Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn
Wenn ein Mensch an Alzheimer erkrankt, dann ist das Farbgedächtnis das letzte, was ihm bleiben wird. Also, folgerten wulf architekten, muss die Farbe beim neuen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn eine besondere Rolle spielen. Sie ist der Vermittler in einem Haus, das mehr kann als reine Funktion, weil es von allen so gewollt war.
Text: Winterhager, Uta, Bonn
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Das Äußere der Bauten wird durch Fassaden mit 2403 farbig bedruckten, drehbaren Glaslamellen zur Lichtlenkung bestimmt. Sie sind umgeben von Kiefern- und Eichenbäumen.
Foto: Steffen Vogt
Das Äußere der Bauten wird durch Fassaden mit 2403 farbig bedruckten, drehbaren Glaslamellen zur Lichtlenkung bestimmt. Sie sind umgeben von Kiefern- und Eichenbäumen.
Foto: Steffen Vogt
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Das Zentrum setzt sich aus drei Gebäuden zusammen und befindet sich auf dem Gelände der Universitätsklinik im Stadtteil Venusberg südlich der City.
Foto: Steffen Vogt
Das Zentrum setzt sich aus drei Gebäuden zusammen und befindet sich auf dem Gelände der Universitätsklinik im Stadtteil Venusberg südlich der City.
Foto: Steffen Vogt
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Haupteingang
Foto: Steffen Vogt
Haupteingang
Foto: Steffen Vogt
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Die unterschiedlichen Funktionen der Gebäude sind von außen kaum erkennbar.
Foto: Steffen Vogt
Die unterschiedlichen Funktionen der Gebäude sind von außen kaum erkennbar.
Foto: Steffen Vogt
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Die „Gelenke“ beherbergen eine Rückzugsmöglichkeit für die Mitarbeiter.
Foto: Steffen Vogt
Die „Gelenke“ beherbergen eine Rückzugsmöglichkeit für die Mitarbeiter.
Foto: Steffen Vogt
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In den Obergeschossen sind neben Büros auch eine kleine Zahl an Patientenzimmern. Die Glaslamellen der Fassade werden automatisch reguliert.
Foto: Steffen Vogt
In den Obergeschossen sind neben Büros auch eine kleine Zahl an Patientenzimmern. Die Glaslamellen der Fassade werden automatisch reguliert.
Foto: Steffen Vogt
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Die langgezognee zentrale Halle des Laborgebäudes.
Foto: Steffen Vogt
Die langgezognee zentrale Halle des Laborgebäudes.
Foto: Steffen Vogt
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Die Büros mit einem zentralen Besprechungsraum.
Foto: Steffen Vogt
Die Büros mit einem zentralen Besprechungsraum.
Foto: Steffen Vogt
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Das Leit- und Orientierungsystem ist von Andreas Uebele.
Foto: Steffen Vogt
Das Leit- und Orientierungsystem ist von Andreas Uebele.
Foto: Steffen Vogt
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Atrium im Eingangsgebäude.
Foto: Steffen Vogt
Atrium im Eingangsgebäude.
Foto: Steffen Vogt
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In dem Gebäude können auch für kurze Zeit Patienten aufgenommen werden. Strom und Wärme kommen über Geothermie und ein Blockheizkraftwerk mit Kraft-Wärme-Koppelung.
Foto: Steffen Vogt
In dem Gebäude können auch für kurze Zeit Patienten aufgenommen werden. Strom und Wärme kommen über Geothermie und ein Blockheizkraftwerk mit Kraft-Wärme-Koppelung.
Foto: Steffen Vogt
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Farbe ist auch innen ein wichtiges Thema. Die blauen, violetten und grünen Felder von Harald F. Müller an den Wänden sollen eine 400fache Vergrößerung von Pinselstrichen darstellen.
Foto: Steffen Vogt
Farbe ist auch innen ein wichtiges Thema. Die blauen, violetten und grünen Felder von Harald F. Müller an den Wänden sollen eine 400fache Vergrößerung von Pinselstrichen darstellen.
Foto: Steffen Vogt
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Der Hörsaal mit 300 Plätzen hebt sich durch seine Gestaltung mit Holz ab.
Foto: Steffen Vogt
Der Hörsaal mit 300 Plätzen hebt sich durch seine Gestaltung mit Holz ab.
Foto: Steffen Vogt
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Die Laborbereiche, in denen die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems erforscht werden.
Foto: Steffen Vogt
Die Laborbereiche, in denen die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems erforscht werden.
Foto: Steffen Vogt
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Die interne Transparenz und der Bezug nach Draußen wurden so weit möglich umgesetzt.
Foto: Steffen Vogt
Die interne Transparenz und der Bezug nach Draußen wurden so weit möglich umgesetzt.
Foto: Steffen Vogt
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Die Cafeteria im Eingangsgebäude.
Foto: Steffen Vogt
Die Cafeteria im Eingangsgebäude.
