Studentenwohnanlagen
Renovieren für Gartenfreunde, Partytiger, Ruhesucher
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Foto: NOSHE/Andreas Gehrke
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Foto: NOSHE/Andreas Gehrke
Foto: NOSHE/Andreas Gehrke
Am Rand des Berliner Tiergartens wurden vor gut 50 Jahren zwei Studentenwohnanlagen im Sinne der „aufgelockerten und gegliederten Stadt“ gebaut. Susanne Hofmann & die Baupiloten haben den ersten Schritt getan, um die räumlichen Beziehungen sinnstiftend zu erneuern.
Die Krise in Europa ist vor allem für den Nachwuchs fatal. Arbeitslosenquoten von bis zu fünfzig Prozent treiben immer mehr junge Menschen aus Spanien und Portugal, Italien und Griechenland nach Mittel- und Nordeuropa – auch in die deutsche Hauptstadt. Der wachsende Zustrom in die Hochschulstadt Berlin erfordert Investitionen in die Infrastruktur: in Gebäude ebenso wie in Lehrpersonal und Verwaltung. Die Situation an den Universitäten selbst ist aber nur ein Aspekt dieser Entwicklung. Ein anderer ist der Wohnungsmarkt. Die Attraktivität Berlins hat in den letzten Jahren bezahlbaren Wohnraum in den inneren Stadtbezirken knapp werden lassen. Umso erfreulicher ist es, dass jetzt am Rand des Großen Tiergartens, in unmittelbarer Nähe zu TU und UdK, ein in die Jahre gekommener studentischer Wohnraum in die Gegenwart geführt worden ist. Das Projekt ist auch architektonisch von Belang und zwar im Hinblick auf die Substanz wie auf den Umgang damit.
Bei den Anfang der sechziger Jahre entstandenen Studentenhäusern in Sigmunds Hof handelt es sich nicht um irgendwelche sanierungsbedürftigen Wohnheime, sondern um ein denkmalgeschütztes Ensemble, das beispielhaft zeigt, wie das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Hans Scharoun für den Wiederaufbau Berlins entwickelte Leitbild der „Stadtlandschaft“ umgesetzt wurde. Die Studentenwohnheime rechts und links der Straße bilden dafür in gleich dreifacher Hinsicht ein anschauliches Beispiel: Die vom Architekten Klaus Ernst auf der Ostseite entworfenen Gebäude folgen sichtbar anderen Prinzipien als die von Peter Poelzig auf der gegenüberliegenden Straßenseite geplanten, und beide zusammen stehen als Weiterbau des 1957 neu erstandenen Hansaviertels jenseits des Stadtbahnviadukts für die Fortentwicklung dieses Leitbilds.
Die begonnene Erneuerung des Ensembles durch das Architekturbüro von Susanne Hofmann und „ihren“ Baupiloten lädt dazu ein, die Anlage, deren Sanierungsbedarf unübersehbar ist, neu zu entdecken. Unter den Studenten, berichtet Petra Mai-Hartung, Geschäftsführerin des Studentenwerks Berlin, hat dieser Prozess bereits eingesetzt: Das Interesse von – offenbar anspruchsvolleren – deutschen Studenten am jetzt fertig gestellten Haus 13 sei spürbar größer als an den noch nicht sanierten Gebäuden, womit das Ziel des Studentenwerks, die Bewohnerstruktur an allen Standorten möglichst gut zu mischen, erreichbar scheint. Mit den von den Architekten hinzugefügten und veränderten Elementen lenkt das Projekt Aufmerksamkeit auf Fragen, die bei der Sanierung von (Studenten-)Wohngebäuden dieser Zeit zu beachten sind – und welche Chancen sie bieten. Deshalb seien ein paar Aspekte angesprochen, über die zu diskutieren dieses Projekt anregt, vom Städtebau bis hin zum einzelnen Zimmer, oder, um die Worte des Architekten Klaus Ernst zu gebrauchen, von der „Sphäre der Allgemeinheit“ über die „Sphäre der Freizeit“ und die des „gemeinsamen Alltags“ bis hin zur „Sphäre des Persönlichen“.
