Bauwelt

Straßenmuseum



Text: Kurg, Andres, Tallinn


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    Karli Luik, Pelle-Sten Viiburg

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Andres Kurg findet auf einer Straße in Süd-Estland einen Schnitt durch die Landschaft, in dem ihm auf großen Bildern die Infrastruktur erklärt wird: Der halb eingegrabene Freiluft-Bau ist ein Zeichen da­für, wie sich in den balti­schen Ländern die Museums­architektur von ihren Kon­ventionen befreit hat.
Vier Autostunden sind es von Tallinn bis zum Verkehrsmuseum Varbuse in Süd-Estland. Das Areal an der alten Poststraße liegt heute im Nie­mandsland. Mit dem Bau der neuen Autobahn in den frühen Siebzigern hatte die historische Strecke ihre Bedeutung für den Transitverkehr verloren, die alten Poststationen und die dazu- gehörigen Gasthöfe waren vorher schon längst obsolet geworden.
Nachdem wir von der Überlandstraße Tartu-Võru abgebogen sind, kommt uns kaum noch ein Auto entgegen, alle sechs oder sieben Kilometer steht ein vereinzeltes Gehöft mit ein paar Feldern darum am Straßenrand, die meiste Zeit führt die Strecke durch dichten alten Waldbestand. Zunächst erscheint es paradox, dass das Verkehrsmuseum in einer Gegend steht, die so gar nicht zum heutigen Konzept einer Verkehrsinfrastruktur passen will: dreispurige Fernstra­ßen, Lärmschutzwälle, verknäulte Autobahndrei­ecke, vereinheitlichte Fußgängerbrücken – alles Fehlanzeige. Stattdessen spärlich besiedelte Ackerlandschaft aus sanft gewellten Hügelketten mit einem Landschaftsschutzgebiet in den nahe gelegenen Flussauen. Andererseits: Kann vielleicht gerade hier, an einem Ort, den es für eine moderne Welt eigentlich gar nicht mehr gibt, „Straße“ als ein Baustein von Infrastruktur sichtbar gemacht werden? In diesem Sinne
wird die schmale, stille Landstraße zur wirksa­men Einstimmung auf das Museum, das mit der neuen Freilicht-Ausstellung und dem Outdoor-Spielplatz sowohl inhaltlich als auch gestalterisch eine ganze Reihe unkonventioneller Erlebnisse zu bieten hat.
Eröffnet wurde die Außenanlage des Road Museums im Frühjahr 2010, der Entwurf von Salto Architects war das Siegerprojekt aus dem 2004 ausgeschriebenen Wettbewerb für die Erweiterung des Museums in der historischen Poststation, mitfinanziert durch Gelder aus dem europäischen EFRE-Fonds. Die Ausstellung im Freien ist ein in das Erdreich der hügeligen Land­schaft gefräster Zickzack-Pfad. Hinter jeder Biegung erwartet den Besucher ein anderer histori­scher Straßentyp: Knüppeldamm, Bruchstein-Piste, Kopfsteinpflaster, Teer- und Asphaltstraße, jeweils von zeitlich passenden Bildtafeln flankiert. Durch die scharfen Knicke im Pfad nach jedem Abschnitt bekommt der Besucher immer nur jeweils einen Straßentypus zu sehen. Auch die Einschnittschneise selbst verändert sich ständig, je nach den Installationen an den Wandflächen reicht sie zum Teil nur zehn Zentimeter tief in den Boden, streckenweise ragen die Seitenwände aber auch bis zu vier Meter hoch. Die Inhalte bestimmen die Streckenführung des Rundwegs: Je größer die benötigte Wandfläche, je tiefer also der entsprechende Einschnitt, desto weiter dringt der Pfad in Richtung Hügelkuppe vor. Geschickt fügt die Ausstellungsarchitektur ergänzende Accessoires wie Straßenschilder, Zäune oder Meilensteine ein, die Stahl­fachwerkbrücke aus dem 19. Jahrhundert führt jetzt über den Graben neben dem Eingang. Am andern Ende des in Form einer Acht angeleg­ten Ausstellungsparcours gibt es eine Art Freizeitpark mit einem Spielplatz und einer „Rennstrecke“ für Elektroautos, wo die Kinder Situa­tio­nen aus dem Stadtverkehr nachstellen kön­­nen. Auf dem  „Geschick­lich­keits­pfad“ nebenan versuchen sich Mutige an Hochrädern aus dem
19. Jahrhundert, selbst die Besucherparkplätze wurden in die Ausstellung einbezogen und lenken die Aufmerksamkeit auf diese scheinbar bedeutungslosen Orte, die doch den Alltag mitbestimmen.
Ungewöhnlich ist, wie hier architektonisch gestalteter Raum und Ausstellungsflächen zu ei­ner gemeinsamen Landschaft verschmelzen – eine Landschaft, die die Besucher dazu verführt, sie zu durchlaufen und sich die Zeit zu nehmen, kuriose Maschinen auszuprobieren. Hier wird Infrastruktur – etwas, das wir sonst gern übersehen oder rein pragmatisch betrachten – zu einem aufregenden und historisch differenzierten Thema.
Auch in der Vergangenheit behandelten die Architekten infrastrukturelle Objekte auf unkonventionelle Art, etwa in ihrem Gas Pipe Project für den Estnischen Pavillon auf der Architekturbiennale Venedig 2008. Mit ihrer Ins­tallation, die den russischen und deutschen Pavillon in den Giardini „verband“, kommentierten sie die damals in Planung befindliche Ostseepipeline. Auch wenn das Estonian Road Museum einen anderen Ton anschlägt, stehen beide Entwürfe für die bewusste Auseinandersetzung der Architekten mit der gebauten Umgebung und ihre kritische Aufmerksamkeit dafür, aus wel­chen Bausteinen unsere Welt gefügt ist.



Fakten
Architekten Salto Architects, Tallinn
aus Bauwelt 43.2010
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