Foto: Steffen Vogt
Grün- und Orangetöne bestimmen die Ansichten dieses Gebäudes, blenden es ein in den lichten Kiefernwald. Doch der ist hier keineswegs nur Kulisse, die bewegte Figur greift in ihn hinein, provoziert die Überlagerung des Menschengemachten mit dem Gewachsenen von jedem Standpunkt aus, innen wie außen. Dabei möchte sich hier niemand verstecken, im Gegenteil: Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, kurz DZNE, ist ein Vorzeigeprojekt, das öffentliche Wahrnehmung sucht.
In Deutschland sind gegenwärtig mehr als 1,5 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, jedes Jahr kommen weitere 300.000 dazu, was sie neben Krebs und Diabetes zu einer der sechs großen Volkskrankheiten macht. Allein die hohe Zahl der Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen macht die Erforschung der Ursachen und die Suche nach neuen Therapien zu einer politisch und gesellschaftlich relevanten Aufgabe. Darauf reagierte die Bundesregierung, als sie 2009 das DZNE mit neun Standorten gründete. Nach einigen Jahren mit provisorischer Unterbringung hat das Bonner DZNE im Sommer 2016 sein neues Forschungs- und Laborgebäude auf dem Gelände der Universitätsklinik bezogen, das abseits der Innenstadt auf dem Venusberg liegt. Der große Campus wurde in den letzten Jahrzehnten erheblich nachverdichtet, doch erst bei den jüngsten Bauten sieht man zaghafte Versuche, die großen Volumen zu gestalten. Und wenn es nicht diese perfekte Mimikry wäre, das dieses Gebäude schon auf den ersten Blick so besonders macht, müsste man sagen, das DZNE falle auf.
Ordnung und Unterordnung
2012 gewannen wulf architekten auch mit dieser Haltung den Generalplanerwettbewerb für den Neubau des Forschungszentrums. Die geforderten 35.000 Quadratmeter verteilten sie den Nutzungen entsprechend auf drei Baukörper. Wie zufällig geworfene Kiesel liegen die nun zwischen den hohen Kiefern. Sie überschneiden sich nicht, sondern sind mit zylindrischen Bauteilen verbunden, die eine gewisse Beweglichkeit der Gruppe suggerieren. Ohne die Symmetrie des einzelnen zu stören, reagieren die Baukörper aufeinander mit wandernden Farbfeldern – doch auch hier ist die Bewegung nur ein Bild. Fast jedenfalls, denn die meisten der insgesamt 2403 farbig bedruckten Glaslamellen reagieren mit ihrer Ausrichtung auf den Sonnenstand.
Besucher wie Mitarbeiter betreten das DZNE über das helle, großzügig dimensionierte Atrium, das sich in der Querachse des Eingangsgebäudes erstreckt. Überraschend ist hier, wie viel Raum und Öffnung diesem Empfang tatsächlich gewidmet wurde: Kaum ist man eingetreten, sieht man sich – überspitzt gesagt – schon wieder im Wald. Alles andere nimmt sich zurück, die Farben, hier nur Weiß und Schwarz, die Formen schnörkellos, die Wege direkt. Auch die zentral platzierte Treppe verstellt nichts, weil es den Architekten, Bauherren und der Bauaufsicht gelungen ist, die Vorschriften für den Krankenhausbau an dieser Stelle so zu dehnen, dass auf Setzstufen verzichtet werden konnte. Doch es ist nicht nur dieses Detail, das vergessen macht, dass hier Land und Bund gebaut haben, sondern die Konsequenz, mit der jeder angefangene Gedanke im Zeit- und Kostenrahmen zu Ende geführt wurde.
Transparenz und Diskretion
Im Erdgeschoss des Eingangsgebäudes liegen rechts die Cafeteria und links der Hörsaal. Um Höhe zu gewinnen, senkt sich der Saal Richtung Bühne ins Erdreich ab, noch mehr Raum schaffen die flachen Kuppeln, die zwischen den Deckenträgern eingefügt wurden. Sie schlucken nicht nur den Schall, sondern auch Technik. Die hölzernen Tische, der Boden und die Einbauten setzen hier wie überall, wo die Räume dem Aufenthalt dienen, dem Sachlichen etwas Natürliches entgegen.
Die Büros der rund 100 Verwaltungsmitarbeiter und des Vorstands sowie eine kleine Zahl Patientenzimmer der klinischen Forschungseinheit befinden sich in den drei Obergeschossen. Ein Tunnel im ersten Untergeschoss verbindet das DZNE mit dem benachbarten Zentrum für Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatik und ermöglicht den Patienten von dort einen direkten Zugang zu den hier liegenden MRT-Untersuchungsräumen. Daneben sowie im zweiten Untergeschoss sind ein Großteil der Anlagen der Haustechnik verborgen, damit die Dächer frei bleiben können.
