Russisch-deutsches Neubaugebiet
Text: İlk, Çağla, Berlin; Pressel, Dietrich, Siegen; Schwalbach, Gerrit, Siegen
Wie eine Gruppe von Immigranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken eine kommunale Investitionsbrache verhindert hat, zeigt das Neubaugebiet Honneroth am Rand der Kleinstadt Altenkirchen im Westerwald.
Ende der siebziger Jahre begann die damals 4500 Einwohner zählende Stadt Altenkirchen mit Planungen für ein umfangreiches Neubaugebiet am nördlichen Stadtrand. Man hatte das Bevölkerungswachstum allerdings zu optimistisch eingeschätzt: Die Vermarktung der Baugrundstücke des zweiten Bauabschnitts lief schleppend, sodass viele Grundstücke günstig angeboten wurden. Seit Anfang der neunziger Jahre zogen immer mehr Einwanderer aus Russland und anderen Staaten der ehemaligen UdSSR in das Gebiet, bauten sich frei stehende Ein- und Mehrfamilienhäuser und ließen schließlich die städtischen Planungsziele aufgehen.
Der Zuzug der „Spätaussiedler“ in das mittlerweile 1500 Einwohner zählende Neubaugebiet Honneroth folgte dem Schneeballprinzip, auch von überregional gelegenen Orten aus. Viele Familien fanden hier, nach Zwischenstationen in Aufnahmelagern, ihren ersten festen Wohnsitz in Deutschland. Die Gründe, nach Honneroth zu ziehen, sind unterschiedlich: Die Bewohner kommen aus derselben Region, sind miteinander verwandt oder berichten von Vorfahren der Urgroßeltern-Generation, die im 18. und 19. Jahrhundert aus dem Westerwald nach Russland ausgewandert waren. Manche wählten den Ort, weil die hügelige Waldlandschaft sie an die frühere Heimat in Russland erinnert.
In Honneroth verschmelzen die Architekturvorstellungen der Einwanderer mit dem ortsüblichen Standard-Einfamilienhaus und bilden eine eigene Typologie. Typische Merkmale sind die hohe Grundstücksausnutzung, da zumeist drei Generationen in einem Haus leben, eine zweite Eingangstür zur Erschließung der Einliegerwohnung für die Großeltern, die Doppelgarage mit Dachterrasse und eine „Datscha“ im Garten. Hinzu kommen importierte Gestaltungsmerkmale, wie die traufseitig zentral platzierte Eingangstür mit ausladender Freitreppe, Ornamente und Stuck an der Fassade, überwölbte Fensterstürze und die gedrechselten Stäbe der Balkon- und Treppengeländer.
Die Spätaussiedler haben einen Planungs- und Bauprozess etabliert, der immer wieder mit denselben Architekten und mit auf Nachbarschaftshilfe basierenden Baukolonnen durchgeführt wird. Arbeitsabläufe und Materialbeschaffung wiederholen sich. Der Gebäudetyp wird auf die jeweilige Grundstückssituation angepasst und schließlich mit hohem Anteil an Eigenleistungen errichtet. Den Hausbau erleben viele Bewohner als Stärkung ihres familiären und nachbarschaftlichen Zusammenhalts. Auch die ethnisch weitgehend homogene Bevölkerung der Wohnsiedlung trägt nach Aussagen der Bewohner zum Zusammenhalt bei.
Im Neubaugebiet Honneroth haben sich Einwanderer baulich eingerichtet, für die bereits bei der Ankunft klar war, dass sie in Deutschland bleiben werden, und die von zahlreichen staatlichen Förder- und Integrationsmaßnahmen unterstützt werden. Sie wandern als Familien ein, oft sogar mit mehreren Generationen, und drücken ihre Bindung an die Heimat durch den Import von Bildern, Symbolen und Typologien aus. Die Siedlung ist ein homogenes Ensemble, das sich von der Kernstadt sichtlich unterscheidet.
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