Stadthaus Bahnhofstraße in Bremen
An einer lauten Straßenecke zwischen Bremer Hauptbahnhof und den ehemaligen Wallanlagen entstand ein Bürohaus, das subtil auf das Grundstück und die Umgebung reagiert
Text: Kähler, Gert, Hamburg
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Das Eckgebäude im Bremer Bahnhofsviertel ist von vielen Seiten sichtbar
Foto: Stefan Müller
Das Eckgebäude im Bremer Bahnhofsviertel ist von vielen Seiten sichtbar
Foto: Stefan Müller
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Die eine zentrale Stütze musste wohl sein. Gegenüber vom Neubau steht der Bürobau „Contrescarpe-Center“ von O. M. Ungers (2004–06).
Foto: Stefan Müller
Die eine zentrale Stütze musste wohl sein. Gegenüber vom Neubau steht der Bürobau „Contrescarpe-Center“ von O. M. Ungers (2004–06).
Foto: Stefan Müller
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Ansicht Bahnhofstraße
Foto: Stefan Müller
Ansicht Bahnhofstraße
Foto: Stefan Müller
Bremen ist mehr als der Weltkulturerbe-Status für Rathaus und Roland, mehr als das backsteinerne Schnoorviertel und die niedrig bebauten Vorstädte mit ihren schlichten Putzfassaden: Es gibt tatsächlich eine Art großstädtisches Bremen. Das hat sich teilweise in die mittelalterlich strukturierte Innenstadt gedrängt, ist aber vor allem dort angesiedelt, wo Handel und Wandel zusammenkommen: im Viertel zwischen Bahnhof und ehemaligen Wallanlagen. Hier tobt der Verkehr immer noch über die unsägliche, jede Blickbeziehung für Fußgänger zerstörende und den Weg zum Bahnhof zerschneidende Hochstraße, hier liegen die großen Verwaltungbauten, wobei „groß“ heißt: Nur in Ausnahmefällen handelt es sich um isoliert stehende Hochhäuser; meist gibt es auch hier eine geschlossene Randbebauung, selbst wenn die fünf, sechs oder sieben Geschosse hoch ist.
Bürgerverein überzeugen
Allerdings hat auch das Bremer Bahnhofsviertel einen Schmuddeligkeitsgrad erreicht, der die Stadt zum Handeln zwingt. Das Viertel soll seit einigen Jahren aufgewertet werden, deshalb werden neue Bauten mit besonderem Interesse beäugt. Ein mächtiger Bürgerverein muss erst überzeugt werden, dass das Neue auch das Bessere ist. Das war auch in diesem Fall, obwohl hier nur zwei deutlich marode Gebäude standen, die abgerissen werden konnten – „Bremens gruselige Schand-Ruinen“ hatte sie die Bildzeitung genannt und prognostiziert, es folge ein „schicker, futuristischer Neubau“. Nun ja – da hat Bremen dann doch Glück gehabt; nix futuristisch.
Wir reden hier von einem Bürohaus, eine Nutzung, die ebenso gewöhnlich wie gewohnt in der Stadt ist. Hier müssen keine architektonischen Verrenkungen gemacht werden, die dem gemeinen Bürohaus zur Auffälligkeit einer Kathedrale verhelfen – das wäre unangemessen. Es reicht, wenn der neue Bau sich im städtischen Kontext benimmt, seinem schlichten Zweck angemessen. Es reicht für das städtische Gefüge, wenn die Sorgfalt des Architekten sich in Baukörper und Detail findet, nicht im Streben nach Einmaligkeit.
Ungers gegenüber
Max Dudlers Bürohaus nutzt zwei Gegebenheiten der Umgebung aus: Zum einen ist das Grundstück mit der Straßenecke von Bahnhofstraße und Herdentorsteinweg vom Zentrum aus (Herdentor) weit zu sehen, da die Straße einen leichten Bogen macht, sodass die Ecke, von der Stadt aus gesehen, in die Blickachse rückt. Zum anderen gibt es schräg gegenüber bereits eine seriöse Vorgabe, nämlich den Bau des Con-trescarpe-Centers von Oswald Mathias Ungers aus den Jahren 2004 bis 2006. Dessen helle Natursteinverkleidung von Stützen und horizontalen Geschossbändern gab den Ton vor, dem Dudler, Schüler von Ungers, eine Variante hinzufügte.