17 Meter tief
Im größten Baukörper, dem zentral gelegenen Forschungsgebäude, liegen auf vier Geschossen entlang einer außermittig platzierten weiten Erschließungsachse zur Linken die biomedizinischen Labore der Grundlagenforschung, zur Rechten die Büros der Forschungsgruppenleiter. Auf jeder Ebene sind es vier Laboreinheiten à 400 Quadratmeter, von denen zwei und zwei zusammen geschlossen sind, dazwischen erschließt ein Gang das Präklinische Institut. Bis zu 17 Meter tief sind die Labore. Die interne Anordnung der einzelnen Bereiche ist ihren zum Teil technisch hochgerüsteten Arbeitsbedingungen entsprechend gestaffelt, bietet den einzelnen Arbeitsgruppen aber dennoch maximale Flexibilität zur Untergliederung ihrer Bereiche. Während die Computerarbeitsplätze direkt am Fenster angeordnet sind, verdichtet sich das Maß an erforderlicher technischer Ausstattung ins Gebäude- innere. Es wird auch etwas lauter und die Sicherheitsvorschriften sind strenger, doch immer geht der Blick nach draußen, durch die farbigen Lamellen der Fassade in die Baumkronen und erinnert die, die sich in ihrer Arbeit verloren haben, wieder an die Welt da draußen. Dass die Forschung nicht nur im Labor stattfindet, sondern genauso gut in der Teeküche oder auf dem Flur, haben die Architekten bereits in der Planung berücksichtigt und bieten den rund 400 Wissenschaftlern an vielen Stellen im Gebäudekomplex Möglichkeiten zum informellen Austausch. Auch in den Gelenken zwischen den Baukörpern, wo es in kleinen blauen Nischen ganz unerwar-tet wohnlich wird. Architekt Tobias Wulf wollte aus dem Laborbau architektonisch mehr als das Übliche herausholen, mehr planen als einen reinen Zweckbau. Auch bei einem so schwierigen Bereich wie dem Präklinischen Institut, das als letztes Glied der Kette an die Ostflanke des Forschungsgebäudes angedockt ist. Die Arbeit hier erfordert hohe hygienische Standards, ein großes Maß an Sicherheit und gehört zu den Bereichen, die von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden sollen. Doch von Außen sind alle Baukörper gleich, es gibt keine Hierarchie durch die Fassadengestaltung.
Das klar verglaste Erdgeschoss bildet mit fast schwarzer Aluminium-Pfosten-Riegel-Fassade den Sockel des Gebäudes, bliebe man beim Bild der Bäume, wäre es der lichte Bereich zwischen den Stämmen. Ein- und Ausblicke sind überall gewünscht, Räume, die mehr Diskretion benötigen, legten die Architekten auf die dem Wald zugewandte Seite. Wo Transparenz wegen technischer Einbauten nicht möglich war, wurde der Sockel mit einem dunklen Anstrich fortgeführt. Auch wenn das Gebäude über seine Farbigkeit die Anpassung an die Umgebung sucht, bleiben die Geschosse durch die Reihen der geschosshohen Glaslamellen lesbar.
Vielleicht Gold
Jede der farbigen Lamellen besteht aus zwei zu Verbundsicherheitsglas verschweißten Scheiben. Eine davon ist zuerst farbig, dann schwarz mit einem feinen Lochmuster bedruckt, die zweite mit einer Sonnenschutzschicht bedampft worden. Die feine Lochung filtert das Tageslicht, während die schwarze Rückseite verhindert, dass bunte Reflexionen zu Irritationen auf den Arbeitstischen führen. Die automatisch gesteuerten Fassadenelemente sind weit mehr als nur Dekor, sie ermöglichen zu allen Tages- und Jahreszeiten eine optimale Ausnutzung des Tageslichts. Und dies ist nur ein Aspekt der nachhaltigen und ressourcenschonenden Planung, die wohl dazu führen wird, dass das DZNE als erstes Laborgebäude die Gold-Zertifizierung nach dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude erhalten wird.
Schrift und Farbe
Auch bei der Orientierung im Gebäude spielt Farbe wieder eine Rolle. Das von Andreas Uebele entwickelte Leitsystem, das jedem Gebäudeteil einen eigenen Blau-, Violett- oder Grünton zuweist, wurde als 400fache Vergrößerung eines Pinselstrichs des Künstlers Harald F. Müller mit Airbrush direkt auf die Wände in Atrien und Fluren gesprüht. Diese so groß und kraftvoll erscheinenden Bewegungen, die jedoch mit unheimlicher Präzision übertragen wurden, scheinen über die Architektur hinweg zu gehen als handle es sich um ein Modell und die Laune eines Künstlers. Und wieder steht die Farbe hier für das letzte bisschen Erinnern, das dem Alzheimer-Patienten bleibt. Ein erstes Indiz auf die Krankheit lässt sich in der Veränderung einer Handschrift erkennen, was Uebele den Anstoß gab, sämtliche Beschriftungen von Hand mit einem Pinsel auf die Wände zu schreiben. Sehr direkt und sehr menschlich ist das und nicht zuletzt ein schöner Hinweis darauf, dass in diesem Gebäude der Mensch die Technik im Griff hat.
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