WIPO Hauptsitz
Genfer Tiefenwasser
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Die Weltorganisation zum Schutz des geistigen Eigentums OMPI (englisch WIPO) hat ihren Sitz in einem Hochhaus an der Place des Nations in Genf. Den Wettbewerb für die Erweiterung gewann Stefan Behnisch bereits im Jahr 2000. Zahlreiche Umplanungen wurden erforderlich. Hinsichtlich der Energiebilanz ist das Ergebnis eher mager ausgefallen.
Etwas oberhalb des Genfer Sees steht der Völkerbundpalast, ein Bauwerk mit großer Geschichte, auch architektonisch gesehen. In den Jahren 1926/27 hatte es für diesen Gebäudekomplex einen internationalen Wettbewerb gegeben, an dem auch Le Corbusier teilnahm und der Entwurf von Hannes Meyer + Hans Wittwer den 3. Preis erlangte. Bis Mitte der dreißiger Jahre entstand eine neoklassizistisch pompöse Architektur, ausgeführt von einem zusammengewürfelten Planungsteam. Der in einem Park gelegene Komplex wurde 1946, nach Auflösung des Völkerbundes, Hauptsitz der UNO in Europa. Vor ihm öffnet sich der 2009 neu gestaltete Platz der Nationen. Besonders ins Auge fällt ein 12 Meter hoher Holzstuhl mit nur drei Beinen. Das vierte Bein ist abgerissen. Das Kunstwerk des Schweizers Daniel Berset wurde 1997 aufgestellt; es soll die Beamten der Vereinten Nationen an das noch immer nicht von allen Staaten unterzeichnete Verbot von Landminen erinnern.
Im näheren Umfeld sind in den vergangenen Jahrzehnten Neubauten für verschiedene Institutionen der UNO entstanden. Architektonisch überzeugen sie leider kaum – mit Ausnahme des 1962–66 erbauten WHO-Sitzes von Jean Tschumi und Pierre Bonnard. An der Nordseite des Platzes hebt sich das gläserne, konkav geschwungene Hochhaus von Pierre Braillard aus dem Jahr 1978 hervor, dem ein Wasserbassin von Roberto Burle Marx vorgelagert ist. Es handelt sich um den Hauptsitz der OMPI (Organisation mondiale de la propriété intellectuelle), englisch WIPO, der 1967 gegründeten Weltorganisation zum Schutz des geistigen Eigentums, ein hochkompliziertes Arbeitsfeld für Juristen zur weltweiten Sicherung von immateriellen Gütern. Die OMPI arbeitet vor allem mit den Patentämtern der einzelnen Staaten zusammen.
Vor zwölf Jahren fiel die Entscheidung für einen Erweiterungsbau der OMPI. Dafür stand, nach dem Abriss einiger kleiner Wohnhäuser, hinter dem Hochhaus ein Terrain zur Verfügung. Eine Besonderheit dieses Projekts gleich zu Beginn: Zum ersten Mal gelang es einem deutschen Architekten, einen Neubauauftrag der Vereinten Nationen zu erhalten – dazu mit einem anfangs mutigen Entwurf, dessen Architektursprache für die UNO ein Novum war, eine kleine Sensation. Stefan Behnisch hatte das Glück, dass beim Wettbewerb im Jahr 2000 mit 27 Teilnehmern aus 18 Ländern seine – wie von ihm gewohnt – offen und transparent wirkende Architektur in ihrer gestalterischen Vielfalt die Juroren überzeugte. Die Entscheidung war gefallen, und die Gremien tagten und tagten, bis es zu einer Sparinitiative bei der UNO in Zusammenhang mit der weltweit lahmenden Konjunktur kam. Damit lag das Projekt erst einmal auf Eis. Im Laufe der Jahre folgte eine Umstrukturierung der OMPI mit neuen Personen an der Spitze der Organisation. Die Verhandlungen um das Vorhaben liefen weiter, bis schließlich 2006 die Planung ihren Abschluss fand und nach weiteren Verzögerungen mit dem Bau begonnen werden konnte. Was in dieser langen Zeit mit dem Projekt geschah und welche Neuplanungen erforderlich wurden, lässt sich nur begrenzt recherchieren. In jedem Fall hat das urspüngliche Projekt formal an Leichtigkeit verloren. Dem Bauherrn war es wichtig, dass es sich nicht allzu sehr heraushebt, sondern sich dem Hochhaus (Foto Seite 20) unterordnet.
