Skien-Porsgrunn
Verbindungen für eigenbrötlerische Sprawl-Bewohner
Text: Diedrich, Lisa, Malmö; Kröger, Sven, Berlin
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2. Preis: Pierluigi d’Acunto, Pierluigi und Norman Hack
2. Preis: Pierluigi d’Acunto, Pierluigi und Norman Hack
Die Suche nach neuen Formen der Mobilität in zersiedelten Gebieten ist heute ein zentraler Bestandteil der Stadtentwicklung; die schnelle Zugänglichkeit jenseits des Individualverkehrs wird zum Prüfstein für die künftige wirtschaftliche Prosperität.
Doch die notwendigen Investitionen binden so viele Mittel, dass Streit um den richtigen Weg die Folge ist. Weniger Auto, ja, darüber ist man sich einig – aber einen Königsweg gibt es nicht. In Skien-Porsgrunn sah das Wettbewerbsprogramm ein ambitioniertes Light-rail-System vor. Die Preisträger stellen dies in Frage und plädieren für mehr Gleichgewicht unter den „schwachen“ Verkehrssystemen.
Mehr als Architektur | Das südnorwegische Städtekonglomerat Skien-Porsgrunn gilt als das norwegische Ruhrgebiet. Wer dort wohnt und den dortigen Slang spricht, wird bemitleidet, so wie vor ein, zwei Jahrzehnten noch der gemeine Pötter hierzulande. Der gemeine Pötter hingegen würde Skien-Porsgrunn wahrscheinlich nicht als Industrieregion identifizieren – geradezu malerisch erstreckt sich das lockere Siedlungsband über weniger als 15 Kilometer von Nord nach Süd die Telemarksvassdraget-Ufer entlang, vom Städtchen Skien (knapp 52.000 Einwohner) über den kaum als städtischen Kern erkennbaren Ort Menstad zum Städtchen Porsgrunn (knapp 35.000 Einwohner) und weiter bis zum Industriekomplex Herøya, der in den zwanziger Jahren auf neuem Land in die Mündung zum Fjord gebaut wurde. Er verschaffte der Region Arbeitsplätze, viel Pendlerverkehr und ein zweifelhaftes Selbstverständnis, nicht nur proletarisch, sondern auch eigenbrötlerisch – in Skien wollte man mit denen in Porsgrunn nichts zu tun haben und andersherum. Das erinnert dann doch wieder ans Ruhrgebiet.
Um diese Bastion zu brechen, brauchte es den Pioniergeist und die Weltoffenheit einiger Stadtplaner der örtlichen und regionalen Ämter, die nicht nur die gemeinsame Stadtentwicklung als Weg aus der Schmuddel-Identität und den Pendler-Blechlawinen sahen, sondern sich dafür auch junge europäische Europan-Ideen wünschten. Als Aufgabe stellten sie den Teilnehmer eine Light-rail-Strecke zu entwerfen, welche das Siedlungsband öffentlich vernetzt. Die vier städtischen Kerne sollten als Haupt-Haltepunkte der neuen Bahnlinie planerisch und stadträumlich gestaltet werden. Den Gewinnern winkte die Mitwirkung an der kommenden Stadtentwicklungsplanung. Wie alle großmaßstäblichen Aufgaben war auch diese äußerst komplex, räumlich wie entwicklungsplanerisch, und sie lässt zahlreiche Interpretationen zu – die norwegische Europan 11-Jury fraß sich durch gut zwanzig, teils unverdauliche Entwürfe mit einer thematischen Spannweite von banaler Trassenplanung über Wolkenbügel-Architekturen bis hin zu ökologischen Weltverbesserungskonzepten. Zu viele Entwürfe verloren sich in der Bearbeitung eines meist strikt räumlich-gestalterischen Aspekts lediglich einer Problematik. Raum plus, meinte die Jury, war hier gefordert, wurde aber nicht geliefert. Einen ersten Preis vergab sie darum nicht. Aber sie prämierte einen Entwurf mit dem Titel „Link+“, der das Thema von der anderen Seite her aufrollte und den Lightrail-Ansatz hinterfragte: Warum wollten die Bauherren die Trasse am linken Kanalufer verlaufen lassen, wenn das Siedlungsband doch beide Ufer bedeckt? Die Verfasser von Link+ untersuchten mögliche Trassenführungen an beiden Ufern und kamen zu dem Schluss, dass das linke Ufer zwar tatsächlich besser sei, aber nicht, ohne es mit dem rechten zu verknüpfen. Ihre Trasse erhielt darum Abzweige, und die Abzweige wurden räumlich zu Brücken, die das Erreichen der Haltestellen auf dem linken Ufer auch für die Leute vom rechten Ufer per Fahrrad oder zu Fuß möglich macht. Auto ade. Zudem sollen die Brücken mehr sein als einfach Verbindungen über den Fjord, ergo der Titel „Link+“, und mit ihrem Umfeld zu besonderen Orten mit besonderer Gestaltung und mit besonderen Nutzungen ausgebaut und verwoben werden. Die Antwort auf die Frage, wie das im Einzelnen aussehen soll, blieben die Verfasser der Jury schuldig – doch ihr Ansatz überzeugt in seiner Querdenkerei und in der Idee, das Problem einmal anders zu beschreiben: Braucht es nicht eher Fuß- und Fahrrad-Zubringer zum Hauptverkehrsstrang des linken Kanalufers, damit dieser als solcher auch für die Leute vom gegenüberliegenden Ufer attraktiv wird? Braucht es dann überhaupt noch eine teure Light-rail-Strecke, wenn vorhandene Busrouten intensiviert werden können und damit auch die Leute vom rechten Ufer ihre Autos zuhause lassen? Sollte man dann nicht besser statt in Trassen in architektonisch anspruchsvolle Brücken als neue Attraktionen mit städtischen Programmen investieren und sich so eine Identität schaffen, die in Norwegen ein Novum ist?
