Ulrich-Gabler-Haus in Lübeck
Und noch eine Stiftung als Bauherr: Konermann Siegmund Architekten haben in der Lübecker Altstadt für die Ulrich-Gabler-Stiftung einen Neubau errichtet.
Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin
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Verglaste Hausecke als Vitrine: Die Funde auf dem Grundstück Schüsselbuden 6, die aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts stammen, haben die Architekten ausgestellt
Foto: Dorfmüller Klier
Verglaste Hausecke als Vitrine: Die Funde auf dem Grundstück Schüsselbuden 6, die aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts stammen, haben die Architekten ausgestellt
Foto: Dorfmüller Klier
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Im Café im Untergeschoss liegen die historischen Funde offen. Mit Estrich und geweißten Wänden wird ein Kontrast zum Neubau geschaffen.
Foto: Dorfmüller Klier
Im Café im Untergeschoss liegen die historischen Funde offen. Mit Estrich und geweißten Wänden wird ein Kontrast zum Neubau geschaffen.
Foto: Dorfmüller Klier
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Drei Schichten: Glasfassade, acht Jahrhunderte altes Mauerwerk, V-Stützen aus Beton
Foto: Dorfmüller Klier
Drei Schichten: Glasfassade, acht Jahrhunderte altes Mauerwerk, V-Stützen aus Beton
Foto: Dorfmüller Klier
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Im Gegensatz zum westlichen Gebäudeteil mit der Bürostruktur der Polizeidienststelle, gestalteten die Architekten den Grundriss im von der Vorwerker Diakonie genutzten Teil, offener.
Foto: Dorfmüller Klier
Im Gegensatz zum westlichen Gebäudeteil mit der Bürostruktur der Polizeidienststelle, gestalteten die Architekten den Grundriss im von der Vorwerker Diakonie genutzten Teil, offener.
Foto: Dorfmüller Klier
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Mit abgehängten Ebenen und Galerien erstrecken sich Räume über zwei Geschosse hinweg.
Foto: Dorfmüller Klier
Mit abgehängten Ebenen und Galerien erstrecken sich Räume über zwei Geschosse hinweg.
Foto: Dorfmüller Klier
Eine prominentere Lage für einen Neubau in der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden Altstadt von Lübeck ist kaum möglich. Das Eckgrundstück im Kaufleuteviertel, an die Straßen Schüsselbuden und Alfstraße grenzend, liegt direkt gegenüber der Marienkirche, diagonal vom Buddenbrookhaus und unweit von Marktplatz und Rathaus. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Lübecks Altstadt stark zerstört. Jahrzehnte lag das Eckgrundstück brach und wurde bis 1985 als Parkplatz genutzt.
Bei einer Großgrabung zwischen 1986 und 1990 entdeckten Archäologen dort Mauerwerk. Die Reste des Hauses Schüsselbuden 6 – der Straßenname leitet sich aus einer frühen Bebauung mit Marktbuden ab, in denen Töpferwaren verkauft wurden – weisen eine seltene Gebäudetypologie auf: Es soll ein aus dem 13. Jahrhundert stammendes Saalgeschosshaus gewesen sein, das hier stand. Anders als beim Dielenhaus, in dem sich die Diele als Hauptraum meist über zwei Geschoss erstreckt, sind die Geschoss hier gleichrangig.
Die Ulrich-Gabler-Stiftung, die sich für die Förderung von Bauten der Lübecker Diakonie einsetzt, lobte 2010 für die Bebauung des Grundstücks einen beschränkten Wettbewerb aus. Ungewöhnlich war das geforderte Raumprogramm, denn sowohl eine Dienststelle der Polizei als auch die Vorwerker Diakonie sollten als Mieter einziehen. Neben Büros, einer Schule für Heilpädagogik (in der Auslobung war es noch ein von Behinderten betriebenes Hotel) und Werkstätten, sollten auch öffentlich zugängliche Räume für ein Café, ein Geschäft und eine Schauweberei geschaffen werden. Weltkulturerbe, denk-malgeschützte Siedlungsfunde, ein kniffliges Raumprogramm und ein knappes Budget – das klingt nach Rahmenbedingungen, die sich schwer miteinander vereinbaren lassen.
Auf sechs Parzellen
Den Wettbewerb gewannen die Architekten Georg Konermann und Ingo Siegmund. In drei Jah-ren Bauzeit realisierten sie ein Gebäude, das nicht nur einlöst, was gefordert war, sie demonstrieren zugleich vorbildlich, wie Bauen im historischen Umfeld aussehen kann, ohne sich diesem anzubiedern.
Durch die Grabungen auf dem Grundstück und durch historisches Bild- und Planmaterial hatten die Architekten Kenntnisse über die vorherigen Bebauungen. Ursprünglich war das Grundstück in sechs Parzellen aufgeteilt, wobei zwei Parzellen zur Straße Schüsselbuden ausgerichtet waren, vier zur Alfstraße. Früher war diese Aufteilung an den unterschiedlich gestalteten Schaugiebel deutlich ablesbar. Jetzt sollte statt sechs Gebäuden nur eines auf dem schmalen, langgestreckten Grundstück entstehen. Äußerlich wurde die alte Parzellierung für den Neubau aufgegriffen und über die Anordnung der Fenster, leichte Versprünge, einen Erker (eher untypisch in Lübeck) und sechs Giebel, eine feinsinnige Interpretation der Vorgänger Bauten gefunden. Mit abstrahierten Details der historischen Fassaden gliederten die Architekten die Kubatur des großen Volumens. Es ist ihnen gelungen, trotz der Größe und auch mit einer monochromen Lochfassade dem kleinteiligen Charakter der Altstadtbebauung zu entsprechen.
