Bauwelt

Ruhrmuseum


Herzkammer des Reviers


Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf


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    Brigida González

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Kein deutsches Museum der letzten Jahre hat ein derart suggestives romantisch-düsteres Interieur aufzuweisen. Angesichts der kniffligen Denkmalvorgaben, wie mit dem grandiosen Maschinenpark der ehemaligen Kohlenwäsche umzugehen sei, musste der Architekt HG Merz den Museumsparcours „in das Vorhandene hineinkomponieren“.
Sie ist die Herzkammer des Reviers, die ehemalige Kohlenwäsche auf Zeche Zollverein. Hier, in dem größten Übertagebau der Zeche, wurde das „schwarze Gold“ durch eine ebenso komplexe wie hochrationelle Maschinenapparatur gewaschen und sortiert und so zur Weiterverarbeitung in einen transpor­tablen Energieträger verwandelt. Entsprechend sensibel waren seit der Zechenstilllegung 1986 und den 2003 begonnenen Umbaumaßnahmen durch das Office for Metropolitan Architecture und das Essener Büro Böll und Krabel die Fragen der Entwicklung und Gestaltung dieses denkmalgeschützten Monuments der industriellen Moderne, das sich nun als neues Ruhrmuseum dem Publikum öffnet. Hier stand nie nur Ästhetisches zur Debatte, es ging immer auch um die Identität des Reviers. Der Ort ist Symbol für den Strukturwandel der Region. Seit 2001 ist man Unesco-Weltkulturerbe und als zentraler Ort der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 räumlicher wie ideeller Zugang zu einer Welt von mythischen Dimensionen. Von Krupp bis Schimanski, vom Büdchen an der Ecke (an dem sich die Zechenarbeiter ihr Trinkwasser holten) über Yves Kleins „Gelsenkirchener Blau“ (für das Musiktheater im Revier) bis zu neuen Modellen integrierter Stadt- und Landschaftsräume (IBA Emscher Park) – die Facetten (das Museum spricht von „Phänomenen“), die in diesem Regionalmuseum neuen Typs Platz finden, bilden ein enzyklopädisches Geschichtsinventar, das zwar regional geprägt ist, aufgrund seiner wirtschaftli­chen Bedeutung aber auch stets Grundsätzliches andeutet.
Es ist die konzeptionelle Besonderheit des Museums, diese mit der Region verknüpften sozio-ökonomischen Facetten einer 150-jährigen Industriegeschichte in einen erheblich größeren zeitlichen Zusammenhang zu stellen und diesen als exemplarischen Prozess zu erzählen, der seinen Ursprung in den hier freigelegten natur- oder erdgeschichtlichen Schichten besitzt. Dabei erscheinen die einzelnen Sammlungsteile – die geologisch-mineralogischen Funde, die klassische archäologische Sammlung, die kunstgewerblichen Objekte aus vorindustrieller Zeit, die Alltagsobjekte des 19. und 20. Jahrhunderts und schließlich die 2,3 Millionen Bilder umfassende (foto-)dokumentarische Bestandsaufnahme vor allem aus den fünfziger und sechziger Jahren – wie die Phasen eines Zivilisationsprozesses. „Wir wollten – das war seit der mit Karl Ganser entwickelten Denkschrift von 1999 die Idee – nicht nur die Sammlungen des Essener Ruhrlandmuseums auf Zeche Zollverein überführen, sondern sie hier innerhalb eines neuen Gesamtkonzepts in neuer Form präsentieren“, erläutert Direktor Ulrich Borsdorf. „Die Kohlenwäsche als Standort war dabei nie strittig, nachdem die Designthemen mit dem Designzentrum im ehemaligen Kesselhaus ihren Ort gefunden hatten.“ Museo­logische Vorlesungen, die Gründung eines wissenschaftlichen Beirats, Kongresse und ein Ausstellungsreigen zu einzelnen Themen gingen der Einrichtung des Museums voraus, das in der Tat einen ungewöhnlichen Parcours bietet.
„Mit dem Faustkeil zu beginnen, um mit der Gegenwart zu enden, erschien uns zu klischeehaft“, sagt Borsdorf. Daher beginnt der Gang mit den zeitgenössischen Mythen, Bildern und Strukturen des Reviers, um dann in einer Art punktueller Tiefenbohrung die natur- und kulturhistorische Vorgeschichte auszuloten und schließlich den sozialgeschichtlichen Prozess der letzten 150 Jahre bis ins Heute zu verfolgen. Dabei sind vor allem die Seitenblicke nicht nur hinsichtlich der (ansonsten qualitativ durchaus unterschiedlichen) Sammlungen mit das Spannendste: Die bedeutende geologische Sammlung ebenso wie die archäologischen Bestände, die in separierten Räumen ausgestellt und nur qua Provenienz mit dem Revier verbunden sind, demonstrieren das sammlerische Bemühen bürgerlicher Kreise, auch das Revier als Teil des Abendlandes zu vermitteln; andererseits sind sie auch ein Nebenergebnis der weltweiten Suche der Firma Krupp nach neuen Rohstoffen.
Es wird sicher spannend zu beobachten sein, wofür sich die Besucher bei dieser auf 5000 Quadratmeter ausgebreiteten und mehr als 6000 Objekte umfassenden Präsentation interessieren. Die Frage des Denkmalschutzes jedoch, die im Vorfeld lange für Streit sorgte, dürfte mit der Eröffnung beendet sein: „Zu 80 Prozent ist der Maschinenbestand erhalten“, so Borsdorf. Dem Museum ist jedenfalls die Bemühung abzulesen, seine räumliche Gliederung und den Parcour „in das Vorhandene hineinzukomponieren“. Die erfolgten Veränderungen, insbesondere die Versetzung der Fassaden um 15 Zentimeter, waren auch aus klimatischen Gründen unvermeidlich. Vergleicht man das Ergebnis mit anderen spektakulären Neunutzungen von Denkmälern der Industriegeschichte – zum Beispiel der Tate Modern in London –, so ist das Ruhrmuseum jedenfalls weit mehr als eine imposante industrieromantische Kulisse. Es präsentiert sich als ein aufgeräumtes Relikt aus der Spätphase der Kulturgeschichte, deren Frühphase etwa jener ausgestellte versteinerte Ammonit darstellt, der vor 190 Millionen Jahren im Ruhrgebiet lebte.



Fakten
Architekten hg merz architekten museumsgestalter, Stuttgart
Adresse Zollverein A 14, Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen


aus Bauwelt 05.2010

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