel des Volksparks Humboldthain blicken lassen. Sondern auch, weil die langen Achsen der von Nord nach Süd durchgesteckten Wohnungen bis zu 25 Meter tiefe Sichtbeziehungen ermöglichen. Die spitzen Winkel, die die Trapezform ebenfalls nach sich zieht, verlangen für einige Zimmer kreative Nutzungs- und Möblierungsideen. Gerade hierin liegt aber auch eine gegenüber bekannten Grundrissen sympathische Charaktereigenschaft des Hauses, die ihren Höhepunkt in den spitz zulaufenden Ostbalkonen finden. Wer hier steht, blickt vom Geländer auf den Verkehrsfluss hinab wie von der Reling eines Schiffsbugs.
Weiter Ausblick, niedrige Kosten
Für die Bewohner sicher ein gewichtiges Plus: Die sorgfältige Ausführung des Hauses, die sich bis zum gemeinschaftlichen Dachgarten durchzieht, blieb bezahlbar. Die Gesamtkosten (inklusive Grundstückspreis) betrugen pro Quadratmeter unter 2900 Euro, etwa 1900 Euro davon entfielen auf die Baukosten.
Nicht zuletzt handelt es sich bei dem Projekt H6 um einen Plattenbau, „wenn auch etwas individueller geplant, als das, was wir sonst mit einem Plattenbau verbinden“, so Architekt Christoph Roedig. In vier bis fünf Tagen wurde ein Geschoss in die Höhe gezogen und Platte neben Platte gesetzt. Die Betonkonstruktion aus kerngedämmten Sandwichelementen der Firma Allton – als Fassade versehen mit einer unter Architekten derzeit beliebten Rillenstruktur – war nötig, um den Erschütterungen und dem Lärm des Zugverkehrs eine ordentliche Masse entgegenzusetzen. Auch die Fenster mit Dreifachverglasung und Stahleinfassung (Schallschutzklasse 4) tragen dazu bei, dass beim Blick aus den Räumen die Züge stumm vorbeiziehen wie Fische im Aquarium.
Es mag ärgerlich sein, dass das Warten auf die Baugenehmigung und Verhandlungen mit der Bahn den Baubeginn um Monate verzögerten. Blickt man aber von einem Balkon auf die Baumkronen des Humboldthains oder vom Humboldthain zurück aufs Haus, wird klar: Der lange Atem hat sich ebenso gelohnt wie das Wagnis, an diesem Ort einen Wohnungsbau zu planen.
Fakten
Architekten
ARGE H6: roedig.schop Architekten, Berlin; sieglundalbert Architekten, Berlin
Adresse
Hochstraße 6a 13357 Berlin
aus
Bauwelt 17.2018
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