Bauwelt

Schluss mit der Great Man Theory

Alejandro Aravena ist der Pritzker-Preisträger 2016. Die Entscheidung ist umstritten

Text: Miranda, Carolina A., Los Angeles; Schade-Bünsow, Boris, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin; Steiner, Dietmar, Wien; Kleilein, Doris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin

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Alejandro Aravena, Pritzker-Preisträger und diesjähriger Biennale-Direktor vor einschlägiger Kulisse
Foto: Giorgio Zucchiatti, Biennale die Venezia

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Alejandro Aravena, Pritzker-Preisträger und diesjähriger Biennale-Direktor vor einschlägiger Kulisse

Foto: Giorgio Zucchiatti, Biennale die Venezia


Schluss mit der Great Man Theory

Alejandro Aravena ist der Pritzker-Preisträger 2016. Die Entscheidung ist umstritten

Text: Miranda, Carolina A., Los Angeles; Schade-Bünsow, Boris, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin; Steiner, Dietmar, Wien; Kleilein, Doris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin

Andere Definition der Architektur
Können kulturelle Institutionen wie der Pritzker-Preis auch selbstkritisch sein? Mich fasziniert die Wahl von Aravena unter diesem Blickwinkel. Der Pritzker-Preis musste sich in den letzten Jahren wachsende Kritik gefallen lassen. Er steht, um es milde auszudrücken, für ein altmodisches, überkommenes Architektenbild. Von wirklich wenigen Ausnahmen abgesehen wurden Männer zu Lasten von Frauen ausgezeichnet, Einzelpersonen zu Lasten von Teams und Kollektiven, Architekten, die für reiche Auftraggeber arbeiten zu Lasten von Architekten, die für die arme Bevölkerung oder für Entrechtete arbeiten, Architekten aus dem Norden zu Lasten von Architekten aus dem Süden. Im Grunde verfolgt der Pritzker die „Great Man Theory“, verkörpert durch eine ausgefallene Bronze-Medaille und einen 100.000 Dollar-Scheck. Die Wahl von Aravena entkräftet die letzten beiden Punkte, aber natürlich nicht die ersten beiden. Ein bescheidener Stups in eine neue Richtung, mag sein. Die Pritzker-Presse-Mitteilung schreibt selbst, Aravena „steht für die Wiedergeburt eines mehr sozial engagierten Architekten.“
Sein gebautes Werk ist von der Gestalt her kraftvoll und fotogen. Es ist, wenn man so will, klassisches Pritzker-Preis-Material. Es macht sich gleichermaßen gut in Print wie im Web. Insofern ist es eine Wahl, die lange nicht so überraschend ausfiel wie die des letzten Turner Prize an das Kollektiv Assemble (Heft 44-45.2015, A.d.R.). Hier kommt die Frage nach Alter und Erfahrung ins Spiel. Wenn wir davon ausgehen, dass der Pritzker den Druck über die Kritik an seinen Entscheidungen wahrgenommen hat und ihr entgegenkommen will, bleibt ihm eigentlich keine andere Wahl, als sich mit einer jüngeren Architektengeneration zu beschäftigen; dort ist aber die inhaltliche Umorientierung unübersehbar. Natürlich spricht nichts dagegen, Architekten erst in einer späteren Phase ihrer Karriere auszuzeichnen; Architektur ist ein langsames Metier und es braucht Zeit, um Meisterschaft zu erlangen. (...) Aber es scheint, dass sich der Pritzker mit Aravena entschieden hat, ein anderes Verständnis von Architektur zu prämieren. Ist es zynisch, den Pritzker-Preis so zu kommentieren? Ich wäre weniger versucht, es zu sein, wenn Aravena nicht erst vor kurzem aus der Jury ausgestiegen wäre. Carolina A. Miranda, Los Angeles Times
Politische Unterstützung gesichert
