Wohn- und Geschäftshaus in Hamburg-Eimsbüttel
Hamburg braucht Wohnraum. Wo es geht, wird nachverdichtet. Oft entsteht dabei Standard von Investoren – mitunter aber auch die eine oder andere individuelle Lösung, wie der vergleichsweise kleine Neubau von blauraum Architekten im Stadtteil Eimsbüttel
Text: Seifert, Jörg, Hamburg
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Wenn die Nachbarbebauung derart heterogen ist, liegt das Mittel der Wahl im Kontrast: Weder Fassade noch Dimension des Neubaus passen sich der Umgebung an
Foto: Werner Huthmacher
Wenn die Nachbarbebauung derart heterogen ist, liegt das Mittel der Wahl im Kontrast: Weder Fassade noch Dimension des Neubaus passen sich der Umgebung an
Foto: Werner Huthmacher
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Deutlicher Kontrast: Eine Fassade mit „Bürohauscharakter“ an der Straße und eine schlicht-weiße Lochfassade mit Balkonen zum Hof
Foto: Werner Huthmacher
Deutlicher Kontrast: Eine Fassade mit „Bürohauscharakter“ an der Straße und eine schlicht-weiße Lochfassade mit Balkonen zum Hof
Foto: Werner Huthmacher
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Mit den nach außen verglasten Loggien entsteht eine Pufferzone zur Straße, ...
Foto: Werner Huthmacher
Mit den nach außen verglasten Loggien entsteht eine Pufferzone zur Straße, ...
Foto: Werner Huthmacher
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... die den Geräuschpegel im Innenraum senkt
Foto: Werner Huthmacher
... die den Geräuschpegel im Innenraum senkt
Foto: Werner Huthmacher
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Trotz der recht kleinen Grundfläche wirken die Wohnungen offen und großzügig.
Foto: Werner Huthmacher
Trotz der recht kleinen Grundfläche wirken die Wohnungen offen und großzügig.
Foto: Werner Huthmacher
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Mit Schiebetüren lassen sich Küche und Wohnbereich zusammenschalten.
Foto: Werner Huthmacher
Mit Schiebetüren lassen sich Küche und Wohnbereich zusammenschalten.
Foto: Werner Huthmacher
Die Architekten von blauraum haben Mut zum Unerprobten und stehen dazu, ohne Wenn und Aber. Dabei haben sie beim Wohn- und Geschäftshaus in Hamburg-Eimsbüttel eigentlich etwas ganz Konventionelles gemacht: Wohnen und Essen nach Südwesten – und Schlafen folglich nach Nordosten auszurichten. Der Haken dabei: Die Schlafzimmer liegen vorn zur Hoheluftchaussee, einer mehrspurigen Ausfallstraße nordwestlich der Außenalster. Geht nicht? Geht doch! Mit einer Lärmschutzfassade, nach EnEV dreifachverglast.
Es ist allerdings eine besondere, eine „bewohnbare Lärmschutzfassade“ – wie blauraum-Partner Volker Halbach ausführt: „Die notwendige Dreischeibenverglasung haben wir aufgeteilt – zwei Scheiben innen, klassisch mit Brüstung und Glastür, und im Abstand von 75 Zentimetern, die dritte Scheibe außen, als Vollverglasung zur Straße.“ Decke, Wände und Boden des so gewonnenen Zwischenraums kleidete man komplett in Holz aus. Den Schlafzimmern sind also schmale „Loggien“ vorgeschaltet, die begehbar sind. Hier lässt es sich auch sitzen, im Fatboy lümmeln und, wenn auch nicht unbedingt Zeitung, so doch zumindest ein Buch lesen. Denkbar ist, dass Kinder sich begeistert solche Nischen aneignen. Unten rauscht der Verkehr, oben verströmt das Holz – ganz bewusst auch für die Nase – ein wenig Laubenpieper-Atmosphäre. Auch das keine Selbstverständlichkeit: Gerüche entwerfen, das Olfaktorische mitdenken.