„Internationaler Stil“
Was zeichnet nun den im September letzten Jahres eröffneten Neubau aus? Ist es trotz der geschilderten Umstände noch ein typischer „Behnisch“ in der Folge vergleichbarer Bauten wie der NordLB in Hannover, damals noch ein Entwurf mit Günter Behnisch (Bauwelt 25.2002), und der Unilever-Zentrale in Hamburgs HafenCity? Als mich Stefan Behnisch durch das Gebäude führte, wurde deutlich, dass er hier mit einer Fülle von Kompromissen zu leben hatte, die auch gestalterisch ablesbar sind, außen wie innen. Bei einem Nutzer mit Mitarbeitern aus rund 140 Nationen sei viel Verständnis gefragt gewesen. So habe es zum Beispiel bei der Einrichtung und dem Komfort von Büroarbeitsplätzen ganz unterschiedliche Vorstellungen gegeben, die es unter einen Nenner zu bringen galt. Behnisch nennt diese Anpassung schmunzelnd einen „im positiven Sinne internationalen Stil“, der alle Bedürfnisse weitgehend berücksichtige. Vor allem die Transparenz, der offene Blick vom Nachbarbüro, war für manche Mitarbeiter unbekannt und daher nicht akzeptabel. Dass es dennoch gelang, das Gebäude in seiner Grundstruktur so zu belassen, wie es zu Beginn vorgesehen war, verdankt sich dem Verhandlungsgeschick des Architekten. Die charakteristische Handschrift wurde vor allem außen deutlich gestutzt.
Der rechteckige, nach Nordwesten in den Hang geschobene Bürobau wirkt bescheiden, fast schon spröde. Er hebt sich nur durch Einschnitte hervor. So ist er auf der Vorderseite im Erdgeschoss zurückgesetzt, um Raum zu schaffen für einen geschützten Eingangsbereich. Der Block wird hier von den für Behnisch typischen spindeldünnen Rundstützen getragen, bei denen man den Eindruck gewinnt, dass sie der Last nicht standhalten könnten. Die Relation zwischen der Last und den Trägern wird weiterhin konsequent negiert. Auch die schlanken geölten Beton-Rundstützen innen, die in den weißen Unterdecken verschwinden, vermitteln diesen Eindruck. Das Äußere ist ummantelt von vertikalen Bändern in zehn verschiedenen Blautönen, die bei genauerem Hinsehen auf beiden Seiten etwas ausfransen und dadurch an Strenge verlieren, was beabsichtigt war. Die Bänder erfüllen die Vorschrift, dass Fassaden einen Mindestanteil an geschlossenen Flächen haben müssen. Im unteren Bereich sind diese als Folien aufgeklebt und oben bei den Büroräumen als gläserne Flächen aufgesetzt. Mit den Farbnuancen wird auf das blaue Spiegelglas des OMPI-Hochhauses reagiert. Behnisch spricht bei der Fassade von einem „Nadelstreifenanzug“, einer „höflichen Zurückhaltung“ mit Referenz an die Farbe der Vereinten Nationen. Die immer gleiche Fassadenstruktur des Erweiterungsgebäudes wird nur durch horizontale Öffnungen im 3. und 4. Obergeschoss auf den Längsseiten unterbrochen. Dahinter liegen die begrünten Aufenthaltsbereiche der Mitarbeiter. Mehr ist nicht zu sehen.
Drei Höfe
Das sympathisch offene und lichtdurchflutete Entree im Inneren ist keine so große Überraschung – man kennt es von Behnischs Bürobauten: eine weiträumige, mit einigen schönen Details gestaltete Glasdachhalle. Vor allem den hellen, durchgehenden Terrazzoboden gilt es hervorzuheben. Links stehen zwei Bäume im Kiesbett, ein flaches Wasserbassin durchzieht den Raum und leitet den Besucher weiter in die zweite von insgesamt drei aufeinander folgenden Hallen. Das Wasser soll in leichter Wellenbewegung fließen, was aber aus technischen Gründen noch nicht funktioniert. Auf einer seitlichen Empore, die über eine Freitreppe zu erreichen ist, gelangt man zur Bibliothek und zur vorgelagerten Lesezone im mittleren Hof. Rechts vom Eingang irritiert eine völlig abgeschottete Zone mit den Sitzungssälen: Die Wände zur zweiten Hallen sind mausgrau und abweisend (Foto Seite 21). Man könnte meinen, dass sie dort gar nicht oder nur temporär vorgesehen waren.
Das Erdgeschoss ist in der Längsrichtung offen. Der tiefe Blick durch das gesamte Gebäude mit den drei Hallen, bei dem durch das spiegelnde Glas nicht alles gleich determiniert werden kann, endet im Selbstbedienungsbereich des Mitarbeiterrestaurants. Die dekorativ in den Raum abgehängten – hier relativ kleinen – zylindrischen Akustikelemente sind einem vertraut, vor allem seit der Akademie der Künste in Berlin (Bauwelt 13.2005).
Die Innenfassaden der Hallen sind unterschiedlich gestaltet, eine Seite ist auf ganzer Höhe geschlossen und mit Schlagmetall-Platten verkleidet, die in ihrer Farbgebung leicht changieren. Im Gegensatz dazu kommt bei den beiden Fassaden mit den Laubengängen und Treppen zu den Längsseiten des Gebäudes Behnischs Repertoire voll zur Geltung. Gleiches gilt für die vierte Fassade aus Holz und Glas. Doch die unterschiedlich gestalteten Wände der Hallen passen an den Ecken nicht zusammen. Es fehlt ein architektonisch durchdachter Übergang, der aus den Teilen ein Ganzes formt.
