Bauwelt

Skulptur in der St. Matthäuskirche


Die „Stufen“ von Micha Ullman


Text: Flügge, Matthias, Berlin


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    Foto: Andreas Rost

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Im Herbst vergangenen Jahres wurde in der St. Matthäuskirche am Berliner Kulturforum die Bodenskulptur des 73-jährigen, international bekannten Künstlers aus Tel Aviv eingeweiht. Jahre zuvor hatte er auf dem Bebelplatz in Berlin die leere „Bibliothek“, das Mahnmal an die Bücherverbrennung von 1933, geschaffen.
Sieben Stufen, bedeckt von einer Glasscheibe, in der sich der Raum und das Licht spiegeln, führen in die Tiefe des Grundes. Sie sind mit dem roten Sand gefüllt, auf dem Ullman in einem Vorort von Tel Aviv buchstäblich wohnt. Er hat ihn oft als bildnerisches Material eingesetzt. Neben allen religiösen und naturhaften Konnotationen, die sich mit der Zahl sieben verbinden, hat sie für den Künstler auch eine ganz persönliche Bedeutung. Seine Großeltern in Thüringen hatten sieben Kinder, zwei wanderten vor 1933 nach Palästina aus, die anderen wurden wie auch die Großeltern durch die Nationalsozialisten in die Emigration getrieben. Micha Ullman kam 1939 in Tel Aviv zur Welt, er wollte Landwirt werden und fand zur Kunst, studierte in Jerusalem und London, begann 1970 selbst zu lehren und war von 1991 bis 2005 Professor in Stuttgart.
Ullman hat gesagt, er sei ein „Erdkünstler“. Das Graben als Aktion des Körpers, die Grube als Sinnbild von Tiefe und Offenheit: das sind für ihn vollkommen realistische Kunstformen und zugleich die Kernmetaphern seiner Arbeit. Schon 1972 hat er mit israelischen und palästinensischen Jugendlichen im arabischen Dorf Metzer und im Kibbuz Messer zwei Gruben ausgehoben und jede mit der Erde der anderen wieder aufgefüllt. Seitdem versteht er das Graben als symbolisches Handeln für eine Hoffnung, die sich bis heute nicht erfüllt hat.
Die Mittel, die er in „Stufen“ verwendet, das Graben, die Grube, das dem heimischen Boden entnommene Material, die konkrete Ortsgebundenheit haben nach Micha Ullmans Aussage unmittelbar mit der jüdischen Erfahrung zu tun, mit Heimat und Diaspora, mit der Archäologie des jüdischen Volkes, mit Da-Sein und Erinnerung. „Die Grube“, sagt der Künstler, „ist genau halb voll und halb leer. Das heißt, das Material ist zugleich anwesend und abwesend, man könnte auch sagen: Stoff und Geist. Wenn du durch das Glas schaust, das spiegelt, dann siehst du, dass auch die Treppen mit dem Sand im Raum schweben. Durch die Spiegelung entsteht eine Illusion. Das Materielle und das Immaterielle sind nicht zu trennen, das ist eine wichtige Erfahrung.“ Alles, was Ullman macht, ist unmittelbar auf den Menschen bezogen, der im Werk nie auftaucht, Maß und Maßstab, Ort und Raum, das Private und das Kosmische, das Nahe und das weit Entfernte, einfache Dinge in philosophischer Dimension gedacht. An einem historischen Ort in Berlin ist ein höchst komplexes Kunstwerk entstanden, das nicht zuletzt auch den Aspekt der Versöhnung in sich trägt. 



Fakten
Architekten Ullmann, Micha, Ramat haScharon
Adresse Matthäikirchplatz 1, 10785 Berlin


aus Bauwelt 9.2013
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