Die Betonung der Ecksituation wird durch die naheliegende Lösung erreicht, den Baukörper höher als die angrenzenden Bauten zu bilden – wir reden in der Konsequenz von einem Hochhaus, obwohl man das kaum bemerkt. Denn dessen Einbindung in die Umgebung wird durch eine subtile Aufnahme der umgebenden Bauhöhen in den Baukörper des neuen Gebäudes und dessen Staffelung durch einen kleinen Versatz in der Fassade erreicht. Die Höhe der alten Randbebauung wird also aufgenommen, obwohl das neue Gebäude diese überragt, und die Ecke wird betont. Das Eingehen auf die vorhandene Umgebung ist auch auf der Rückseite des Gebäudes ablesbar, wo die schmale, im Verlauf abknickende Ferdinandstraße nachvollzogen wird. Dass damit auch mehr nutzbare Flächen des ja eigentlich kleinen Hauses (maximale Fläche in einem Geschoss 230 Quadratmeter) entstehen, freut den Bauherren.
Strenge aufbrechen
Das Eingehen auf Grundstückszuschnitt und umgebende Bebauung hat zur Folge, dass die Fensterbreiten variieren. Eigentlich ist die Fassade ja einfach zu lesen: Wir sehen eine Stahlbetonskelettkonstruktion mit eng stehenden Stützen, die mit dem gleichen Naturstein verkleidet sind wie die Deckenbänder. Das Ergebnis ist eine monolithische Haut mit tiefen Laibungen für die geschosshohen, rahmenlos wirkenden Fenster. Deren unterschiedlichen Formate wird der Passant nicht bemerken. Aber er wird unbewusst die Differenzierung spüren, die die Regelmäßigkeit aufbricht. Das gilt auch für ein weiteres Element der Differenzierung in der Fassade: Die Stützen sind nicht als simples Rechteck geschnitten, sondern haben zur Straße hin links und rechts Innenecken bekommen, Fasen, die die Strenge der Konstruktion aufbrechen. Das gleiche geschieht an der Stütze, die die Straßenecke markiert. Das führt dort aber zu einem Problem, das in bestimmten Ansichten deutlich wird: Die Deckenstreifen an der Ecke wirken wie ein auskragender Balken, und dieser Eindruck ist schwerlich gewollt. Man könnte vermuten, das Haus solle an dieser Stelle noch weitergebaut werden.
Interessantes Detail am Rande: Ungers, dessen Fassade am Gebäude in der Nachbarschaft mit anderen, nicht vertikal betonten Proportionen ähnlich aufgebaut ist, zeigt im Schnitt der Natursteinplatten, dass es sich nicht um tragende Teile handelt – das Feld von Deckenstreifen und Stütze wird quadratisch ausgefüllt. Dudler hingegen lässt die Platte, die den Deckenstreifen verkleidet, je in der Mitte der Stützen sich stoßen, sodass ein Zitat des „Balkens auf zwei Stützen“ entsteht. Der Eindruck, die Platten hätten tragende Funktion, wird aber nicht aufkommen.
Eine besondere Zone bildet das Erdgeschoss, das höher ist als die Normalgeschosse und dessen Stützenabstand doppelte Breite hat. Das hat inzwischen wieder eine gute Tradition im Städtebau, weil das Erdgeschoss als Sockel erscheint und für andere Nutzungen bereit steht. Hier ist es eine Bank, die sich eingemietet hat. Nun wird sich die städtische Nutzungsvielfalt im Erdgeschoss heute, nicht nur in Bremen, kaum wieder herstellen lassen; doch die Chance auf eine neue Vielfalt ist bewahrt; für den Rest sind die Architekten nicht zuständig.
Entsprechend der verhältnismäßig kleinen Büroflächen ist auch der an der Seite liegende Haupteingang nur mit einem kleinen Foyer versehen, dem Großzügigkeit durch gegenüberliegende, wandflächenbreite Spiegel eingehaucht wird. Der Blick in die Unendlichkeit, den wir als Kinder in solchen Situationen spürten, stellt sich auch hier wieder ein.
Expressionismus?
Was haben wir also in der Summe? Ein Bürohaus mehr in der Stadt, sorgfältig im Detail gearbeitet, in der baukörperlichen Anordnung und ortsangemessenen Differenzierung überzeugend – das ist mehr, als viele neue Bürohäuser von sich behaupten können, und es ist das, was wir von Dudler erwarten. Dass die Proportionen der Fensteröffnungen, die mit ihren stehenden Formaten die Höhe betonen, allerdings den Bau in der „Bautradition eines norddeutschen Expressionismus“ verankern, wie es der Architekt schreibt, das scheint mir dann doch etwas übertrieben. Der Bau bleibt in seiner Haltung ein „echter Dudler“ und könnte auch anderswo stehen, wenn man von den subtilen Reaktionen auf Grundstück und Umgebung absieht. Aber, ist das wirklich ein Nachteil – bei einem einfachen Bürohaus?
Fakten
Architekten
Max Dudler, Berlin/Frankfurt a. Main/Zürich; Dietrich Architekten + Ingenieure, Bremen
Adresse
Bahnhofsstraße 1, 28195 Bremen
aus
Bauwelt 7.2015
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