Bauwelt

Sakrale Evolution


Zu groß, zu monofunktional, zu teuer – immer mehr Gotteshäuser fallen aus der Zeit. Die Wüstenrot Stiftung suchte bundesweit nach wegweisenden Konzepten und architektonischen Strategien für ihren Erhalt


Text: Krämer, Stefan; Kurz, Philip


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    Der Kirchenraum der Heilig-Geist-Kirche in Olpe ...
    Foto: Christian Richters

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    Der Kirchenraum der Heilig-Geist-Kirche in Olpe ...

    Foto: Christian Richters

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    ... wurde von 450 auf 150 Plätze ­verkleinert und liturgisch ­­­neu geordnet.
    Foto: Christian Richters

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    ... wurde von 450 auf 150 Plätze ­verkleinert und liturgisch ­­­neu geordnet.

    Foto: Christian Richters

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    Das neue Foyer erschließt drei Ebenen: die Eingangshalle auf Straßenniveau, ...

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    Das neue Foyer erschließt drei Ebenen: die Eingangshalle auf Straßenniveau, ...

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    ... den Gottesdienstraum eine Etage tiefer und die Gemeinderäume im Kellergeschoss. Foto: Christian Richters

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    ... den Gottesdienstraum eine Etage tiefer und die Gemeinderäume im Kellergeschoss.

    Foto: Christian Richters

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    Der größere Teil der ehe­maligen Friedenskirche ­erhielt eine nicht kirchliche Nutzung als interreligiöses Stadtteilzentrum.
    Foto: Roman Weis

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    Der größere Teil der ehe­maligen Friedenskirche ­erhielt eine nicht kirchliche Nutzung als interreligiöses Stadtteilzentrum.

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    Der kleinere Teil bildet als „Haus ­im Haus“ einen sakralen Raum aus, der Allen offen steht.
    Foto: Roman Weis

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    Der kleinere Teil bildet als „Haus ­im Haus“ einen sakralen Raum aus, der Allen offen steht.

    Foto: Roman Weis

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    Ein winkelförmiger Anbau ergänzt den Bestand durch ein Foyer mit kleinem Café, Räume für Migrationsarbeit und Pfarrbüros.
    Foto: Roman Weis

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    Ein winkelförmiger Anbau ergänzt den Bestand durch ein Foyer mit kleinem Café, Räume für Migrationsarbeit und Pfarrbüros.

    Foto: Roman Weis

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    Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück
    Foto: ­Tino Mager

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    Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück

    Foto: ­Tino Mager

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    Das Lichtauge in der Betondecke war bereits vorhanden.
    Foto: ­Hartwig Wachsmann

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    Das Lichtauge in der Betondecke war bereits vorhanden.

    Foto: ­Hartwig Wachsmann

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    Heute verbindet es symbolisch das Diesseits mit dem Jenseits.
    Foto: ­Hartwig Wachsmann

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    Heute verbindet es symbolisch das Diesseits mit dem Jenseits.

    Foto: ­Hartwig Wachsmann

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    Philippuskirche in Mannheim
    Foto: Atelier Altenkirch

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    Philippuskirche in Mannheim

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    Um Gemeinderäume in die Kirche zu integrieren, wurde die Empore geschlossen ...
    Foto: Atelier Altenkirch

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    Um Gemeinderäume in die Kirche zu integrieren, wurde die Empore geschlossen ...

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    ... und der Raum unter der Eingangstreppe geöffnet und ausgebaut.
    Foto: Atelier Altenkirch

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    ... und der Raum unter der Eingangstreppe geöffnet und ausgebaut.

    Foto: Atelier Altenkirch

Am Anfang steht eine einfache Feststellung: Kirchen sind besondere Orte. So banal dieser Satz wirkt, so tiefgründig erweist er sich angesichts der Herausforderungen für die Zukunft vieler Kirchengebäude. Als baulicher Ausdruck von Spiritualität unterscheiden sie sich von allen anderen Gebäudetypen – aus religiöser Perspektive, aber auch aufgrund ihrer besonderen historischen und gesellschaftlichen Bedeutung. Mit ihrer städtebaulichen Präsenz prägen sie ­bis heute viele Ortsbilder. Das macht sie auch für Menschen, deren Alltag nicht fest mit den christlichen Ritualen verbunden ist, zu Orten der Erinnerung und Identifikation.
An ihrer Form und Nutzung wird deutlich, wie sich die Gesellschaft wandelt und transformiert. Die immer weniger werdenden Kirchgänger, die persönlichen und kollektiven Verhaltensweisen sowie die Werte und Orientierungen, denen Gotteshäuser heute eine Heimat sein müssen, sind fundamental andere als noch vor ein paar Jahrzehnten. Die kirchlichen Institutionen in Deutschland – Diözesen, Landeskirchen, Bistümer, Gemeinden – stehen deshalb vor großen Aufgaben.

