Bauwelt

Verdichtungen


Das White Building in Phnom Penh


Text: Henning, Moritz, Berlin


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    In den 60er Jahren war das White Building von Parkanlagen umgeben, ebenfalls von Lu Ban Hap gestaltet
    Foto: Archiv Vann Molyvann

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    In den 60er Jahren war das White Building von Parkanlagen umgeben, ebenfalls von Lu Ban Hap gestaltet

    Foto: Archiv Vann Molyvann

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    Wo die Freiflächen noch nicht bebaut sind, sind sie eingezäunt. 2007 befand sich hier ein Hüttendorf.
    Foto: Moritz Henning

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    Wo die Freiflächen noch nicht bebaut sind, sind sie eingezäunt. 2007 befand sich hier ein Hüttendorf.

    Foto: Moritz Henning

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    Die Front du Bassac in den 60er Jahren. In der Mitte oben das White Building, rechts die Apartments für Sportler von Vann Molyvann, daneben das im Bau befindliche Preah Suramarit Theater, ebenfalls von Vann Molyvann

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    Die Front du Bassac in den 60er Jahren. In der Mitte oben das White Building, rechts die Apartments für Sportler von Vann Molyvann, daneben das im Bau befindliche Preah Suramarit Theater, ebenfalls von Vann Molyvann

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    Flure ziehen sich auf jeder Etage durch das gesamte Gebäude. Regelmäßig finden sich hier kleine Shops.
    Foto: Moritz Henning

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    Flure ziehen sich auf jeder Etage durch das gesamte Gebäude. Regelmäßig finden sich hier kleine Shops.

    Foto: Moritz Henning

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    Flure ziehen sich auf jeder Etage durch das gesamte Gebäude. Regelmäßig finden sich hier kleine Shops.
    Foto: Moritz Henning

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    Flure ziehen sich auf jeder Etage durch das gesamte Gebäude. Regelmäßig finden sich hier kleine Shops.

    Foto: Moritz Henning

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    Der nördlichste Abschnitt des White Building am Sothearos Boulevard, 2013
    Foto: Moritz Henning

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    Der nördlichste Abschnitt des White Building am Sothearos Boulevard, 2013

    Foto: Moritz Henning

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    Vier offene Treppenhäuser gliedern das Gebäude in einzelne Abschnitte
    Foto: Moritz Henning

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    Vier offene Treppenhäuser gliedern das Gebäude in einzelne Abschnitte

    Foto: Moritz Henning

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    Heute sind die ehemals großzügigen Freiflächen um das White Building herum fast vollständig zugebaut
    Foto: Moritz Henning

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    Heute sind die ehemals großzügigen Freiflächen um das White Building herum fast vollständig zugebaut

