Bauwelt

Zwei Villen


Opulent – puristisch


Text: Marquart, Christian, Stuttgart


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    Foto: Christian Richters

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    Foto: Zooney Braun

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Zwei Villen, die gegensätzlicher nicht sein können: die eine von Ben van Berkel, die andere von Werner Sobek. Luxus mit der Opulenz einer Pralinenschachtel oder ganz schlicht, fast schon spartanisch.
Wer etwa fürchtet, im Alter zu vereinsamen, nur weil der Traum vom Eigenheim irgendwie ein bisschen zu weit hin­aus an die urbane Peripherie oder sogar über die Grenzen der Agglomeration gerutscht ist, sollte sich beizeiten darum bemühen, einen interessanten, international renommierten Architekten für den Hausbau zu gewinnen: Denn dann mangelt es nicht mehr an Kontakten, an Zuspruch und Zuwendung, an Besuchern und Gästen. Neue Einfamilienhäuser, die aktuell von guten Architekten individuell entworfen werden, gibt es nicht mehr viele. Als relativ kleine Projekte im Kontext des erforderlichen Planungsaufwands gelten sie als nicht besonders einträglich.
Immerhin, wenn solche Villen – ein Experimentierfeld für Architekten, die gerne in überschaubaren Maßstäben et­was Neues ausprobieren wollen – im Entwurf eine interessante Pointe aufweisen, ist ihnen das Interesse der Fachwelt und der Öffentlichkeit sicher. Fast täglich werden nette Menschen bei den Bewohnern solcher Häuser anrufen oder unangekündigt vor der Tür stehen. Sie begehren mehr oder minder hartnäckig Einlass, denn sie wollen diese originelle Immobilie in Augenschein nehmen und vor allem sehen, wie sie im alltäglichen Betriebsmodus funktioniert: Architekten und Architekturstudenten aus aller Herren Länder, auch potenzielle Bauherren, die Anregungen für ihr eigenes Projekt suchen.
Es mag aber auch sein, dass dieser Architekturtourismus die Hausherren irgendwann nervt, vielleicht sogar ziemlich schnell. Dann bleiben die Türen mancher dieser interessanten Häuser für Fremde verschlossen, jedenfalls zeitweilig, so wie für den Autor dieses Textes. Eine der beiden Villen in Württemberg, von denen hier mit Rücksicht auf die Bewohner ohne genauere Ortsangabe die Rede sein wird, kennt er derzeit nur aus der Distanz, von außen, von der Anhöhe aus, von Plänen und von Abbildungen des Interieurs, die der Architekturfotograf lieferte.
Haus am Weinberg
Es spricht jedoch für die Architektur, wenn sie auch mittelbar noch beeindruckt. Deshalb soll es hier um ein Haus von Werner Sobek gehen, das in Oberschwaben steht und ein wenig an das Farnsworth House von Mies van der Rohe erinnert (in der Frontalansicht aber auch als Miniaturausgabe von dessen Ber­liner Nationalgalerie erscheinen mag) – und um ein Haus, das der Niederländer Ben van Berkel und sein UN Studio für einen Unternehmer in der Region Stuttgart baute, am Fuß eines Weinbergs und am Rand einer kleinen Stadt. Letzteres steht nicht allzu weit entfernt von einer Villa in der Nähe des Schiller-Städtchens Marbach. Dort entwarf und realisierte vor wenigen Jahren der Architekt Jürgen Meyer H. für einen anderen mittelständischen Unternehmer eine weiße Villa mit gerundeten Kanten (Bauwelt 43.08), in etwa auf dem Grundriss ei­nes Vorgängerbaus, der für das Projekt zu weichen hatte. Genauso war es nun auch Ben van Berkel aufgetragen worden: Sein privater Bauherr aus dem Schwäbischen ist tätig in der Bauwirtschaft, und so spiegelt diese Villa vielleicht nicht nur den privaten Lebensstil des Auftraggebers, sondern erzählt auch ein wenig von dessen professioneller Haltung – und ganz sicher eine Menge über seine Ansprüche an architektonische Qualitäten und räumliche Effekte.
