Swissmill-Silo in Zürich
Der Swissmill-Silo führt die Industriearchitektur in Zürich-West in luftigen Höhen weiter. Ein Besuch auf der Baustelle zeigt, warum das richtig ist
Text: Herzog, Andres, Zürich
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Der Swissmill-Silo steht direkt am Ufer der Limmat im ehemaligen Industriequartier Zürichs.
Foto: Harder Haas Partner
Der Swissmill-Silo steht direkt am Ufer der Limmat im ehemaligen Industriequartier Zürichs.
Foto: Harder Haas Partner
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Das höchste Kornhaus der Schweiz ist klassisch in Sockel, Schaft und Krone geteilt.
Foto: Harder Haas Partner
Das höchste Kornhaus der Schweiz ist klassisch in Sockel, Schaft und Krone geteilt.
Foto: Harder Haas Partner
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Foto: Harder Haas Partner
Foto: Harder Haas Partner
Die Tür schnappt ein, es rumpelt, und die Metallkiste rattert langsam nach oben. Wie eine Felswand zieht die Betonfassade vorbei, an der sich der Baustellenlift mit Stahlarmen festklammert. Kein Fenster in Sicht. Auch die Tafel neben dem Steuerknopf, welche die 118 Meter in nur 11 Stockwerke unterteilt, verdeutlicht: Das ist kein gewöhnliches Hochhaus. Im Swissmill-Silo in Zürich-West werden nach der Fertigstellung im Herbst dieses Jahres bis zu 60.000 Tonnen Getreide lagern. Er steht mitten in der Stadt, direkt am Limmatufer im ehemaligen Industriequartier. Seit 1843 mahlt hier eine Mühle, damals noch außerhalb der Stadtgrenze. Die Anlage wurde stetig ausgebaut. Nun haben Harder Haas Partner Architekten einen der vier Silos um 78 Meter aufgestockt und ihn so nach dem PrimeTower zum zweithöchsten Bauwerk der Stadt gemacht.
Die Architektin Veronika Harder steigt die Treppe hoch, die zuoberst auf eine kleine Plattform führt. „Es lohnt sich“, ruft sie dem Journalisten zu, dessen Knie zu wackeln beginnen. Oben, in schwindelerregender Höhe, blickt man über Zürich und aufs Dach des Silos, an dem noch gearbeitet wird. Hier entsteht ein großes Sitzungszimmer mit imposanter Aussicht, darunter dient das Gebäude knallhart dem reinen Zweck, und der heißt: Raum pur. Tragende Wände teilen den Grundriss in sechs mal acht Zellen auf, die von unten bis oben durchlaufen. Den quadratischen Raster von 3,6 Meter gibt der Altbau vor. Nur drei Zellen sind nicht hohl. Sie nehmen Treppe, Aufzug und die Becheranlage auf, die das Getreide nach oben befördert.
Die Aufstockung erfolgte bei laufendem Betrieb. Der neue Silo wurde auf den alten gesetzt, genauer gesagt, darüber gestülpt. Neu betonierte Außenmauern leiten die Lasten in die Pfahlfundamente, die tief im Boden dem Grundwasser standhalten. Darüber steht der Silo wie auf einem Tisch. Der Zellenblock wurde mit einer Gleitschalung betoniert, die jeden Tag kontinuierlich vier Meter nach oben wanderte. Das bedingte ständigen Nachschub auf der Baustelle. Da die Zufahrt mit Lastwagen aber beschränkt war, wurde der Turm in der Vertikalen geteilt und in zwei Abschnitten nach oben gezogen, was sich deutlich auf der Fassade abzeichnet.