    Foto: Moritz Henning

2007 war ich zum ersten Mal im sogenannten „White Building“, einem der berühmtesten Gebäude der Khmer-Moderne der 1960er Jahre in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas – ein nachhaltiges Erlebnis. 2013 besuchte ich Phnom Penh erneut, und kürzlich habe ich Lu Ban Hap, den Architekten des Gebäudes, nach langer
Suche in Paris gefunden. Es ist nicht allein die Architektur des Hauses, die mich beeindruckt, sondern vielmehr die Art, wie sich hier Welt-, Landes- und Architekturgeschichte verdichten.
Zu Beginn der sechziger Jahre war Phnom Penh eine Stadt im Aufbruch. 1953 hatte sich Kambodscha die Unabhängigkeit von der französischen Kolonialherrschaft erkämpft, und die Stadt war das Zentrum des aufstrebenden Landes. Überall wurde gebaut, die Bevölkerung wuchs rasant. Der Expansionsdrang machte auch vor den Flussufern nicht halt, und so entstand auf einem trockengelegten Areal am Ufer des Tonle Bassac, einem Seitenarm des Me-kong, mit der „Front du Bassac“ ab 1961 ein völlig neues Stadtviertel. Eines der ersten fertiggestellten Gebäude war 1963 das White Building.
Ich kannte Fotos aus den 1960er Jahren, auf denen strahlend weiße Gebäude zu sehen sind, eingebettet in sorgsam gestaltete Freiflächen. Doch von der namensgebenden Farbe ist kaum noch etwas zu sehen, als ich zum ersten Mal vor dem Gebäude stehe: Vor mir dehnt sich in schier endloser Länge eine Struktur aus, die mehr wie ein lebendiger Organismus wirkt denn wie ein Haus. Überall wuchern improvisierte Bauteile aus den Wänden, Wasserrohre und Elektroinstalla-tionen überziehen die Struktur wie Schlingpflanzen. Ein Patchwork aus Blech, Brettern und bröckelndem Beton bildet die Haut eines sich langsam auflösenden Bauwerks. Und mittlerweile grenzt es an ein Wunder, dass es überhaupt noch steht – auch angesichts der Tabula rasa, die sein Umfeld gerade heimsucht. Nachdem die gesamte Uferfront ins Blickfeld der Immobilienbranche gerückt ist, befindet sich das Areal in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Das boomende Phnom Penh sucht wieder einmal eine neue Gestalt, aber vor allem sucht es Grund und Boden. Für die Bewohner des Hauses hat das drastische Folgen: Permanent werden sie unter Druck gesetzt, Einheiten der Polizei „inspizieren“ das Gebäude, vor einiger Zeit drohten die Behörden mit Räumung aus „Sicherheitsgründen“, und gerade haben Baumaßnahmen auf einem Nachbargrundstück einen über mehrere Geschosse laufenden Riss durch das Haus getrieben. Es scheint ein Leben auf Abruf.
 Der Stadtteil wurde einst konzipiert von einem international besetzten Team, bestehend aus Vladimir Bodiansky, Gerald Hanning und Robert Hansberger, gemeinsam mit Vann Molyvann, der 1956 als erster ausgebildeter Architekt vom Studium aus Paris zurückgekehrt und nun Leiter des Ministeriums für öffentliche Bauvorhaben war, und Lu Ban Hap, ebenfalls in Paris ausgebildet und nun in der Verwaltung verantwortlich für Wohnungsbau und Stadtplanung der Hauptstadt. Bodiansky hatte mit Le Corbusier an der Unité d’Habitation in Marseille und mit Georges Candilis und Shadrach Woods als ATBAT-Afrique in den 1950er Jahren in Algerien und Marokko gearbeitet. Seit 1961 war er auch in Kambodscha tätig, unter anderem beteiligt an Vann Molyvanns „National Sports Complex“ (Bauwelt 9.2014). Auch Gérald Hanning hatte mit Le Corbusier gearbeitet, ging ebenfalls später nach Nordafrika und war seit 1959 als technischer Berater der UN in Kambodscha. Das neue Viertel geriet mit seinen Zeilen und frei stehenden Einzelbauten denn auch kompromisslos modern in einer Stadt, die bis dahin fast ausschließlich aus Villen und Block-randbebauung bestand. Doch das neue Kambodscha suchte auch eine neue Gestalt, und das Quartier war eines der Aushängeschilder von Sihanouks Vision eines aus der Kolonialzeit aufsteigenden Landes. Dessen architektonische Vorbilder allerdings waren in Europa zu finden, in der radikalen Moderne Le Corbusiers, die über französische Kolonien und Pariser Universitäten den Weg in die neue kambodschanische Hauptstadt fand.