Welches Bild von Kirche haben vor allem jüngere Menschen?

Viele Kirchengebäude sind für die zurückgehende Nachfrage zu groß und verursachen hohe Kosten für Instandhaltung und Betrieb. Ihre notwendige Umwandlung ist mit drängenden konzeptionellen Fragen verbunden: Welche theologischen und sozialen Erwartungen richten die Gemeindeglieder an ihre Kirche? Was ist ihre zeitgemäße Rolle in Religion und Gesellschaft? Welches Bild einer Kirche haben vor allem jüngere Menschen, und welche Kriterien resultieren daraus für die identitätsstiftende Funktion der Kirchengebäude?
Theologische und liturgische Antworten können nur die kirchlichen Institutionen finden. Für die architektonische, konzeptionelle und ökonomische Zukunft steht die Gesellschaft aufgrund der Bedeutung der Kirchen für unsere gebaute Umwelt in gemeinsamer Verantwortung. Deshalb suchte die Wüstenrot Stiftung mit einem bundesweiten Wettbewerb nach Beispielen dafür, wie Kirchen als sichtbarer Teil kultureller Identität neu gestaltet, neu interpretiert und dadurch erhalten werden können. Das Preisgericht aus ­Architekten, Theologen, Denkmalschützern und Kunsthistorikern bewertete neben der Qualität von Architektur und Städtebau und dem vorbildhaften Umgang mit historischer Bausubstanz insbesondere die soziale, ökonomische und ökologische Ertüchtigung der Gebäude, die Signifikanz des Beitrags zur Bewahrung baukulturellen Erbes und die Impulse für eine Weiterentwicklung des Gemeindelebens.
Die fast 300 Umbauten, Sanierungen und Umnutzungen, die aus ganz Deutschland eingereicht wurden, zeigen: Viele Kirchengemeinden bevorzugen Lösungen, mit denen sie die eigene Kirche erhalten können, ohne auf ihre sakrale Nutzung verzichten zu müssen. Fehlt eine solche Möglichkeit, so akzeptieren sie eine Umnutzung ohne sakrale Funktion am leichtesten, wenn ­­die neue Nutzung soziales oder kulturelles Engagement ermöglicht.
Unter den Projekten der engeren Wahl, die ­die Jury vor Ort besichtigt hat, ragen zwei Beispiele heraus. Die Heilig-Geist-Kirche in Olpe und die ehemalige Friedenskirche in Bochum (jetzt Stadtteilzentrum Q1) verfolgen komplementäre Strategien und wurden mit gleichwertigen ersten Preisen prämiert. Zwei weitere bemerkenswerte Einsendungen aus Osnabrück und Mannheim wurden mit einer Auszeichnung gewürdigt.

Offene Kirche

Der Um- und Rückbau der Heilig-Geist-Kirche in Olpe zeigt beispielhaft, wie aus einer pastoralen Neuordnung heraus eine „offene Kirche“ für eine veränderte Gesellschaft entstehen kann. Das Ensemble der Nachkriegsmoderne bestand aus einem großen Kirchenbau mit Werktagskapelle, einem Flachbau mit Pfarr- und Gemeinderäumen und dem Kirchturm als Schnittstelle zwischen den sakralen und den profanen Teilen. Die heutige Form entstand aus einem Einladungswettbewerb mit acht Architekturbüros, der zwei Aufgaben stellte: den Kirchenraum von 450 auf 150 Plätze zu verkleinern und die Gemeinderäume an diözesane Vorgaben anzupassen. Schilling Architekten haben den mittleren Gebäudeteil mit der Werktagskirche abgerissen und den Kirchturm freigestellt. Dadurch wurde ein Freiplatz und ein Durchgang zur Stadt geschaffen. Der neue Außenraum wird für Gemeindeaktivitäten genutzt. Ein Teil der Kirche wird zum großzügigen Foyer, der eigentliche liturgische Raum liegt im verkleinerten Kirchenraum wie eine Insel („Floß“), abgesetzt von den Außenwänden durch eine Brüstung in Form einer Umlaufbank.