Alejandro Aravena hat den Pritzker-Preis 2016 gewonnen. Und das ist gut so. Mit dieser Auszeichnung wird die Intention des Architekten, die er als Direktor der Biennale 2016 verfolgt, international verstärkt. „Reporting from the front“, das Thema der bevorstehenden Biennale, wird viele Planer und Architekten an ihre vordringlichsten Aufgaben erinnern: Raum zum Wohnen und Arbeiten zu schaffen. Zur Not in kurzer Zeit, in angemessener Quali-tät und mit begrenzten Mitteln, so dass kein Provisorium entsteht, sondern dauerhafter Lebensraum. Hierfür braucht es politische, kulturelle und gesellschaftliche Rückendeckung, die durch solche Preise ausgedrückt wird. Boris Schade-Bünsow, Bauwelt
Weitet den Horizont
Ich weiß wenig über Südamerika. Über Chile weiß ich fast gar nichts. Ich weiß nicht, vor welchen Aufgaben Politik und Stadtplanung dort stehen, unter welchen Bedingungen Architekten arbeiten, worüber sie diskutieren, welche Strömungen miteinander ringen. Das geht vielleicht nicht nur mir so, das Land steht schließlich selten im Blickpunkt der hiesigen Fachöffentlichkeit. Die Pritkzer-Preis-Verleihung an Alejandro Aravena begrüße ich insofern als Aufforderung, den eigenen Wahrnehmungshorizont ein Stück zu weiten, eigenes Interesse zu relativieren. Ulrich Brinkmann, Bauwelt
Nerv getroffen
Kurz nachdem die Hyatt Foundation Alejandro Aravena als diesjährigen Pritzker-Preisträger bekanntgegeben hatte, veröffentlichten wir eine Meldung dazu auf bauwelt.de und auf unserer Facebook-Seite. Die Klickzahlen und „Likes“ für diese Nachricht gingen regelrecht durch die Decke. Ebenso für den Bauwelt-Beitrag zu den sozialen Wohnungsbauten von Aravenas Büro Elemental aus dem Jahr 2013, den wir aus diesem Anlass noch einmal auf die Startseite unserer Website holten. Wir haben uns natürlich gefreut, aber auch ein bisschen verwundert die Augen gerieben. So viel Zuspruch zur Vergabe eines – zugegebenermaßen renommierten – Preises? Was geschah hier gerade? Ganz offensichtlich hat die Pritzker-Jury einen Nerv in der Architektenschaft getroffen. Scheint doch die Auszeichnung von Alejandro Aravena zu beweisen: Die Arbeit von Architekten hat eine gesellschaftliche Bedeutung, die weit über die Rolle von „Ästhetik-Bespaßern“ hinausgeht – als die Architekten sich in der Öffentlichkeit viel zu häufig wahrgenommen sehen. Jan Friedrich, Bauwelt
Disgusting Insider Deal
I don‘t agree with the Pritzker-Prize for Alejandro Aravena. The social engagement of „elemental“ is quite ok, but has to be discussed by the special involvement of the sponsors for these projects. And if you search in this field, you can find Anna Heringer or Francis Kéré or the „rural studio“ more acknowleged in this field of an architecture of social engagement for the future. And to be the last year member of the pritzker-jury and now the winner, accompanied by the upcoming biennale-job, looks like an disgusting insider deal. Dietmar Steiner, Architekturzentrum Wien, auf FB
Wo bleibt das Kollektiv?
Dass der Pritzker-Preis vorzugsweise älteren Herren, gerne mit japanischem Hintergrund, verliehen wird, ist bekannt und seit längerer Zeit in der Kritik. Mit der Entscheidung für Aravena will die Hyatt Foundation ihr rückwärtsgewandtes Image aufpolieren. Politisches Engagement! Soziales Gewissen! Das kommt gut in Krisenzeiten. Mich überzeugt das nicht. Der Frontman aus Chile ist längst ein Global Player des Architekturbetriebs. Warum war die Jury nicht mutiger und hat gleich ein Kollektiv ausgezeichnet, ein Büro, das sich auch in seiner Arbeitsweise von Stereotypen löst? Doris Kleilein, Bauwelt
Vom Social Turn profitieren
Die Entscheidung zeigt vor allem eins: Die globalen Kulturinstitutionen wie Pritzker und Biennale wollen vom „social turn“ der Architektur profitieren.Aravena muss jetzt eine genauso brillante wie uneitle Ausstellung vorlegen, sonst hat er in meinen Augen verloren. Kaye Geipel, Bauwelt
Fakten
Architekten Aravena, Alejandro, Santiago de Chile
aus Bauwelt 6.2016
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