Schon vor der Gründung von UN Studio erregte Ben van Berkel in den neunziger Jahren einiges Aufsehen mit einem Wohnhaus unweit von Amsterdam, dessen Raumstruktur nach dem Prinzip des „Möbiusbands“ geschlungen war. Die Plastizität und die weichen, wie geschliffen wirkenden Konturen seiner neuen Villa unter den terrassierten schwäbischen Weinbergen rufen solche Assoziationen erneut hervor. Allerdings hat van Berkel sein Konzept, das Wohnen in linearer Drehung gewissermaßen als dreidimensionale Schleife zu organisieren, diesmal in der kompakten Raumfigur eines annähernd quadratischen Blocks untergebracht, der außen mit weißen, pulverbeschichteten Aluminiumpaneelen verkleidet ist. So wirkt das Wohnhaus wie eine appetitliche Pralinenschachtel, deren Deckel klemmt und die ein energischer Riesenlausbub deshalb an einer Seite mit Kraft zu öffnen versucht hat. Durch diese „aufgerissenen“, großzügig verglasten Eckpartien fällt nun reichlich Tageslicht in die Wohnräume, im Essbereich sogar über die gesamte Gebäudehöhe oberhalb des Geländeniveaus.
Das „Haus am Weinberg“ spiegelt nicht nur im Äußeren die Konturlinien der terrassierten Kulturlandschaft, in die es eingebettet ist – man findet auch Isomorphien in seinem Inneren. Weich geschwungene Niveausprünge des Fußbodens, Podeste, Treppchen und kleine „Plateaus“ für die Wildtier-Prä­parate des Hausherren duplizieren en miniature und in lakonischer Abstraktion das Landschaftsbild; und dieser „Dialog“ der Formen geht keineswegs ins Leere, da die verglasten Gebäudeecken des Wohn- und Essbereichs ständig dazu einladen, den Blick immer wieder nach draußen zu richten. Lässig, fließend, aber ohne Unschärfen wirkt die Organisation der Wohnbereiche: Die Blickachsen orientieren sich an Diagonalen, hinauf in die Privatsphäre des Obergeschosses oder auf die Höhen der Weinberge, hinab in die Eingangshalle und in der Horizontalen vom Wohn- in den Essbereich oder umgekehrt. Sehr großzügig sind alle öffentlichen oder halböffentlichen Sphären des Hauses (und des Gartens, der das Zeug zur Parkanlage hat) – fast bescheiden hingegen die Privatgemächer der Familie.        
Licht ist das Leitmotiv des Gebäudeentwurfs, sogar dort, wo es dunkel wird. Der Hausherr ist als (Großwild-)Jäger auf allen Kontinenten unterwegs, und seine Trophäen schmücken vor allem einen vom Tageslicht vergleichsweise sparsam erhellten Raum mit dunkler, traditionell wirkender Holzvertä­felung. Sitzmöbel in altenglischem Stil und ein schwarzer Konzertflügel setzen weitere Akzente. Das erlegte Getier ist in diesem Raum der dominierende Schmuck.
An Komfort fehlt es dem Haus am Weinberg nicht, selbst an die Haustiere hat man gedacht. Ein kleiner Raum, immerhin etwa halb so groß wie das Probierstübchen vor dem gewölbten Weinkeller im Untergeschoss, ist reserviert für die beiden Hunde, die dort ihre Dusche kriegen: wenn sie es nicht vorziehen, auf eigene Faust draußen im Teich zu planschen oder im schmalen, langgestreckten Swimmingpool. Dessen Becken ist geformt wie ein Boot, das direkt am Haus vor Anker zu liegen scheint.
Was diese Villa und jene von Werner Sobek letztlich verbindet, ist die Verknüpfung hoher formalästhetischer Ansprüche im jeweiligen architektonischen Entwurf mit je eigenen, auf unterschiedliche Weise ehrgeizigen haustechnischen Konzepten. Das Haus am Weinberg wird, so weiß es ein am Bau beteiligter Ingenieur, energetisch von einem eigenen Blockheizkraftwerk versorgt. Tragstruktur, Hülle und Verglasung genügen selbstverständlich allen modernen Ansprüchen an Wärmeschutz und Isolierung. Die Wohnraumlüftung funktioniert nach Prinzipien der Wärmerückgewinnung. Die Tragstruktur aus Stahlbeton erlaubt weit auskragende Deckenscheiben und fast stützenfreie Räume.
Haus D10
Sobeks Villa in Oberschwaben ist entworfen für einen zweiköpfigen Haushalt. „Haus D10“ steht auf einer Betonplatte, die knapp über dem Rasen „schwebt“, deutlich niedriger als beim legendären Farnsworth House in den USA, wo man sich vor den Hochwasserfluten eines nahen Flusses zu schützen hatte; zwei parallele, um mehrere Meter gegeneinander versetzte Wandscheiben und das weit auskragende Flachdach sind aus Holz (!) gefertigt. Die Gebäudefront und die Flanken sind raumhoch und komplett verglast. Das Haus, das in einem verwunschen wirkenden Garten steht, dem es sich rückhaltlos öffnet, ist unterkellert; an der Rückfront, unter der Bodenplatte und hinter der zweiten Wandscheibe, ist Platz für die Garage.