Gebäude und Stadt
Die Idee der Stadtlandschaft löste sich von der jahrtausendelang verbindlichen Übereinkunft, dass städtische Gebäude klar definierte Außenräume bilden: Plätze, Haupt- und Nebenstraßen, Gassen und Höfe. Stattdessen sollten die Gebäude nun als frei stehende Objekte in einem landschaftsähnlichen Grünraum platziert werden, losgelöst von Straßen und Fußwegen. Die privaten Außenräume, die traditionell im nicht öffentlich zugänglichen Blockinneren lagen, verschwanden auf diese Weise, übrig blieben die den Wohnungen unmittelbar angegliederten Balkone und Loggien.
Auf welche Weise aber wird heute ein Balkon im Erdgeschoss eines solchen, frei stehenden Gebäudes genutzt? Die noch nicht sanierten Gebäude der Anlage zeigen es: allenfalls als Abstellfläche. Im nun sanierten Gebäude haben die Architekten einen Abstandhalter zwischen privatem Balkon und öffentlichem Raum eingeführt, in Form von zwei großen, mit bunten Brüstungen geformten Gemeinschaftsterrassen auf der Straßenseite, die den einst unmittelbar vor dem Haus entlang geführten Fußweg vom Gebäude abrücken und so für mehr Privatheit auf den Balkonen sorgen. Angesichts der Stühle und Tische, die hier jetzt auf den Balkonen stehen, scheint es, als würden die Außenräume der Wohnheimzimmer jetzt neu entdeckt – wie die Gemeinschaftsterrassen angenommen werden, wird sich zeigen.
Gebäude und Garten
Im „fließenden Raum“ der Stadtlandschaft ließen sich private Gärten nur behelfsweise abgrenzen. Im schlimmsten Fall entstand bloßes „Abstandsgrün“, nur fürs Auge. „Betreten des Rasens verboten“, lauteten nicht selten die Hinweise auf den Flächen zwischen den frei stehenden Zeilenbauten. Wer sich kein Eigenheim leisten konnte, war also auf den Balkon beschränkt: „Urlaub auf Balkonien“, lautete vor vierzig Jahren eine aufschlussreiche Redewendung jener, die in den Ferien nicht verreisen konnten.
In Siegmunds Hof haben die Architekten das Potenzial der Stadtlandschaft beim Wort genommen: In den Brüstungen der Erdgeschossbalkone lassen sich neuerdings kleine Pforten öffnen, durch die man über kurze, angestellte Treppen direkt in den Garten gelangt. Außenraum und Wohnzelle werden dadurch auf direkte Weise miteinander verbunden, was dazu einlädt, tatsächlich in der Stadtlandschaft zu wohnen; „Haus für urbane Gartenfreunde“ ist folgerichtig das Profil, das die Architekten für dieses Gebäude entwickelt haben. Die nächsten Gebäude werden jeweils eine andere Zielgruppe ansprechen, was ein störungsarmes Miteinander in jedem Haus fördern soll. Auf die architektonischen Eingriffe im „Haus für Partytiger“ und im „Haus für Workaholics“ darf die Öffentlichkeit gespannt sein (siehe Inhaltsseite).
Fassade
Das Äußere eines Gebäudes erlaubt es gemeinhin, ein Gebäude seiner Entstehungszeit zuzuordnen, und nur wenn eine Sanierung mit Bedacht vorgenommen wird, bleibt dieser Aussagewert erhalten. Die Erneuerung von Haus 13 zeigt eine Kompromisslösung. Bei den Balkonfassaden blieb der alte Aufbau mit seinen zeittypischen Eternit-Welltafeln erhalten, auch, weil hier eine konsequente Wärmedämmung aufgrund der Konstruktion der Balkone sehr aufwendig gewesen wäre. Auf der flächigen Nordostfassade hingegen wurde eine Wärmedämmung aufgebracht, die aber die Architektur nicht verschleiert, sondern verstärkt: indem die schon von Anfang an tief in den Laibungen liegenden Fenster nur noch weiter nach hinten rücken, während die neuen großen, bündig in die Fassade gesetzten Fenster die „Leichtigkeit“ dieser Hülle ahnen lassen.