Holz und Glas
Die äußere Hülle ist eine einheitliche Pfosten-Riegel-Konstruktion, die sich über die gesamte Gebäudebreite und über die sechs Obergeschosse hinweg erstreckt. Von außen könnte die Glasfront zunächst auch einen nüchternen Bürobau vermuten lassen. Doch die Fassade hat durchaus Lebendigkeit: In den Abendstunden von den Zimmern hinterleuchtet, tritt sie in ihrer Dreidimensionalität hervor. Es dominiert das Warme, Körperhafte der inneren Holzeinbauten, die bei Tag fast völlig hinter die homogene Glasfläche zurückweichen. Diese Fläche nimmt man aus der Distanz nur als Addition von vier auf sechs gleichen, raumhohen Elementen wahr, die mit den dahinterliegenden Zimmern korrespondieren. Die Pfosten-Riegel-Gliederungen dieser Elemente sind horizontal zueinander gespiegelt, die Öffnungsflügel – zugleich zweiter Fluchtweg – verspringen geschossweise.
Unerwartet sind die Reflexionen in der Glasfläche. Die Spiegelung der Fassade des markanten Gebäuderiegels direkt gegenüber – ein gut zehn Jahre altes Büro- und Geschäftshaus von Renner Hainke Wirth – wirkt seltsam gebrochen und fragmentiert verkantet. Fast wie im Spiegelkabinett. Erst ganz nahe an der Fassade stehend erschließt sich, warum: Jedes Element ist um 1,5 Grad gekippt, und zwar abwechselnd in horizontaler und vertikaler Richtung. Blickt man direkt am Haus nach oben, sieht man die Ecken der Elemente ganz leicht gegeneinander hervortreten. Von der anderen Straßenseite aus nimmt man es überhaupt nicht wahr – es sei denn, man weiß es.
In der Häuserzeile fällt der Neubau nicht nur durch die Glasfassade auf: Der Siebengeschosser ist mit Abstand der höchste Bau und verspringt gegenüber seinen Nachbarn um gut zweieinhalb Meter nach hinten. Früher befand sich in der alten Bauflucht ein flacher Zweigeschosser mit Laden und rückwärtiger Bäckerei. Der neue Bebauungsplan lässt jetzt sechs Vollgeschosse zu, ohne festzulegen, ob das darüber liegende Dachgeschoss hof- oder straßenseitig abzustaffeln ist. Mit dem Baulinienversatz nimmt der Bebauungsplan Rücksicht auf ein Stadtbahnprojekt des Vorgängersenats, das allerdings längst außer Sichtweite ist. Links und rechts stehen viergeschossige Nachkriegsbauten in Gelbklinker, zum Teil nachträglich gedämmt. Rechter Hand, direkt neben dem Neubau, wurde in den Neunzigern bis zur Unkenntlichkeit umgebaut und aufgestockt: Unten Penny, oben Penthouse, dazwischen geschlossene, fensterlose Fläche über drei Geschosse – kein überzeugender Kontrast zum Nachbarn. In das Erdgeschoss des blauraum-Baus hat sich inzwischen der angrenzende Supermarkt erweitert: Penny hat die Brandwand durchbrochen und seinen Getränkemarkt hier untergebracht.
Das erste Obergeschoss des Neubaus ist als offenes Büro organisiert, die vier Geschosse darüber sind in je zwei 3-Zimmer-Mietwohnungen aufgeteilt: 65 und 75 Quadratmeter im mittleren Preissegment, fast spiegelbildlich zueinander im Grundriss. Die zehn Quadratmeter Differenz bei den Flächen resultieren aus der Tatsache, dass der Erschließungskern leicht aus der Mittelachse versetzt wurde. Über das gesamte, rückseitig abgestaffelte Dachgeschoss erstreckt sich eine einzige größere Wohnung mit Dachterrasse. Von hier oben schweift der Blick über die ursprünglich für die britische Besatzung geplanten Grindelhochhäuser bis hinüber nach Altona. Auch die Bewohner der darunterliegenden Geschosse können durch die versetzt angeordneten Balkone von der ruhigen, sonnigen Hofseite profitieren. Obwohl als Lochfassade ausgebildet, ist auch diese großzügig mit fast raumhohen Öffnungen konzipiert. Zwischen Küche und Wohnbereich sorgen je zwei Schiebetüren für mehr Offenheit in den vergleichsweise kleinen Wohnungen.
Die Entwicklungsdynamik in der Hoheluftchaussee ist nicht zu übersehen, besonders auf der heterogen bebauten Westseite. Investoren haben den relativ zentralen Standort entdeckt. Baulücken schließen sich. Kleinteilige, mehr oder weniger vernachlässigte Bauten weichen Neuem, Größerem. Experimentelle Ansätze wie der von blauraum Architekten sind kaum zu finden – und so wird es wohl vorerst auch bleiben. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt animiert nicht dazu, von Standardlösungen abzuweichen.
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