Bauwelt

Wohnhaus in Holzsystembau


Den Holzbau radikalisieren


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Stefan Müller

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In Berlin-Pankow hat das Institut für urbanen Holzbau einen Prototyp errichtet, der den Holzsystembau als günstige Lösung für innerstädtische Lagen propagiert. Einmal mehr erweist sich das Modell der Baugruppe als treibende Kraft – für inno­vative Konstruktionen, aber auch für die Erneuerung des Berufsbilds des Architekten. 
Jeder Fertighaushersteller führt in seinem Sortiment Holzbauten, um damit eine irgendwie naturnah veranlagte Klientel anzusprechen. Im ressourcenvergeudenden suburbanen Siedlungsbrei mag das Einfamilienhaus aus Holz vielleicht noch das Richtige im Falschen sein. Fragt man die großen Anbieter jedoch nach Holzbausystemen für den mehrgeschossigen Wohnungsbau in Innenstädten, kommt nicht viel – das ist die Erfahrung der vier Architekten, die sich 2008 als Partner zum „Institut für urbanen Holzbau“ (IfuH) zusammengeschlossen haben. Ihr Prototyp ist jetzt in Berlin-Pankow fertiggestellt worden. Dem Bauprozess ging eine ausführliche Recherche an der TU Braunschweig voraus, wo Philipp Koch und Daniel Rozynski als wissenschaftliche Mitarbeiter zur Entwicklung des industriellen Wohnungsbaus forschten. Daraus ging 2007 die Forschungsinitiative „fertighauscity 5+“ von Christoph Roe­­dig und Matthias Schrimpf hervor, in der untersucht wurde, wie ein Wohnungsbau aus Holz in der Gebäudeklasse 4 – also mit einer Höhe der obersten Fußbodenoberkante von 13 Metern über Geländeniveau  – konzipiert sein muss, damit er im Rahmen der deutschen Musterbauordnung genehmigungsfähig ist und ohne unwägbare Einzelfallprüfungen auskommt.
Damals erregte gerade „e3“, ein siebengeschossiger Wohnungsbau aus Holz vom Büro Kaden Klingbeil im Bezirk Prenzlauer Berg mediale Aufmerksamkeit (Bauwelt 15.2008). Die Architekten des IfuH sehen das Werk ihrer Kollegen zwiespältig: Einerseits war es damit gelungen, das Thema publik zu machen, andererseits sei an dem viel zitierten Beispiel kaum Holz zu sehen gewesen. Der Anspruch des IfuH unterscheidet sich davon insofern, als dass in ihrem Pilotprojekt der Baustoff Holz deutlich in Erscheinung treten und so wenig wie möglich durch Brandschutz-Verkapselungen verborgen sein soll. Desweiteren sollen Holzelemente, die zu sehen sind, auch konstruktiv wirksam sein, im Gegensatz etwa zu der „verlorenen“ Holzschalung einer Betondecke. Dazu kommen werkstoffgerechte Verbindungen ohne komplizierte Stahlknoten – konzeptioneller Purismus mit der Absicht, „den Holzbau zu radikalisieren“.
Das Konzept „fertighauscity 5+“ strebt nach Allgemeingültigkeit, was bedeutet: Grundrissflexibilität und urbane Kontextfähigkeit, nutzungsneutrale Räume, zentraler Erschließungskern, allseitig gleichwertige Fassaden, adaptierbar nach Lage des Grundstücks. Als Konstruktion für dieses Mehrfami­liensystemhaus schien den Verfassern der Studie eine Kombination aus Skelett- und Holztafelbau geeignet. Dank flexibler Vorfertigungsmöglichkeiten im industriellen Holzbau könnten partizipative Ansätze, wie sie etwa von Baugruppen gewünscht sind, bei diesem Typus des „gestapelten Einfamilienhauses“ besonders gut bedient werden.