Hausgemeinschaft
Zwei Funktionen eines Studentwohnheims benannte Architekt Klaus Ernst, als er die Anlage in Siegmunds Hof einst in der Bauwelt erläuterte: zum einen die Unterbringung der Studenten, zum anderen ihre Bildung zu Bürgern, die am Ende des Studiums nicht nur professionelle Aufgaben zu übernehmen in der Lage sein sollten: „Stimmt man die Sphären mit den beiden Grundaufgaben ab – mit der sozialen Zweckbestimmung und der geistigen Zielsetzung –, ergibt sich, dass die Sphäre des Persönlichen etwa identisch ist mit dem Unterbringungsauftrag. In ihr ist ein Maximum von Persönlichem enthalten – im Gegensatz zu der Sphäre der Freizeit und der Sphäre der Allgemeinheit, die zur Erfüllung der Unterbringungsaufgabe nicht erforderlich, jedoch für die Erfüllung der geistigen Zielsetzung unerlässlich sind. Nur ein Studenten-Wohnheim, das in seinem Aufbau dieser Analyse etwa entspricht, wird in der Lage sein, beide Aufgaben zu erfüllen, und mehr zu sein als nur ein Studenten-Hotel.“ (Bauwelt 8.1962)
Platz für Gemeinschaftsräume boten sich in den Erdgeschossen der frei stehenden großen Wohnhäusern der Stadtlandschaft an, sofern diese nicht als „Luftgeschoss“ wie etwa beim Niemeyer-Haus im Hansaviertel ausgebildet wurden, oder als oberer Abschluss, in Form einer gemeinschaftlich nutzbaren Dachterrasse, von Hauswirtschafts- oder Arbeitsräumen. Letzteres findet sich auch bei den Wohnheimen in Siegmunds Hof. Gemeinschaftsräume des Alltags wie die Küchen wurden auf der Ostseite angelegt. Ihr Außenraumbezug war ursprünglich minimal: Belichtet nur von kleinen quadratischen Fenstern, die kaum Aussicht boten und wenig Tageslicht ins Innere ließen, stellen sie sich als radikal auf ihre Grundfunktion reduzierte Infrastrukturzutaten dar: Hier darf man kochen, darüber hinaus aber lädt der Raum nicht zum Aufenthalt ein. Nun sind aber gerade Kochen und Essen potentiell gesellige Angelegenheiten, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Architekten darum bemüht haben, die Küchen wohnlicher zu machen: mit großen Fenstern, die in die Außenwände eingelassen wurden, und mit einer großzügigen Verglasung der Schmalseite nach Süden hin. Beides respektiert und belässt die vorgefundene Architektur, ergänzt sie aber sinnvoll und wird dabei formal so behandelt, dass die neue Qualität auch als neu ablesbar ist: kontrastierend gesetzt, aber ohne gestalterischen Bruch mit dem Bestand.
Zimmer
Die Typologie des Zeilenbaus legt nahe, die immer gleiche Wohneinheit zu vervielfachen: horizontal gereiht und vertikal gestapelt. Die heute häufig zu beobachtende Tendenz, diesen Bautypus mit einer verschachtelten Vielfalt unterschiedlicher Wohneinheiten zu verschränken, ist der Versuch, die vom Städtebau nicht geleistete Differenzierung von Wohnlagen mit architektonischen Mitteln zu kompensieren. Im Bestand ist das einfacher, wie die Eingriffe der Baupiloten zeigen: Sie haben einen Teil der Einzelzimmer miteinander verbunden, um kleine Wohngemeinschaften zu bilden, was freilich die Bereitschaft des Bauherren voraussetzt, die Zahl der Unterbringungsplätze zu reduzieren.
Mit diesen Eingriffen kann das Wohnheim in Siegmunds Hof den einst von seinem Architekten Klaus Ernst erkannten Bildungsauftrag auch in Zukunft erfüllen. Warum? Weil gerade Studenten ein bisschen von der Fähigkeit der damaligen Architekten, an eine ganz neue Stadt, an eine neue, bessere Gesellschaft zu glauben, angesichts der ökologischen, ökonomischen und demographischen Probleme unserer Zeit ganz gut gebrauchen können – einerseits. Andererseits lehrt der Umgang mit dem Gebäude aber, dass die Welt, wie sie ist, nicht ganz und gar verworfen werden muss, um einen neuen Zustand zu erreichen. Oft genügen schon ein paar neue Fenster, Pforten und Treppchen, um starre Ordnungen in Bewegung zu bringen.
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