Der Duisburg-Effekt
Text: Manten, Marian, Berlin; Schulz, Michael, Berlin
Der Duisburg-Effekt
Text: Manten, Marian, Berlin; Schulz, Michael, Berlin
Wie umgehen mit der Bauruine von Herzog & de Meuron im Duisburger Innenhafen? Weiterbauen oder umnutzen? Soll die Stadt auf den "Bilbao-Effekt" setzen oder den "Duisburg-Effekt" wagen? Diskutieren Sie mit.
Das MKM im Duisburger Innenhafen, ein Bau „den inzwischen jeder kennt, sogar die Scheichs in Abu Dhabi“ (Stadtbaurat Jürgen Dressler auf dem Bezirksrat der Duisburger Schützen), wurde nach dem Umbau des denkmalgeschützten Backsteingebäudes auf Grundlage der Planung von Herzog & de Meuron 1999 mit 3600 Quadratmeter Ausstellungsfläche eröffnet. Da aber diese Fläche für die umfangreiche Privatsammlung des Ehepaars Ströher bei weitem nicht ausreichte, planten die Architekten acht Jahre später den Erweiterungsbau mit zusätzlichen 2000 Quadratmetern: als Kubus auf dem bestehenden Silogebäude der Küppersmühle.
Das prestigeträchtige Bauvorhaben hätte bereits zum Kulturhauptstadtjahr 2010 als „Symbol des nachhaltigen Wandels durch Kultur“ (Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Große-Brockhoff) fertiggestellt sein sollen. Mit diesem Erweiterungsbau würde der Innenhafen zu einem der interessantesten Orte bildmächtiger Architekturen in unserem Land, so der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Bisher existiert neben Visualisierungen und Plänen des „schwebenden“, transluzent wirkenden Kubus mit weißer Haut aus ETFE-Folie realiter nur ein unfertiges Stahltragwerk auf dem Boden neben dem Silogebäude. Diese Situation ist das Resultat einer Pannenserie, infolge derer die Baukosten von den ursprünglich veranschlagten 26 Millionen Euro auf mindestens das Doppelte angestiegen sind. So führte ein Brand im Silogebäude im Juli 2009 zur ersten Unterbrechung der Bauarbeiten. Doch damit nicht genug: Nach der Insolvenz einer der beteiligten Stahlbaufirmen in diesem Frühjahr stellte die nachfolgende Firma bei der Übergabe der Baustelle gravierende Mängel an den Schweißnähten der tragenden Struktur fest. Nach Aussage eines ehemaligen Arbeiters wurden die Stahlträger wegen des Zeitdrucks vor dem Schweißen nicht vorgewärmt und die Nähte mit Eisen und Blechen aufgefüllt.
Bei dem als Public Private Partnership entwickelten Projekt tritt die städtische Wohnungsbaugesellschaft GEBAG (mit einem Bestand von über 13.000 Wohnungen) als Bauherr auf. Sie muss nun für die entstandenen Mehrkosten aufkommen und ist dadurch finanziell ins Wanken geraten. Die fragwürdige Sanierung des Tragwerks ist vor allem aufgrund der ungeklärten Finanzierung seit Mitte Juni zum dritten Mal unterbrochen. Ob und wie es mit den Bau weitergeht, ist heute ungewisser denn je. Aus einem Zwischenbericht des Rechnungsprüfungsamtes geht hervor, dass ein ausführlicher Bericht über die finanzielle Situation der GEBAG und die endgültigen Kosten für den Erweiterungsbau erst im Oktober dieses Jahres zu erwarten sind. Für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass danach der Baustopp fortbesteht oder gar das gesamte Vorhaben aufgegeben wird, fordern wir schon jetzt zum Handeln auf: Aus der möglichen Bauruine wollen wir eine temporäre Raumstruktur produzieren, die bereits im Frühjahr 2012 einzugsbereit für Pioniere sein könnte.
Die unfertige Architektur befindet sich in einem einmaligen Schwebezustand zwischen Imagination und Realität. Die Stahlstruktur als Objekt auf dem Parkplatz des MKM ist jedoch weit mehr als ein ruinöses Gerippe, sie könnte im jetzigen Zustand mit minimalen Ergänzungen alle Anforderungen an einen öffentlichen Raum erfüllen – eine Ressource, die das Potenzial zu einer temporären Raumstruktur besitzt, was bislang noch gar nicht in Betracht gezogen wurde.
Warum also nicht mit dem Vorhandenen arbeiten? Wie in den avantgardistischen Stadtvisionen von Archigram oder Yona Friedman müssten zu Beginn lediglich infrastrukturelle Maßnahmen ergriffen werden, um die Erschließung und die Begehbarkeit sicherzustellen. Diese könnten in Form von Leichtbaukonstruktionen, primär in Holz, ausgeführt werden. Für eine spätere Vollendung des ursprünglich geplanten Bauvorhabens bliebe die Struktur unangetastet, für die Demontage der temporären „Plug-Ins“ bräuchte man lediglich Kettensägen und Schraubenschüssel. Der neu erschlossene Raum würde für verschiedene und auch immer wieder wechselnde Akteure nutzbar. Die individuell zu generierenden Einheiten sollen das Ergebnis eines moderierten Verhandlungsprozesses sein. Wir schlagen vor, dass sie im Rahmen eines „Call for Ideas“ überregional ermittelt werden. Dabei liegt das Augenmerk nicht ausschließlich auf Kunstprojekten, die möglicherweise vorsehen, einen Ausstellungs- oder Atelierraum in der Struktur zu installieren; auch Räume für Co-Working, Diskussionen, Filmvorführungen oder Musikveranstaltungen sind denkbar. Das Tragwerk würde damit erst einmal zum Projektionsort für Ideen, zum Nährboden im Brachland. Der Ein- und Auszug unterschiedlicher Akteure erzeugte einen sich permanent wandelnden Raum.
Ganz im Sinne von „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ (Motto Ruhr 2010), wollen wir die große Geste, die auf einer derart verfahrenen Situation innovativ aufbaut. Die Gelegenheit ist einmalig: Wo wurde bereits ein so prominentes, brachliegendes Bauvorhaben zur Akkumulation von kulturellem Kapital genutzt? Und das Ganze eben nicht „high glossy“ und für mehrere Millionen Euro, sondern möglichst einfach und auch mal improvisiert. Es ist im Duisburger Fall nicht das konstruierte Spektakel wie in Bilbao, das von kulturellem Geist zeugt und Aufmerksamkeit bindet. In dieser ganz speziellen Situation kann das unfertige Tragwerk viel mehr: neue Perspektiven eröffnen, Handlungsoptionen aufzeigen, Ideen anregen, kreative Köpfe von außerhalb gewinnen, vor allem auch Aufmerksamkeit binden. Das wäre dann der Duisburg-Effekt.
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