Doch Baugruppenmitglieder haben relativ homogene Wohnwünsche, meist zwischen 100 und 140 Quadratmeter in Innenstadtlage mit guter Infrastruktur (Bauwelt 39–40.2008). In der Baugruppe namens 3xGrün taten sich 13 Parteien zusammen. Die frühere Eigentümerin des Grundstücks in der Görschstraße hatte genügend Geduld, um die Findung der Baugemeinschaft und die Entwicklung des Prototyps bis zur Baureife abzuwarten. In der Praxis waren dann doch einige Anpassungen erforderlich: Technisch wäre es zwar möglich gewesen, die Brandwände und das Erdgeschoss aus Holz zu errichten, aber wegen der aufwendigen Schutzmaßnahmen ge­gen Feuer und Anprall wäre beides unwirtschaftlich gewesen. Die Architekten waren pragmatisch genug, hier auf Stahlbeton auszuweichen. Das Keller- und das Erdgeschoss bilden ei­nen Betontisch, auf dem das Holzskelett aufsitzt, ausgesteift von den Brandwänden und den Treppenhäusern. Das Besondere: Oberhalb des ersten Obergeschosses bestehen alle Decken aus 18 Zentimeter starken Massivholztafeln, die auf den Unterzügen in Gebäudelängsachse aufliegen, also entlang der Außenwände und zwischen Kernen und Brandwänden. Im
Inneren der Wohnungen sind Unterzüge und Massivdecken bündig miteinander verschraubt, sodass sich eine flächige Untersicht ergibt. Die technischen Installationen sind auf der Oberseite der Decke in eine Schüttung gebettet, die auch die notwendige Masse erzeugt. Die Holzstützen sind in den Trockenbauwänden und in den Fassadenelementen verborgen.
Wegen des hervorragenden U-Werts von Holz ist es möglich, die Decken über die Außenwände hinaus durchlaufen zu lassen. Diese konstruktive Errungenschaft verkörpert wohl am besten die Idee der Architekten von der Sichtbarmachung des Materials. Sie nutzen diese innovative Lösung als prägendes Gestaltungsmittel, indem sie die Decken im zweiten, dritten und vierten Obergeschoss über die gesamte Straßenfront als durchlaufendes Band auskragen lassen. Der schmale Balkon bindet die unregelmäßige Fassade optisch zusammen und kann sogar als informeller Verbindungsgang zwischen den Wohnungen dienen. Auf der Gartenseite wird dieses Motiv mit Einzelbalkonsen variiert, die beeindruckend weit, um knapp zwei Meter, auskragen (an die leichten Schwingungen beim Betreten gewöhnt man sich).
Hat sich der Forschungsaufwand also gelohnt? Kann das „Produkt“ in Serie gehen? Die Gesamtbaukosten werden mit 2222 Euro je Quadratmeter Wohnfläche beziffert (je Quadratmeter BGF: 1375 Euro); ein (Holz-)Geschoss zu errichten dauerte nur zwei Wochen. Industrielle Holzbauunternehmen können weitere Referenzwerte abfragen, um die Wirtschaftlich­keit zu prüfen. Das IfuH jedenfalls entwickelt zurzeit zwei weitere Projekte in diesem System. Vielleicht noch bemerkenswer-
ter als das entstandene Gebäude ist aber, wie die Architekten damit die Grundlagenforschung vorantreiben, ein neues Geschäftsfeld eröffnen, wie sie sich um ihren Forschungsgegenstand herum organisieren, die Leistungen Entwurf, Ausführungsplanung und Bauleitung ohne Eitelkeiten untereinander aufteilen, ihre individuellen Kompetenzen bündeln, ihr Wissen austauschen. Das Haus in Pankow steht nicht nur für den experimentellen Holzbau, sondern auch für ein anderes Berufsbild des Architekten.



Fakten
Architekten IfuH - Institut für urbanen Holzbau, Berlin / Darmstadt
Adresse Görschstraße 48 13187 Berlin


aus Bauwelt 21.2012
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