Diese Funken zündeten bei den örtlichen Stadtplanern. Sie haben das österreichisch-italienische Europan-Team zur weiteren Zusammenarbeit unter Vertrag genommen. Die Ausarbeitung verspricht Lösungen irgendwo im Zwischenraum von IBA Emscherpark (Brücken als Landmarken), Zürich-Glattal (öffentlicher Verkehr zur Vernetzung von ‚Zwischenstadt‘) und dem mechanischen Elefanten der Île de Nantes (unkonventionelle kulturelle Programme zur Entwicklung städtischen Lebens). Dieser Zwischenraum sollte Europan zum Zukunftsprogramm werden: Mehr als Architektur!
Skien und Porsgrunn liegen als zwei ursprünglich voneinander unabhängige Städte südwestlich von Oslo. Durch Zersiedelungstendenzen in den letzten Jahren wuchsen beide Gemeinden immer mehr zusammen und präsentieren sich heute als kontinuierlicher Siedlungsteppich. Diese schnell wachsende, raumgreifende Siedlungsstruktur hat allerdings auch zu einer wenig befriedigenden, infrastrukturellen Situation geführt. Nur fünf Prozent der Bevölkerung nutzen die öffentliche Nahverkehrsmittel – weit weniger als der norwegische Durchschnitt. Das Programm fordert von den Teilnehmern die Entwicklung eines Konzepts für nachhaltige Mobilität, das an vier neuralgischen Punkten entlang eines geplanten Straßenbahnkorridors implementiert werden soll. Diese Mobilitätsknoten sollen Katalysator sein für neue ökonomische Entwicklungen in der Region.
LINK+ | Skien-Porsgrunn 2. Preis
Das Projekt LINK+ kombiniert Vorschläge zur Verbesserung der Infrastruktur mit neuen Programmen zur besseren ökonomischen und kulturellen Nutzung. Die geplante, parallel zum Telemarkkanal verlaufende Straßenbahnlinie wird kritisch hinterfragt: in Bezug auf Geschwindigkeit, Kosten, Zugang für möglichst viele Menschen und Wachstumspotenzial. Notwendig, so die Architekten, sei in jedem Fall die Ergänzung durch vier, den querende Brücken. Für die neuen Verkehrsknoten werden spezifische Nutzungen vorgeschlagen 2, die die Attraktivität der gesamten Straßenbahnlinie erhöhen sollen. Inspiriert sind diese Vorschläge, die den touristischen Bezug zum Wasser entlang der neuen Brücken nutzen, durch das Programm der norwegischen Straßenbehörde, das im letzten Jahrzehnt 18 Abschnitte der Nationalstraßen als „Tourist Routes“ deklarierte – kleine Interventionen wie Haltestellen und Aussichtspunkte haben die Straßen attraktiver gemacht. Ähnlich sollen in Skien-Porsgrunn die Haltestellen der Straßenbahnlinie als „Ziele an sich“ verstanden werden. Während in Follestad/Skien ein Restaurant zum „Riverside Dining“ einlädt, werden in Menstad Gewächshäuser und ein Wellness-Zentrum in die Brückenbauwerke integriert. In Porsgrunn finden kulturelle Veranstaltungen im neuen Amphitheater statt. Den Abschluss bildet das Wasserdorf in Herøya, bei dem die auf Pfählen im Wasser stehenden Gebäude durch Stege erschlossen werden. Wie die Haltestellen, die den Straßenbahnverlauf strukturieren, werden die Brücken als multifunktionale Elemente entworfen, die über ihre Länge unterschiedliche Funktionen aufnehmen.
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