Bauwelt

Wohnsiedlung


Wohnen an der Via Gallarate


Text: Carones, Maurizio, Mailand


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Urbanität an der Ausfallstraße? In Mailand nehmen MAB Arquitectura den Lärmschutz zum Anlass, auf schwierigem Terrain einen Park mit öffentlichen Einrichtungen zu gestalten, der 184 neuen Sozialwohnungen und dem benachbarten Quartier Gallaratese dient.
Die Via Gallarate in Mailand ist eine stark befahrene Ausfallstraße ins nordwestliche Umland. Der schmale, etwas mehr als drei Hektar große Streifen, auf dem MAB Arquitectura vor wenigen Wochen einen Komplex mit 184 Sozialwohnungen fertiggestellt haben, galt lange Zeit wegen des Lärms und der Luftverschmutzung als ungeeignet zum Wohnen. Seine Bestimmung als neues Wohngebiet hat durchaus Kritik ausgelöst. Im Rahmen des Wettbewerbs „Abitare a Milano“, den die Stadt 2005 für acht innerstädtische, aber marginale Quartiere ausgeschrieben hatte, wurden „neue urbane Lösungen“ auch für diese Parzelle gesucht. Die Anordnung der vier von Ost nach West ausgerichteten Baukörper, die im rechten Winkel zur Straße stehen, war bereits in einem Masterplan festgeschrieben, den die Mailänder Behörden gemeinsam mit dem Politecnico di Milano erarbeitet hatten. Floriana Marotta und Massimo Basile, zwei junge italienische Architekten mit Büro in Barcelona, setzten in ihrem siegreichen Entwurf die gerade für diesen Standort besonders eng gefassten Auflagen konsequent um und fanden eine elegante Lösung, um die Parzelle vor Lärm zu schützen und gleichzeitig zum angrenzenden Quartier zu öffnen.
Der Magistrale Via Gallarate kommt eine entscheidende Rolle für das Projekt zu, da die Orientierung Richtung Nordwest eines der Leitmotive für das moderne Mailand seit dem 19. Jahrhundert bildet. Die aus der früheren Strada del Sempione entwickelte Achse steht für die Anbindung an Frankreich über den Simplon-Pass der Alpen. Ursprünglich auf das Castello Sforzesco aus dem 14. Jahrhundert ausgerichtet, entwi­ckelte sich entlang der Straße im Laufe der Jahrhunderte eine Abfolge wichtiger städtebaulicher Erzählungen: Dazu gehören das System aus Parco und Corso Sempione, bedeutende architektonische Meilensteine wie die Casa Rustici von Giuseppe Terragni, das QT8 (ein experimentelles, 1947–49 im Zuge der VIII. Triennale di Milano entstandenes Viertel) und die unterschiedlichen Zonen des Quartiere Gallaratese (1957–68 und 1964–74) mit Beiträgen von Carlo Aymonio und Aldo Rossi.
 
Die durchlässige Lärmbarriere

Der Standort erhält seinen Charakter somit aus der Lage zwischen einem weitläufigen Wohnviertel der Nachkriegszeit mit klar definierten Grenzen und einer lauten, vierspurigen Straße. Vor diesen Prämissen wird deutlich, welcher Stellenwert den Lösungsvorschlägen des Projektes zukommt. In erster Linie behandeln die Architekten den Standort als Anlass, einen öffentlichen Grünraum zu schaffen, der auch für die angrenzenden Quartiere offene Durchgänge anbietet. Als strukturierendes Element fungiert ein zentraler Fußgängerweg, der längs über die Parzelle führt. „Eine in west-östlicher Richtung orientierte Erschließungsachse organisiert den Komplex. Wie zwei Uferböschungen folgen die grünen Bänder im Norden und Süden dieser Achse auf ihrer gesamten Länge; sie drängen in das Flussbett des Weges und zwingen ihn zu Umwegen und Richtungswechseln. Der Weg fließt durch die Gebäude hindurch, die Baukörper passen sich in ihrer Ausrichtung dem Verlauf des Parks an und wachsen aus der Topographie heraus“, so die Architekten. Die Böschung im Norden ist mit Gras und Bäumen bepflanzt, im Süden sind die öffentlichen Räume vergleichsweise urban, die Oberflächen aus Stein und Holz.
Der Umgang mit der Lärmbelastung wird zum entscheidenden Faktor: Eine drei Meter hohe Betonmauer längs der Fahrbahn schützt den offenen Raum und definiert ihn zugleich in seiner Maßstäblichkeit. Diese Einfriedung sorgt für die nötige Höhe zur Straße hin und begrenzt den neuen Verlauf des Bodenreliefs. Die akustische Barriere bietet Anknüpfungspunkte für neue Bezüge, die die Architekten kleinteilig in das Gelände einschreiben: „Das Problem der akustischen Belastung wurde in der Absicht angegangen, die Durchlässigkeit zwischen der Via Gallarate und dem Park zu erhalten. Immer wieder bietet die Mauer Verweise auf den Park. Zum Teil sind dies Sichtbezüge, zum Teil öffnet sich die Mauer und leitet den Passanten durch ein System von kleinen Plätzen; die Plätze wiederum gehen über in Durchgänge auf die Via Gallarate und schaffen situative Fokuspunkte: eine Verbindungstreppe zwischen Straße und Park, einen Innenhof, einen Baum, ei­nen Vorplatz mit Wasserspielen. Andere Male wird das System Mauer–Platz–Park variiert als halb in die grüne Topographie eingeschobene bauliche Elemente mit Flächen für Kommerz oder Dienstleistungen.“
Charakteristisch für die Wohnhäuser sind die aus mehreren Elementen kombinierten Fassaden, die gegen die Straße hin weitgehend geschlossen bleiben. Auf der ruhigen, südli­chen Seite des Geländes sind die Baukörper bis zu zehn Geschosse hoch und stehen jeweils in der Straßenflucht des Gallaratese-Viertels. Der Wechsel zwischen Loggien und raumhohen Fenstern bietet eine Struktur an, in der sich ein Rückbezug auf die moderne Mailänder Baukultur findet, die aus der Abfolge von wenigen Elementen und einfachen Materialien eine rigorose Architektur entwickelte.



Fakten
Architekten MAB Arquitectura, Barcelona
aus Bauwelt 21.2010

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