In der Fassade lassen sich Details der Lübecker Bautradition wiederfinden: Die Giebel stehen wie die typisch nordischen Schaugiebel vor dem Dach, die Fenster sitzen (das „Speicherfenster“ im Giebel ausgenommen) bündig in der Fassade und die Fensterflügel öffnen sich nach außen, die Türen sind überhöht und liegen tief im Mauerwerk. Selbstverständlich wurde, wie gefordert, mit Ziegel gebaut, nicht in rotem, sondern in einem hellen, sandfarbenem Ton. Die Wahl erklären die Architekten mit der Kirche im Hintergrund: Man wollte sich einerseits von den roten Ziegeln der Marienkirche abheben, andererseits den Kirchenbau im Stadtbild stärken.
Eine völlig andere Sprache spricht das Gebäude an der verglasten Ecke, wo die „Schüsselbu-de 6“ entdeckt wurde. Die Architekten entschieden, die Funde der Öffentlichkeit sichtbar und zugänglich zu machen. Das Gebäude wird an dieser Stelle von großen V-Stützen aus Beton getragen. Entstanden ist eine Art doppelte Vitrine: Im Untergeschoss lässt sich das historische Mauerwerk auch von außen erkennen. Darüber schwebt, von der Fassade zurückgesetzt, das an Stahlseilen hängende Erdgeschoss, in dem die Schauweberei der Vorwerker Diakonie liegt. Der Raum im Unterschoss wird als öffentliches Café genutzt. Hier kann man ganz nah an die mehr als 800 Jahre alten Funde herantreten.
Die Entscheidung, das Ziegelgebäude an dieser Stelle „schweben“ zu lassen, ist konzeptionell und funktional nachvollziehbar. Es lässt sich darüber streiten, ob diese große Geste, dieser regelrechte Bruch, notwendig war. Für die Qualität der „Vitrinenräume“ ist es die richtige Entscheidung gewesen. Gerade das Café, in dem die historischen Funde mit Sichtbeton, Estrich, verputzen Wänden und den großen Fensteröffnungen kontrastieren, ist trotz der Lage im Untergeschoss, ein außergewöhnlich heller Raum entstanden. Im Erdgeschoss, wo das Geschäft der Diakonie in die Schauweberei übergeht, wird die Außenfassade nicht berührt, trotzdem besteht durch die Verglasung ein Außenbezug. Altes und Neues scheint miteinander zu sprechen und erzählt dabei auf einen Blick die Geschichte des Hauses.
Unter sechs Dächern
Unter dem dritten Dach an der Alfstraße, wo sich die Anordnung der Fenster von denen in den benachbarten Fassaden unterscheidet, ist das Treppenhaus angeordnet, das beide Nutzer voneinander trennt. Rechterhand liegen die Büros der Polizei. In dem linken Teil sind im Untergeschoss bis zum zweiten Obergeschoss die Werkstätten, die Büros und der Laden der Vorwerker Diakonie untergebracht. Darüber befinden sich die Räume der Schule für Heilpädagogik.
Bedingt durch das umfangreiche Raumprogramm wurden 97 Prozent des Grundstücks überbaut. Der ernormen Dichte wird mit einer geschickten Konzeption des Innenraums begegnet. Eher geringe Deckenhöhen, eine schmale, funktionale Durchwegung und einfache, helle Räume werden immer wieder durch kluge Sonderlösungen aufgebrochen. In der Kantine, die hinter dem Café im Untergeschoss liegt, ist es nur ein kleines Detail: Um hier möglichst viel Tageslicht einfallen lassen zu können – und um die Fassade nicht mit kleinen Kellerfenstern zu stören – wurden extra große Fenster eingebaut. Sie ragen in das darüberliegende Geschoss hinein. Deshalb haben die Architekten dort den Boden ausgespart. Der entstandene Versatz wird in der Töpferei im Erdgeschoss als Werkbank genutzt. Für die Schule entwarfen die Architekten großzügige Räume. Galerien und Lufträume, die Stockwerke miteinander verbinden, schaffen eine offene Struktur, so zum Beispiel im Foyer, das sich über zwei Geschosse mit einer Galerie erstreckt. Höhepunkt aber sind die beiden Räu-me unterm Dach, die unter dem First bis zu zehn Meter hoch sind. Durch lange, tief in die Schrägen eingeschnittene Fenster, schaut man von hier über die roten Dächer Lübecks.
Auf der Hofseite des Gebäudes springt die Fassade mit jedem Geschoss ein Stück weiter zurück und bildet kleine Terrassen aus. Die oberste ist der Schulhof. Von hier eröffnet sich der Blick auf die Marienkirche und hebt die Qualität des Gebäudes noch einmal hervor. Die Architekten haben mit Rücksicht auf den Ort und die Lübecker Bautradition eine eigenständige Architektur geschaffen, die sich dem historischen Kontext stellt, ohne ihm zu verfallen.
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