Weiden-Lövenich: Rathaus-Wohnhaus
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Das alte Rathausgebäude war nach mehreren Zwischennutzungen in schlechtem Zustand und hatte keine Zukunft mehr. Die Raiffeisenbank Frechen-Hürth griff wegen der guten Lage dennoch zu und ließ den Bau zum „Ludwig-Gies-Park“ umplanen. Franz Markus Moster vom Büro Format Architektur fand Raum für acht „Reihenhäuser“.
Die ersten Planungen für das Rathaus in Alt-Weiden von den Kölner Architekten Emil Schreiterer und Bernhard Below lagen bereits in den zwanziger Jahren vor, wurden aber aufgrund der Weltwirtschaftskrise und auch später, in der Zeit des Nationalsozialismus, nicht weiter verfolgt. Gebaut wurde ein Projekt von Hans J. Lohmeyer (1913–1980), ein klassischer Verwaltungsbau der frühen Fünfziger, der allerdings nur 18 Jahre als Rathaus diente, da die Gemeinde Weiden-Lövenich im Rahmen der Gebietsreform 1972 der Stadt Köln zugeordnet wurde. Ein Bezirksrathaus war daher nicht mehr erforderlich.
Nun begann eine wechselvolle Geschichte: Nach der Auflösung des Rathauses zog in den siebziger Jahren zunächst die Volkshochschule in das Gebäude ein. Der Ratssitzungssaal stand als Gemeindesaal für diverse Veranstaltungen zur Verfügung. Es folgte die Nutzung als Asylbewerberunterkunft. Als das Gebäude mehr und mehr abgewirtschaftet war, zog die Stadt den Abriss in Erwägung. Man entschied sich dann doch anders, da die Raiffeisenbank Frechen-Hürth Interesse bekundete, hier eine Filiale einzurichten. Nach langwierigen Verhandlungen mit der Stadt kam es 2005 zum Kauf des Gebäudes. Da die Filiale aber inzwischen woanders eröffnet worden war, verfolgte die Bank die Idee, den Bau in Wohnungen umzunutzen und einzeln zu verkaufen. Der Verkaufspreis der Wohnungen, die unter dem Namen „Ludwig-Gies-Park“ vermarktet werden, liegt aktuell bei circa 3200 Euro pro Quadratmeter.
Grund für diese Entscheidung war, dass das ehemalige Rathaus sich in einem ruhigen, in Köln beliebten Wohnviertel rund zehn Kilometer westlich des Stadtzentrums befindet. Alter Baumbestand begleitet den Weg in Richtung Süden zur Aachener Straße, der großen Einfallstrasse nach Köln. An dieser Straße angelangt, zeigt sich allerdings ein anderes Bild. Sie ist laut und wird in diesem Abschnitt vom mächtigen Baublock der Shopping Mall „Rhein-Center“ dominiert. Eine Fußgängerbrücke führt dorthin. Weiden ist durch die Straßenbahn und die S-Bahn (Station Köln-Lövenich), die nur wenige Schritte nördlich des früheren Rathauses entlangfährt, bestens angebunden.
Gemeinschaftswohnen
Von Anfang an hatte man von einer Parzellierung des 5140 Quadratmeter großen Grundstücks Abstand genommen, damit das Konzept „Gemeinschaftswohnen“ umgesetzt werden konnte, wobei jede Einheit ihre eigene Terrasse bekommen und davor eine große Grünfläche allen Bewohnern der Gemeinschaft zur Verfügung stehen sollte. Und so wurde es auch realisiert. Franz Markus Moster vom Kölner Büro Format Architektur, das von der Bank für den Umbau direkt beauftragt wurde, spricht in diesem Zusammenhang von der „sozialen Komponente“ des Projekts. Nähert man sich dem Bau von Süden, der früheren Eingangsfront, gelangt man an einen hohen Zaun. Dahinter breitet sich die von Rabatten umgebene Rasenfläche bis kurz vor das Gebäude aus. Früher befanden sich hier unterhalb des Sitzungssaals, der sich blockartig hervorhebt, der Haupteingang des Rathauses und der Besucherparkplatz.
Ein Umbau in Geschosswohnungen war nicht möglich. So wurden das Hauptgebäude und der Seitenflügel der L-förmigen Anlage vertikal untergliedert. Von den Fluren des Verwaltungsbaus mit Büroräumen auf beiden Seiten blieben nur noch die Stützen übrig. Es entstanden acht Hauseinheiten, die durch neue interne Wandscheiben voneinander getrennt sind. Der Seitenflügel wurde erhöht und dem Satteldach des Hauptbaus angepasst. Damit verfügen alle Wohneinheiten, die vom Bauherrn als Galerie- oder als Atelierhaus bezeichnet werden, mit dem Kellergeschoss und dem ausgebauten Dach über vier Ebenen. Auf den Fußböden liegt klassischer Juramarmor, der in den fünfziger Jahren viel Verwendung fand, hier aber glatt geschliffen verlegt wurde. Für andere Böden wurden dunkel gebeizte belgische Eichenbretter ausgewählt. Der Raum zwischen den Schotten ist mit 6,30 Metern knapp bemessen. Für eine gewisse Großzügigkeit sorgen der offene Treppenraum, Schiebetüren und durchgehende Fußböden.