Kirche multikulturell

Der Umbau der Friedenskirche Bochum-Stahlhausen zum Stadtteilzentrum weist für die Neugestaltung des Sakralraums einen anderen Weg, der sich maßgeblich an der multikulturellen ­Gesellschaft im Stadtteil orientiert. Die Friedenskirche war ein typischer Kirchenbau der 1960er Jahre mit Gemeinde- und Küsterhaus. Ende der 1990er Jahre wurde das Ensemble erstmals an zurückgehende Gemeindegliederzahlen angepasst, Gemeinde- und Küsterhaus vermietet. ­15 Jahre später war die Gemeinde noch kleiner ­geworden, das Kirchengebäude bedurfte der Sanierung. Der zweite Umbau griff darum stärker in die Bausubstanz und die Funktion der Kirche ein. Entstehen sollte ein evangelischer Ort für interkulturelle und interreligiöse Stadtteilarbeit. Das Konzept dafür wurde von den Architekten, der Kirchengemeinde und dem Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe und Migrationsarbeit (IFAK e.V.) gemeinsam entwickelt. Finanziert wurde das Pilotprojekt von Landeskirche und IFAK sowie mit Fördergeldern der EU und Mitteln des Stadtumbaus.
Vom ursprünglichen hohen Kirchenraum mit Empore, der von einem Pultdach überspannt ist, wurde der Altarbereich abgetrennt. Hier entstand ein neuer „Raum der Stille“ für den Gottesdienst, der außerdem ganztägig für alle Besucher des Stadtteilzentrums offen steht. Der verbliebene, größere Teil des Kirchenraums wird als Gemeindesaal und für Veranstaltungen genutzt. Ein winkelförmiger Anbau, aus dem heraus ­­der Zugang zum Raum der Stille erfolgt, erweitert den Bestand um ein Foyer mit Café-Nutzung, Räume für Migrationsarbeit und Pfarrbüros. Die Veränderung verdeutlicht der neue Name: „Q1 – Eins im Quartier. Haus für Kultur, Religion und Soziales im Westend“.

Der Tod als elementarer Teil des Lebens

Die zunehmende Umnutzung von Kirchen zu ­Urnenbegräbnisstätten (Kolumbarien) hat wohl vor allem zwei Gründe: Die Kirche bleibt in ihrer Gestalt und in der Nutzung durch die Gemeinde erhalten, und die wachsende Nachfrage nach Urnenbegräbnisstätten ermöglicht die Finanzierung von Umbau und Unterhalt des Gebäudes.
Die Kirche Heilige Familie in Osnabrück ist ein seltener Fall, da sie die Begräbnisstätte und den Ort für den Gottesdienst in einem Raum kombiniert. Das Bistum hatte der Gemeinde nahegelegt, ein Kolumbarium in ihre Kirche zu integrieren, auch um den Tod als elementaren Teil des Lebens enger mit der Gemeinde zu verflechten und die Ganzheitlichkeit des Auferstehungsglaubens hervorzuheben. Den Architekten gelang dies durch eine Unterteilung in einen inneren Kreis für die Kirchennutzung und einen äußeren Kreis für das Kolumbarium.
Der zentrale Raum bietet Platz für 90 Besucher und wird umgeben von einem geschwungenen Gang mit 842 Urnengrabstätten. Der innere Bereich wird regulär finanziert, das Kolumbarium über die Vermietung der Grabstätten. Entstanden ist eine ästhetisch ansprechende Verbindung, die liturgisch den gegenwärtigen und künftigen Ansprüchen gerecht wird und ökonomisch tragfähig ist.

Respektvolles Weiterbauen

Der Umbau und die Erweiterung der Philippuskirche in Mannheim sind geprägt vom sensiblen Umgang mit dem typischen Sichtbeton und den geometrischen Proportionen der 1960er Jahre. Als sich die Kirchengemeinde entschied, das alte Gemeindezentrum aufzugeben, wurde eine Erweiterung der Kirche notwendig. Auf der einen Seite haben die Architekten dafür die Empore genutzt: eine Stahl-Glas-Konstruktion schafft über ihr einen neuen Raum, dessen Glasfassade sich aber auch zum Kirchenraum hin öffnen lässt; unter ihr entstanden eine Küche, ein Foyer, eine Garderobe sowie Abstell- und Lagermöglichkeiten. Auf der anderen Seite gelang es, die zuvor räumlich schwierige Situation unter der Eingangstreppe so umzugestalten, dass dort nun attraktive neue Räume liegen. Sie werden für Kinder- und Seniorengruppen, Sitzungen des Gemeindevorstands, Veranstaltungen und als Winterkirche genutzt. Kellergeschoss, Kirchenniveau und Empore sind jetzt durch einen neuen Aufzug barrierefrei zugänglich.



Fakten
Architekten Schilling Architekten, Köln; Theo Schwill, Dortmund; soan architekten; boländer.hülsmann GbR; Arns, Buderus, Rupprecht, Remscheid/Bochum; Klodwig & Partner Architekten, Münster; Kroeber, Rickmann, Osnabrück; Handreck, Wolfgang, Mannheim; Veit Ruser + Partner, Karlsruhe
aus Bauwelt 36.2016
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