Den Grundriss des Hauses D10 hätte Werner Sobek kaum schlichter gestalten können. Die rückwärtige Wandscheibe ist komplett geschlossen. Die vordere ist geteilt und lässt eine breite Nische offen, die je nach Bedarf und Stimmungslage der Bewohner durch eine raumhohe Schiebewand geschlossen werden kann. Deren fast goldfarbenes Laminat erzeugt einen dezenten Kontrast zu dem dunklen Holz der Wand, dem makellosen Weiß von Decke und Boden und den wenigen, ausgesuchten Designermöbeln, die in diesem großen, durch das viele Glas praktisch entgrenzten Raum fast verloren wirken.
Die kleine Küche ist in die erwähnte Nische „eingelassen“. Eine dünne Wand trennt sie vom dahinter liegenden Schlafzimmer. Im rückwärtigen Teil des Hauses befindet sich außerdem das Badezimmer und, fast doppelt so groß, eine fensterlose Ankleidekammer. Den Übergang zum vorderen Wohnbereich bildet an der Flanke des Hauses eine kleine Bibliothek.
Das energetische Konzept Sobeks ruht hier auf zwei Säulen der Nachhaltigkeit – Geothermie und Photovoltaik. Eine hocheffiziente Wärmepumpe erntet mittels tiefer Sonden Erdwärme in ausreichender Menge, sodass das Haus im Winter komfortabel warm und im Sommer bei Bedarf auch problemlos zu kühlen ist; die Solarzellen befinden sich auf dem Dach des Hauses. Werner Sobeks Nachhaltigkeitskonzept, das er unter dem Begriff „Triple Zero“ subsumiert und so auch hat schützen lassen, wäre nicht komplett ohne das Prinzip praktisch rückstandslos zu organisierender Materialkreisläufe: Die Konstruktion und die eingesetzten Baumaterialien machen es möglich, das Gebäude problemlos zu demontieren, die Grundstoffe zu trennen und einer anderen Verwendung zuzuführen.
Im Haus D10 wird gewissermaßen radikal gewohnt: in einer Sphäre zwischen innen und außen, die ganz stark geprägt ist von der extremen visuellen Durchlässigkeit des Gebäudes. Die minimalistische Architektur dieser Villa, zumindest aber ihr fast metaphysisch anmutender Hauptraum – der die Bewohner vor die Alternative stellt, ihn entweder sehr kontemplativ oder im Gegenteil sehr aktiv zu nutzen –, hat keinen besonders bergenden Charakter. Das unterscheidet Sobeks Haus in Oberschwaben von dem oben beschriebenen in der Stuttgarter Region, wo UN Studio die Balance zwischen einem jeweils „gefühlten“ Innen und Außen dramaturgisch anders austariert hat. Indem das Leben dort im Haus unter dem Weinberg nicht nur horizontal zirkuliert, sondern auch in der Vertikalen, und weil die ins Obergeschoss schwingende Treppe ziemlich genau in die geometrische Mitte des Baukörpers führt, wurde mit architektonischen Mitteln ein Zentrum markiert, das der Raumorganisation nebenbei auch eine Richtung verleiht: Wer also die Frage „Wo ist innen?“ stellt, bekommt dort gleich eine schlüssige, überzeugende Antwort.
Definitiv richtungweisenden Charakter hat im großen Wohnraum der Villa von Werner Sobek eigentlich nur eine Treppe, die hinunter in den Keller führt. Alles andere bleibt in der Schwebe, ist Panorama.
Man braucht also eine, sagen wir, mentale Schwindel­freiheit, um sich unabhängig von individuellen Stimmungsschwankungen dort behaglich fühlen zu können. Sonst könnte es den Bewohnern des Hauses im Oberschwäbischen gehen wie den Kuratoren in der Berliner Nationalgalerie: Weil es empfindlichen Exponaten dort in der lichtdurchfluteten Halle der Hauptebene des Museums nicht besonders gut geht, muss man gegebenenfalls Vorhänge anbringen und diese bei schönen Wetterlagen rigoros zuziehen – was für Werner Sobeks Villa hieße, die Qualität des Hauses temporär komplett zu ruinieren. Aber wer wollte es schon so weit kommen lassen?
Anspruchsvolles zeitgenössisches Wohnen findet heute vorzugsweise in citynahen Apartments und Penthouses in luftiger Höhe in den global vernetzten Metropolen statt – oder im Grünen, wo Ruhe herrscht und die Äste alter Bäume in großen Gärten nicken. „Geh mir aus der Sonne“ ruft ihnen der moderne Diogenes dann zu; statt Feldherren wie damals berät der Kyniker von heute die Herrscher großer Konzerne. Aber den erweiterten Wohnbegriff des antiken Philosophen, dem noch ein altes Weinfass als Adresse genügte, hat er wieder neu entdeckt: Innen ist außen ist innen ...



Fakten
Architekten van Berkel, Ben, Amsterdam/Shanghai; Sobek, Werner, Stuttgart
aus Bauwelt 3.2013
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