Die dritte Halle ist erhöht angeordnet, da sich hier im Erdgeschoss die Essensausgabe des Mitarbeiterrestaurants befindet. Der Hof selbst ist nicht zu betreten – für Behnisch repräsentiert er mit seiner Komposition unterschiedlicher Flächen in verschiedenen Grün-, Gelb- und Blautönen einen „architektonischen Garten“ – und dient wohl als Ersatz für einen ursprünglich begrünt vorgesehenen Raum. Der Blick von oben auf das großflächige Mosaik mit einer integrierten Lichtinstallation ist überraschend. Man fragt sich nach dem eigentlichen Sinn (Foto Seite 23).
Auch bei den seitlichen Laubengängen waren die Gewohnheiten der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Nicht jeder kennt vollverglaste Brüstungen. Die Frage, ob sie noch bedruckt werden, ließ der Architekt offen. Bei den Flurwänden der Büros wurde ein floral wirkender Dekordruck gewählt, um die dahinter liegenden Holzpaneele, die der Abgrenzung dienen, zu überspielen. Die von zwei Seiten natürlich belichteten Büros sind den Wünschen entsprechend alle klein, aber mit versetzbaren Trennwänden ausgestattet. Behnisch konnte im 3. und 4. Obergeschoss ein für ihn typisches „Signet“ umsetzen: die begrünte Pausenzone als doppelgeschossiger „Innengarten“. Die geschwungen modellierten Bereiche mit Pflanzen aus aller Welt und einfachen Holzbänken bieten den freien Ausblick in die Umgebung und in den mittleren Hof.
Klimaschutz
Schon lange vor Fertigstellung gab es Kritik an der mangelnden Energieeffizienz des Gebäudes, besonders an der gewünschten Klimaanlage. Die Kritik ist gut nachzuvollziehen, wenn man bedenkt, dass die Vereinten Nationen beim Klimaschutz große Forderungen an alle Mitgliedstaaten stellen. Der Weltklimarat der UNO hat sogar seinen Sitz in Genf! Zudem fand im letzten Jahr in Durban ein Weltkongress statt, wo sich das Thema als politisch hochbrisant darstellte. Daher gebührt eigentlich einem Neubau der Weltorganisation eine vorbildhafte Energieeffizienz, bei der alle Anforderungen nicht nur erfüllt, sondern sogar übererfüllt werden. Aufgrund einer Reihe von Einschränkungen und der langen Planungszeit – so wird es nach außen dargestellt – gelang dies aber nicht. Ein wichtiger Grund war, dass die äußeren Fenster aus Sicherheitsgründen geschlossen bleiben müssen. Besonders im Sommer heißt dies, zumal auch Außenjalousien fehlen, dass eine ständige Klimatisierung unausweichlich ist. Die Abluft entweicht über die gläsernen Hallendecken. Stolz ist man aber auf die besondere Kühlung. Wie bei einigen anderen neuen Bürobauten, die ebenfalls an einem See errichtet wurden, wird auch hier Tiefenwasser zum Gebäude hochgeleitet und mit Wärmetauschern zur Kühlung in den Geschossdecken genutzt. Man profitiert dabei von einem hydrothermischen Leitungsnetz der Stadt. Auch wird hervorgehoben, dass lichtlenkende Sonnenschutzlamellen auf den Glasdächern eine starke Erhitzung verhindern und für eine optimale Tageslichtausnutzung sorgen. Ob dies auch einen deutlichen Einspareffekt bei der Klimaanlage mit sich bringt, bleibt offen. Zahlen sind nicht bekannt.
Der zweite Neubau mit dem Konferenzsaal
Bei einem weiteren Neubau von Stefan Behnisch, der den Konferenzsaal der OMPI für 900 Delegierte aufnehmen wird, soll der Baukörper des Saals ganz aus Holz errichtet werden. Zu Beginn der Planungen war der Saal in verkleinerter Form noch im Erweiterungsgebäude vorgesehen gewesen. In der Folge wurde er zunächst gestrichen, dann wieder ins Gespräch gebracht und schließlich etwas seitlich vor die Stirnseite als eigenständiges Gebäude neben das Hochhaus platziert. Zur Place des Nations hin kragt das Saalgebäude weit vor und öffnet sich mit einem breiten Schaufenster zum Mont-Blanc-Massiv. Eine weitere Öffnung nach Norden versorgt den Saal mit Tageslicht. Bei diesem zweiten Neubau zeigt sich entsprechend der Aufgabe eine andere, skulpturale Architektur, die als eine Art Bindeglied zwischen Hochhaus und Erweiterungsgebäude fungieren soll. Das Foyer verbindet sich mit dem Erdgeschoss des Hochhauses. Für den direkten Weg steht den Mitarbeitern ein unterirdischer Gang zur Verfügung.
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