Wieder festen Boden unter den Füßen, stehen wir im Mühlengebäude, im Bauch der Anlage. Die Maschinen dröhnen ohrenbetäubend, das Getreide rinnt und rasselt in den Röhren. Am Standort wird das Korn gereinigt, getrocknet, gelagert, gemischt, gemahlen und am Ende verpackt. Swissmill betreibt hier die größte Mühle der Schweiz. Doch die Firma hat den Silo nicht ausgebaut, um die Produktionskapazität zu erhöhen.Es waren vielmehr logistische Gründe. Die Aufstockung ersetzt zu einem Teil einen Silo am Hafen in Basel, der dem Novartis-Campus weichen musste. „Das meiste Getreide kommt heute auf verschiedenen Wegen aus Osteuropa – und nicht mehr aus den USA über den Rhein“, erklärt Harder. Also sei es sinnvoll, die Produkte direkt bei der Verarbeitung zu lagern. Der große Speicher macht die Firma zudem unabhängiger beim Einkauf und ermöglicht ein vielfältigeres Sortiment, das auf über hundert Sorten Mehl und Grieß angewachsen ist. Dreimal täglich fährt ein Güterzug auf einem nicht anderweitig mehr benutzten Gleis durch Zürich-West und versorgt die Mühle. Der Abtransport geschieht zum größten Teil mit Lastwagen, die rund 80 Prozent des Mehls in Betriebe im Umkreis von 25 Kilometern beliefern. Dass der Silo also weiterhin an so zentraler Lage steht, leuchtet ökologisch ein. „Ein Abbruch der ganzen Anlage hätte mehr gekostet, als das Land wert ist“, gibt Harder zudem zu bedenken.
Schlank wie das Empire State Building
Wir stehen im Baustellenbüro, wo die Ohren wieder Luft kriegen. Bilder des Turms in der Stadtsilouette und Betonmuster auf dem Fenstersims machen klar: Das ist kein Silo von der Stange; das Hochhausgesetz verlangt eine sorgfältige Gestaltung. „Die Fassade folgt dem goldenen Schnitt“, sagt Harder und zeigt auf die Pläne an der Wand. In der Tat: Der Swissmill-Silo ist elegant proportioniert wie keines der jüngeren Hochhäuser in Zürich, bei denen Rendite und Brandschutz fette Grundrisse diktieren. Das Verhältnis von Breite zu Höhe von 1:4 erinnert an die New Yorker Ikonen, etwa das Empire State Building. Dagegen wirkt der PrimeTower geradezu pummelig, obwohl er zu den schlankeren Türmen in der Stadt gehört.
Die Fassade teilten die Architekten in Sockel, Schaft und Krone. Rot gestrichene Lisenen beziehen den unteren Teil auf das Backsteingebäude nebenan. Sie sind tatsächlich tragend – und nicht appliziert. Dies gilt auch für die vertikalen Rillen, die den Turm über dem Sockel gliedern. Die Fugen zeichnen die Zellenwände im Inneren nach. Selbst die Oberfläche des Betons, der von Hand abgerieben wurde, ist innen die gleiche wie außen. Die Architekten färbten den Beton mit Flugasche, einem natürlichen Pigment, denn chemische Zusätze verbietet die Lebensmittelordnung. Der Silo ist durch und durch „ehrlich konstruiert“, wie das auf Architektendeutsch heißt. Einzig die PV-Paneele auf der Südseite, die derzeit montiert werden, sind auf die Tragstruktur aufgesetzt. „Der Verarbeitungssilo ist ein Zweckbau, also ein Gebäude, das aus sich heraus spricht, das aber harmonisch gestaltet sein soll“, so Harder. Das Ergebnis ist eine pragmatische und doch elegante Direktheit, die vielen Bling-Bling-Fassaden der neuen Türme in Zürich abgeht.
Dessen ungeachtet: Der Turm sorgte für Diskussionen, nicht nur im Vorfeld. Rund 80 Einsprüche gingen gegen den Bau ein, der Zürcher Heimatschutz schüttelte den Kopf, und letzten Sommer beklagten sich die Gäste im nahen Freibad „Unterer Letten“, dass der Silo ihnen die Sonne raube. Dabei fällt der Schatten vor allem auf den Fluss und tangiert kein einziges Wohngebäude. Außer den beiden Stadtteilen hinter dem Turm haben denn auch alle eindeutig für die Aufstockung gestimmt. Vielleicht haben die Bürger ja gespürt: Dieser Turm ist Teil der Gesellschaft wie kein anderer in Zürich-West. Hier logieren nicht die oberen fünf Prozent, hier lagert das Getreide für fast jedermanns täglich Brot. Der Turm ist auch kein Zeitzeuge wie die Malz- und Kohlesilos, die auf dem benachbarten Löwenbräu-Areal wacker, aber entleert für die Vergangenheit stehen. Der Swissmill-Silo ist 118 Meter kraftvolle Gebrauchsarchitektur, und dies in einem Quartier, das längst den Anzugträgern gehört. Statt nur von früher zu erzählen, beweist er: Die Geschichte geht weiter.
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