Weyarn
Beteiligungskultur
Text: Leitner, Judith, Wien
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Foto: Schreinerei Gartmeier
Foto: Schreinerei Gartmeier
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Die oberbayrische Gemeinde versteht sich als „Bürgerkommune“. Die Bürgerbeteiligung wird professioneller, die Ziele werden anspruchsvoller, die Aufgaben komplexer – doch reibungslos verläuft längst nicht alles.
Der rege Zuzug aus dem Ballungsraum München hatte in den 90er Jahren nicht nur das Dorfleben, sondern auch das räumliche Gefüge der agrarisch geprägten Gemeinde Weyarn verändert. Neue Verkehrsanschlüsse, Sportplätze, Kompetenzzentren oder Mehrzweckhallen wurden geschaffen, ohne sich ganzheitlich mit der Gemeindeentwicklung auseinandergesetzt zu haben. Hinzu kam die Unzufriedenheit mit einer technisch orientierten Verordnungsplanung und ihren „linearen Lösungen“, die in Weyarn – wie in vielen anderen Orten auch – jahrzehntelang die Gemeindeplanung bestimmt hatte.
Seither setzt die Gemeinde auf eine strukturierte Bürgerbeteiligung. Die ökonomische Sicherheit und generelle Zufriedenheit der Bürger erleichtert es den Akteuren, Ressourcen für das ehrenamtliche Engagement aufzubringen. Etwa ein Sechstel der Einwohner ist heute in irgendeiner Form in der Gemeindeentwicklung aktiv. 200 bis 300 Bürger arbeiten in einem der zahlreichen Arbeitskreise mit, die sich seit Mitte der 90er Jahre gebildet haben. Die Schwerpunkte reichen von Themen wie Verkehr und Ortsbild, Altersplanung, Geschichte, Jugend und Kultur bis hin zu Energie und Umwelt. Auch für konkrete Vorhaben wurden Arbeitskreise gegründet, etwa um eine Bücherei oder einen Dorfladen zu initiieren.
Bei der Neugründung eines Arbeitskreises wird zuerst geprüft, ob dessen Anliegen mit dem Leitbild der Gemeinde vereinbar ist, zudem ist das Engagement in den Arbeitskreisen mit bestimmten Rechten und Pflichten verbunden. Jeder Arbeitskreis hat sein eigenes Budget-Recht, bringt also seine Budgetplanung in die Haushaltsplanung der Gemeinde ein. Die Gemeinde finanziert die professionelle Begleitung durch externe Experten oder, falls nötig, einen Mediator. Es werden jeweils Leiterinnen oder Leiter ernannt, die auch die Schlüssel des Gemeindeamts bekommen, damit sich die Gruppen in den dortigen Räumlichkeiten treffen können. Zu den Sitzungen muss öffentlich eingeladen werden, und auch die Protokolle sind allen Bürgern zugänglich zu machen.
Eine Besonderheit in der Weyarner Bürgerbeteiligung ist, dass die Gemeinde seit 1996 eine eigene Teilzeitkraft beschäftigt, die die laufenden Projekte koordiniert und zwischen den Arbeitskreisen, dem Bürgermeister und dem Gemeinderat vermittelt. Sie organisiert klare Arbeitsstrukturen und sorgt dafür, dass die Bürgerbeteiligung nicht konzeptlos stattfindet, sondern in das übergeordnete Leitbild der Gemeinde eingebunden ist.
Die Schwerpunkte der Bürgerbeteiligung haben sich mit der Zeit verschoben. Standen vor zwanzig Jahren das Dorfleben und das Ortsbild im Vordergrund, sind es heute Themen der demographischen Entwicklung und der Energiewende, die aber aufgrund ihrer Komplexität nicht einfach zu bearbeiten sind. Fragen zu Energie und Umwelt können nur dann befriedigend beantwortet werden, wenn über das Einzelobjekt hinausgedacht wird und man sowohl die Gesamtheit der Gemeinde als auch übergeordnete Zusammenhänge im Blick behält – ein weit schwierigeres Unterfangen, als einen Dorfplatz in Gemeinschaftsarbeit neu zu gestalten.
Zusätzlich zu den thematischen Verschiebungen ändert sich auch die Struktur der Beteiligung. Die Bereitschaft mitzuwirken ist zwar auch bei den jüngeren Bewohnern vorhanden, doch können diese oft keine Zusage mehr geben, über Jahre hinweg regelmäßig mitzuarbeiten. Der überwiegende Teil der Erwachsenen kann sich den Sachzwängen der Erwerbsarbeit schwer entziehen. In der Planung muss daher die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Bürger sich punktuell, also von Zeit zu Zeit, beteiligen können.
Dass die Bürgerbeteiligung sich durchaus auch einmal gegen die Interessen der Verwaltung wenden kann, zeigt das Projekt „Klosteranger“. Seit einigen Jahren arbeitet die Gemeinde an Bebauungskonzepten für eine brachgefallene Gewerbefläche, die unmittelbar an den Ortskern anschließt. 2011 kam es in dieser Sache zu einem Bürgerbegehren. Die heftigen Reaktionen gegen die Bebauung des Klosterangers waren für die Gemeindeverwaltung Anlass, sich selbstkritisch mit den vorhandenen Beteiligungsmodellen auseinanderzusetzen, aber auch eine Ablehnung seitens der Bürger als legitime Möglichkeit, sich in Entscheidungsfindungsprozessen zu artikulieren, ernst zu nehmen. Gerade um solche Konflikte bereits im Vorfeld zu vermeiden, wird in Weyarn die Einbeziehung der Bürger und die „Verstetigung der Beteiligung“ ernst genommen. Bürgerbeteiligung müsse, so Bürgermeister Michael Pelzer, möglichst niederschwellig sein. Wer sich einbringen wolle, müsse wissen, an wen er sich wenden könne. Es gehe nicht darum, jede und jeden vorher zu befragen, um eine mehrheitsfähige Gestaltung umzusetzen – das sei für eine zeitgemäße Baukultur kontraproduktiv –, sondern darum, komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln. Statt eines simplen „Dafür oder Dagegen“ gehe es eher darum, Entscheidungen verstehen zu lernen.
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