Ludwig Gies
Eine Ausnahme in der Abfolge der „Reihenhäuser“ stellt der mittlere, 13 Meter breite Teilbereich des Hauptgebäudes mit dem ehemaligen Ratssitzungssaal dar. Diese Einheit mit 315 Quadratmeter Wohnfläche (ohne Keller) war beim Besuch im September vergangenen Jahres noch nicht verkauft und ist auf Initiative der Architekten hin und wieder für Kunstausstellungen genutzt worden. Inzwischen soll sich aber für das Objekt „Großer Ratssaal“ immerhin ein Mieter gefunden haben. Der komplett erhaltene Treppenaufgang mit Empore und feingliedrigem Originalgeländer mit Messingkugeln nimmt breiten Raum ein. Besonders dieser Treppenbereich ist wohl nur mit Mühe in ein Wohnkonzept zu integrieren. Die farbigen Bleiglasfenster im Hintergrund stammen von dem Künstler Ludwig Gies (1887–1966), dem Namensgeber der Wohnanlage. Gies war Dozent an der Werkschule in Köln und bis 1937 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Seine Werke wurden danach als „entartete Kunst“ verboten. Bekannt wurde er vor allem durch seine „Fette Henne“, den Bundesadler aus Gips im ersten Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Bonn, den Lord Norman Foster für den Plenarsaal im Berliner Reichstag ein Drittel größer aus matt lackiertem, rund 2,5 Tonnen schwerem Aluminium weitgehend kopierte (Heft 18–19.1999).
Die Fassaden durften nur geringfügig verändert werden. Den größten Eingriff stellen die bodentiefen Fenster im Erdgeschoss mit den Austritten auf die Terrassen dar. In die Fensterprofile wurden Markisen mit rotem Stoffbezug eingefügt. Der hintere Teil, wo sich früher eine asphaltierte Fläche des tiefer gelegenen Betriebshofs mit Garagen befand, wurde für eine Tiefgarage mit 22 Stellplätzen überbaut. Darüber entstand ein Hof mit kleinen Baumreihen und Sitzbänken. Auf gebrochener belgischer Grauwacke gelangt man zu den Eingängen der Wohneinheiten.
Eine freie Fläche auf dem Grundstück nutzte der Bauherr für einen Neubau. Die Architekten entwarfen im Nordwesten eine Stadtvilla auf quadratischem Grundriss, in der zwei getrennt erschlossene Wohnungen mit 140 bzw. 196 Quadratmetern untergebracht sind. In seiner Sprache orientiert sich das kompakte Gebäude ein wenig an den Villenbauten der Umgebung, von denen einige aus den zwanziger Jahren stammen. Die gebogenen Geländerstäbe der Terrassen und Balkone nehmen etwas gezwungen Bezug auf die fünfziger Jahre nebenan. Alle Einheiten, auch die des Neubaus, verfügen im Untergeschoss über einen direkten Zugang in die Tiefgarage.
Gut geheizt
Aufgrund des Denkmalschutzes der Fassaden sah man sich veranlasst, beim Altbau ein Innenwanddämmsystem zu wählen. Nach Angaben des Architekten soll damit eine Wärmeschutzverbesserung um mehr als 300 Prozent erreicht worden sein. Die Wohnanlage verfügt zudem über eine moderne Erdwärmeheizung, die die aktuelle Energie-Einsparverordnung deutlich unterschreitet. In die Geothermieanlage wurde kräftig investiert. Ob es sich gelohnt hat, ist noch nicht in Erfahrung zu bringen. Für die Bewässerung des Grundstücks greift man auf Brunnenwasser zurück. In einem Gespräch lässt Gregor Kapitza von der Raiffeisenbank Frechen-Hürth bereits eine Erfolgsgeschichte anklingen: „Auch wenn die alte Bausubstanz des Rathauses und die Auflagen der Denkmalschutzbehörde allen Beteiligten komplexe Problemlösungen abverlangte, sind wir mit dem Ergebnis – auch wirtschaftlich – sehr zufrieden.“
Man mag über den Aufwand, der hier betrieben wurde, erstaunt sein. Der zentrale Wohnteil mit dem ehemaligen Ratssitzungssaal sprengt zudem jeden Rahmen, denn in dieser Kategorie von Wohnobjekten mit über 300 Quadratmetern Fläche ist davon auszugehen, dass Interessenten sich nicht den gewissen Zwängen einer solchen Wohnanlage mit „Reihenhäusern“ und Gemeinschaftsgarten aussetzen wollen. Trotz der Abschottung mit umzäuntem Privatpark zum Reinschauen ist es an diesem zentralen Ort von Weiden gelungen, eine Revitalisierung vorzunehmen. Um das frühere Rathaus sind jetzt zwar Barrieren aufgebaut, doch der Komplex hat sich wie selbstverständlich zu einem Teil des Wohnquartiers gewandelt.
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