Spätklassizistische Villa
Getarnte Zutat
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Eine spätklassizistische Villa im Berliner Westend sollte einen kleinen Anbau erhalten, der das Vorhandene unauffällig ergänzt. Petra und Paul Kahlfeldt haben das baugeschichtliche Repertoire auf die neue Aufgabe und die räumlichen Bedingungen angewendet.
Wen auch immer Petra und Paul Kahlfeldt raten lassen, welches Element sie der spätklassizistischen Villa im Berliner Westend denn wohl hinzugefügt haben – die Antwort fällt fast immer identisch aus: den Wintergarten natürlich, der dem blockhaften Bau an seiner Westseite vorgelagert ist. Aus Glas und Stahl erbaut, von kubischer Volumetrie und minimalistisch-knapp detailliert, ist der Anbau in der Tat ein glaubhaftes Beispiel für jenen Berliner Rationalismus, in dem auch die Architektur der Kahlfeldts wurzelt. Nicht leicht wird es allerdings der Architekt haben, der dereinst vor der Aufgabe steht, die Villa abermals zu erweitern: Noch zeitlos-moderner, reduzierter, abstrakter als mit diesem Wintergarten demonstriert geht es kaum mehr. Wer sich nicht mit irgendeiner persönlichen formalen Marotte begnügen mag, dürfte also ins Grübeln geraten: Wie lässt sich die Villa nach diesem Anbau weiterbauen?
Die Frage ist mitnichten rhetorischer Natur, denn, der Leser ahnt es, den Wintergarten fanden die Kahlfeldts bereits vor, als sie von ihrer Bauherrin, einer Archäologin mit ausgeprägtem Italien-Bezug, gebeten wurden, die undichte Terrasse ihrer Villa zu sanieren und bei dieser Gelegenheit auch die irgendwann ohne gestalterische Ambition darüber gebaute Bedachung zu ersetzen. Nachdem sich die Architekten mit dem Gebäude und seiner Geschichte beschäftigt hatten, konnten sie den Wintergarten einem berühmten Kollegen zuschreiben: Kein Geringerer als Heinrich Tessenow (1870–1950) hatte ihn 1928 für den damaligen Eigentümer Benno Bernstein geplant; fast identisch mit jenem, der seinen ein Jahr zuvor entstandenen Entwurf für das Haus Freudenberg in Heidelberg ziert. Von Tessenow stammt auch die terrassierte Anlage des Gartens mit ihren Stützmauern aus lose aufgeschichteten Natursteinblöcken.
Wie weiter nach Tessenow?
Für die Kahlfeldts musste die Antwort auf diese Frage zugleich auch die Frage beantworten, wie sich die um die neue Loggia erweiterte Villa als eine Einheit präsentieren könnte und nicht als Ansammlung von Einzelteilen. Dabei galt es, eine Prämisse ihrer Auftraggeberin zu berücksichtigen: Diese wünschte sich eine „Säulenarchitektur“, welche auf die mit Halbsäulen gegliederte Platzfassade der Villa Bezug nimmt und der Identifikation der Bauherrin mit dem Gebäude Rechnung trägt; der Anbau sollte so aussehen, als sei er schon immer ein Teil des um 1870 erbauten Hauses gewesen. Die Kahlfeldts hatte sie nicht zuletzt deshalb beauftragt, weil sie ihnen die glaubwürdige Anwendung des historischen Kanons zutraute. Denn für das Architektenpaar ist die Baugeschichte weniger eine Abfolge von Stilen mit stetem Drang nach vorne als vielmehr ein ineinander verschlungenes Geflecht aus Bezügen, Verweisen und Anspielungen; ein Chor aus grundsätzlich gleichwertigen Stimmen, aus dem eine einzelne hervor treten darf, wenn es die jeweilige Situation stärkt – Paul und Petra Kahlfeldt geht es nicht um die „schichtweise Lesbarkeit“ eines Gebäudes, wie sie die Denkmalpflege schätzt, sondern um „den architektonischen Ausdruck des Hauses als Ganzes“.
In den Jahren ihrer Berufspraxis hat sich diese Herangehensweise in zahlreichen gelungenen Sanierungsarbeiten niedergeschlagen: Ein filigraner Ausstellungspavillon aus den 1950er Jahren ist dabei ebenso selbstverständlich zu seinem Recht gekommen (
Bauwelt 4.2006) wie der Backstein-Expressionismus der Bauten Hans Müllers für die Berliner Stromversorgung (
Bauwelt 46.2006,
19.2008). Ein Auftrag wie jener im Westend ist dagegen schon heikler. Neoklassik steht in Berlin derzeit hoch im Kurs, gerinnt aber in vielen Fällen zum bloßen Abklatsch mit missratenen Proportionen, groben Details und fragwürdigen Materialien.
Auf den ersten Blick „falsch“ wirkende Details lassen sich auch an der Loggia entdecken: Der ungewöhnliche Säulenabstand etwa dürfte den baugeschichtlich bewanderten Betrachter ebenso irritieren wie die der gewählten ionischen Ordnung eigentlich fremden Triglyphen. Diese „Fehler“ sind aber nicht aus Unkenntnis unterlaufen, sondern im Aufeinandertreffen des historischen Stils mit der Situation begründet – so sollten die Säulen doch bitteschön nicht den Blick aus den Innenräumen verstellen und hatten sich mithin auf die Achsen der Fassade zu bequemen; die Triglyphen wiederum erklären sich aus der Balkenlage des flach geneigten Daches der Loggia.
Friedrich Gilly, 115 prozentig
Und die Herme? Auch sie macht stutzig. Trägt sie oder trägt sie nicht? Die Nähe zu der ihr benachbarten Säule lässt vermuten, dass sie kein Element der stählernen Struktur ist, die sich im Kern der aus Beton gefertigten Säulen verbirgt. Beim Nähertreten bestätigt der halbkreisförmige Abschluss der Deckenuntersicht diese Vermutung. Das bedeutet aber nicht, dass die Herme nur des Schauwerts halber über den Garten blickt. Die ebenso stolz wie sinnlich wirkende Büste – es handelt sich um einen Abguss der von Johann Gottfried Schadow angefertigten Porträtbüste Friedrich Gillys, des früh verstorbenen Genies des Berliner Klassizismus, – schließt einerseits den Raum der Loggia an ihrer Südostecke und dient andererseits einem ganz alltäglichen Zweck: In ihr verbirgt sich die Dachentwässerung. Damit das 100er Fallrohr auch hinein passte, wurde die Büste eigens mit 115 Prozent der Originalgröße angefertigt – „DIN bedient“, lautet Petra Kahlfeldts Resümee des kleinen Projekts.
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