Die „Städtischen Apartments“, so der ursprüngliche Name, wurden von Lu Ban Hap und Vladimir Bodiansky geplant. Im Frühjahr 2015 habe ich das Vergnügen, mit Lu über sein Werk sprechen zu können. Und er zerstreut erst einmal alle Unklarheiten über die Urheberschaft des Gebäudes, denn immer wieder wird der Entwurf auch Vann Molyvann zugeschrieben: „Vladimir Bodiansky hat uns ein Projekt gezeigt, das er für Nordafrika geplant hatte. Ich sagte: Gut, wir können das machen, aber lass uns das etwas größer und höher machen! Bodiansky und ich haben also den Entwurf zusammen gemacht, und ich habe das dann ausgeführt.“ Herausgekommen ist ein für kambodschanische Verhältnisse mehr als ungewöhnliches Haus: In der 325 Meter langen Zeile sind auf drei bzw. vier Etagen insgesamt 468 Zwei- und Dreizimmerwohnungen untergebracht, erschlossen von über die gesamte Länge des Gebäudes durchlaufenden Mittelfluren. Alle Wohnungen haben Küchen und Bäder mit Zugang zu einer Terrasse. Der von vier offenen Treppenhäusern gegliederte Baukörper steht auf Stützen und gewährleistet so den Durchgang von der Straße auf der einen zum (damaligen) Park auf der anderen Seite.
Die französische Ausbildung Lus und die Erfahrung Bodianskys in Afrika haben ihre Spuren hinterlassen, die Verwandtschaft mit Bauten von ATBAT-Afrique wie der Cité Verticale in Casablanca oder der Unité d’Habitation in Marseille ist unverkennbar. „Ich habe Corbusier verehrt! Alle haben ihn damals verehrt!“, erklärt mir Lu, doch dem Konzept der Cité Radieuse stand er skeptisch gegenüber: „Corbusier hat alles in ein Gebäude gepackt, Läden, Wohnungen, Kindergärten, man brauchte das Haus gar nicht mehr zu verlassen. Aber man kann die Menschen nicht so beschränken, das funktioniert nicht. Die Leute wollen nicht immer nur rauf und runter, rauf und runter, sie wollen auf die Straße gehen, zum Einkaufen...“
Kaum zu erkennen ist dagegen ein Bezug zur lokalen Architektur, wie er z. B. im Werk von Vann Molyvann regelmäßig festzustellen ist, beispielsweise  in der Adaption traditioneller Hausformen oder dem Umgang mit den Elementen Wasser und Luft. Auch wendet sich der neue Haustyp ab vom damals verbreiteten Typ des „Shophouse“ mit Werkstatt oder Laden im Erdgeschoss und Wohnräumen darüber. Doch das mag auch an den Adressaten gelegen haben, denn geplant wurde das Haus als kostengünstiger Wohnungsbau für Staatsbedienstete mit niedrigem Einkommen. Hierfür wurde ein Finanzierungsmodell aufgelegt, das ebenso innovativ war wie der Städtebau: Finanziert wurde der Bau über vergünstigte Kredite des Nationalen Pensionsfonds. Da der Staat kein Interesse an der Vermietung von Wohnungen hatte, sollten die Bewohner nach einer gewissen Zeit der Mietzahlung Eigentümer werden. Auch Lu Ban Hap selbst besaß, obwohl 1963 sicherlich nicht mehr zu den Geringverdienern gehörend, in der obersten Etage des südlichen Abschnittes zwei Wohnungen. Doch das Experiment fand keine Nachfolger, erzählt Lu, das White Building ist der einzige Versuch eines öffentlich organisierten, sozialen Wohnungsbaus geblieben, wie auch der Bautypus keine Nachahmer gefunden hat.
Am 17. April 1975 marschierten die Roten Khmer in Phnom Penh ein. Die Bevölkerung wurde zur Zwangsarbeit aufs Land verfrachtet, die Kapitale verwandelte sich in eine Geisterstadt. Nach dem Sieg der Vietnamesen 1979 kehrten die Menschen zurück, aber es waren nicht unbedingt die, die gegangen waren. Zwischen 1,7 und 2,2 Millionen Kambodschaner ließen unter den Roten Khmer ihr Leben, und nun zogen die Überlebenden auf der Suche nach Verwandten durchs Land. Das gesamte Katasterwesen war zerstört, und „Hausbesetzungen“ blieben oft als einziger Weg, zu Wohnraum zu kommen. In dieser Situation entschied sich die damalige Regierung, das White Building zur neuen Heimat für Künstler zu machen: Maler, Tänzer und Musiker sollten dort, in der Nachbarschaft des Theaters, an einer Wiederbelebung der kambodschanischen Künste arbeiten, die unter den Roten Khmer fast verloren gegangen waren.
Aber die Zeiten haben sich schon wieder geändert, und heute leben nicht mehr nur Regierungsbeamte oder Künstler in Sihanouks Architekturvision. Einige der ursprünglichen Bewohner gibt es zwar noch, aber viele neue sind hinzugekommen: Handwerker, Dealer, Lehrer, Zuhälter, Prostituierte, Unternehmer, eine Musikschule, ein guter Teil der jungen Kunstszene und mit ihnen nicht zuletzt in den Projekträumen von SaSa Bassac die erste unabhängige Künstlerinitiative Phnom Penhs. Die mittlerweile fast 3000 Bewohner haben sich das Gebäude unverkennbar an-geeignet: Um- und Anbauten, veränderten Lebensbedürfnissen und wirtschaftlichen Zwängen folgend, prägen heute sein Erscheinungsbild. Die einstige Monostruktur der Wohnnutzung ist aufgebrochen, im Erdgeschoss befinden sich nun Läden, Werkstätten oder Imbissbuden, und auch die oberen Geschosse sind immer wieder mit unterschiedlichen Nutzungen gespickt – die Menschen brauchen schlicht Einkommensquellen. So ähnelt das Gebäude heute vielleicht mehr der Unité in Marseille, als es sich seine Entwerfer wohl jemals haben vorstellen können.
Lu Ban Hap indes, als Leiter des „Service Municipal de l’Urbanisme et d’Habitat“ war er auch für die Pflege und Instandhaltung städtischer Gebäude wie dem White Building zuständig, ist schockiert, als ich ihm meine Fotos des Hauses zeige: „So etwas gab es damals nicht“, stellt er kopfschüttelnd fest. „Früher war alles viel ordentlicher. Ich hätte das nicht zugelassen.“ Doch sein Lieblingsgebäude war sein berühmtestes Werk ohnehin nie, scheint es: „Das Hotel Cambodiana und mein eigenes Haus waren wichtig für mich, aber das White Building? Nein, das war ja nicht mein Projekt“, erklärt er, als ich ihn nach seinem wichtigsten Werk frage. Dennoch scheint ihm das Schicksal des Hauses nahezugehen, denn schon am nächsten Tag überlegt er: „Es braucht einen Verantwortlichen, der für alle Bewohner spricht, dann könnte man das vielleicht organisieren. Ein Teil der Bewohner müsste ausziehen, dann könnte man einen Abschnitt sanieren, und die Leute könnten wieder einziehen.“ Vielleicht gelingt es ja noch, das Haus zu retten, das wie kaum ein anderes Zeitzeuge und Dokument der wechselhaften Geschichte des Landes ist.



Fakten
Architekten Lu Ban Hap
Adresse white building phnom penh


aus Bauwelt 38.2015
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