Bauwelt

Der Ehrgeiz des neuen Stadtarchitekten

Die bulgarische Hauptstadt Sofia hat seit Mitte Mai mit Zdravko Zdravkov einen neuen Chefplaner. Ob er den Berg städtebaulicher Probleme, die ihm sein Vorgänger Petar Dikov hinterlassen hat, wirklich anpackt, ist jetzt die Frage

Text: Stier, Frank, Sofia

Der Ehrgeiz des neuen Stadtarchitekten

Die bulgarische Hauptstadt Sofia hat seit Mitte Mai mit Zdravko Zdravkov einen neuen Chefplaner. Ob er den Berg städtebaulicher Probleme, die ihm sein Vorgänger Petar Dikov hinterlassen hat, wirklich anpackt, ist jetzt die Frage

Text: Stier, Frank, Sofia

Am 16. Mai 2016 hat Sofias Bürgermeisterin Jordanka Fandukova den jungen Architekten Zdravko Zdravkov als neuen Hauptarchitekten der Stadt vorgestellt. Der 1972 in der nordbulgarischen Stadt Pleven geborene Zdravkov hatte sich zuvor in einem mehrstufigen Auswahlwettbewerb gegen vierzehn Mitwettbewerber durchgesetzt. Studiert hat er in Sofia, seit 2004 wirkte er als Stadtarchitekt in der Kleinstadt Tscherven Briag, führte parallel dazu das Architekturbüro Kvadra 04 und die auf Stadtplanung spezialisierte Gesellschaft Infra Consult Group. Seine bekanntesten Werke sind Bulgariens einziges Champions-League-taugliches Fußballstadion von Litex Lowetsch und die Autofabrik von Litex Motors, die die chinesischen „Great Wall“-Modelle produziert.
Zdravkovs Wahl ist eine Überraschung. Kritiker äußerten Zweifel, ob seine Erfahrung als Stadtarchitekt einer Kleinstadt ausreichen werde, um die Stadtplanung einer Balkanmetropole mit knapp 1,3 Millionen Einwohnern zu verantworten. Im Vergleich zum bisherigen Stadtarchitekten, dem jovialen Petar Dikov, wirkt er wie ein kühler Rationalist. Eigentlich war erwartet worden, dass sich einer der in den vergangenen Jahren bereits im Team von Dikov tätigen Kandidaten durchsetzen würde. Dessen zehnjährige Amtszeit war geprägt von heftigen Kontroversen und zahlreichen ergebnislos verlaufenen Architektur- und Städtebauwettbewerben. Am anschaulichsten wird Dikovs städtebauliches Vermächtnis beim Gang über Sofias Nobelmeile Boulevard Vitoscha, die vom Idealzentrum der Stadt in südlicher Richtung auf das knapp 2300 Meter hohe Vitoscha-Gebirge hin orientiert ist. Bei Dikovs Amtsantritt im Frühjahr 2006 war dies ein von Au­-tos und Straßenbahnen befahrener Boulevard, heute ist es eine Fußgängerzone, in der sich Cafés und Restaurants aneinanderreihen. Die pittoreske Gestaltung des Straßenpflasters hat Dikov den Vorwurf provinziellen Kitsches eingetragen. Außer mit der umstrittenen Neugestaltung des Boulevard Vitoscha hat sich Petar Dikov aber vor allem durch Verkehrsprojekte profiliert. Die untertunnelte und von einem Kreisverkehr umgebene historische Löwenbrücke am Eingang zu Sofias Stadtzentrum zeugt von seinem Willen, dem Autoverkehr durch Ausbau von Straßenkreuzungen weiter das Feld zu überlassen. Sofias notorische Stauprobleme konnte er damit nicht lösen, obwohl in seiner Amtszeit eine zweite U-Bahn-Linie in Betrieb genommen wurde. Der Bau einer dritten Linie wurde mit Unstimmigkeiten begonnen. Es bedurfte des Einspruchs europäischer Botschafter, Stadtarchitekt Dikov von seinem Plan abzubringen, die archäologischen Überreste des römischen Serdica im Stadtzentrum zu eliminieren und an ihrer Stelle eine Tiefgarage mit mehreren hundert Stellplätzen zu errichten (Heft 41/2011). Es war also kein Anliegen Dikovs, dass die Besucher heute die historischen Spuren der Stadt und die Grundmauern antiker Wohngebäude besichtigen können.
Scheinbar unaufhaltsam schreitet aber der Verfall architektonisch und kulturhistorisch bedeutender Bürgerhäuser im Zentrum Sofias voran. Dazu kommt die Vernachlässigung der großen Plattenbauviertel am Rande der Stadt. Beides zählt zu den drängenden städtebaulichen Problemen, die Petar Dikov seinem Nachfolger Zdravko Zdravkov hinterlässt. Der hat sein im Berufungswettbewerb vorgelegtes Konzept mit „Sofia – grüne Stadt“ überschrieben. Dieses Konzept enthält zunächst kaum konkrete städtebauliche Vorhaben, dafür aber detaillierte Vorschläge zur Umstrukturierung der hauptstädtischen Verwaltung für Architektur und Städtebau (NAG). Zdravkov geht es um grundsätzliche Veränderungen in der Verwaltung: „Das Renommee der Abteilung muss verändert werden, erwarten Sie von mir aber keinen Revanchismus“, so Zdravkov bei seiner offiziellen Vorstellung durch Bürgermeisterin Fandukova. So sollen drei neue Abteilungen entstehen; eine für „Analyse und Entwicklung des Transportes“, eine für „Wohngebiete“ und eine dritte für „Immobiles Kulturerbe“. Weiter versprach er – und zielte damit auf die Autofixierung seines Vorgängers ab – Sofia zu einer „Stadt für die Menschen und nicht für die Autos“ zu machen. „Ich möchte eine Abfolge von Parks und Stadtplätzen schaffen, die durch qualitativ hochwertige Fußgängerwege verbunden sind.“ Außerdem versprach er eine Erneuerung der großenteils schadhaften Trottoirs in der Stadt, den Ausbau peripherer Ringstraßen und die Schaffung von Park-and-Ride-Plätzen an den U-Bahnstationen der Randbezirke, um das Stadtzentrum vom Autoverkehr zu entlasten.
Das alles sind in der Tat wichtige Punkte für eine Erneuerung. Während diverser Bau-Booms der letzten zweieinhalb Jahrzehnte wurden in Sofia an vielen Stellen Neubauten errichtet, ohne dass die dafür notwendige Infrastruktur vorhanden gewesen wäre. Selbst die als Nobelvororte geltenden Bezirke Bojana, Dragalevtsi und Simonovo am Fuße des Vitoscha-Gebirges sind bis heute teilweise ohne Kanalisation und asphaltierte Straßen weitergebaut worden. Zdravkov kündigte an, die von ihm geführte Architektur- und Städtebauverwaltung werde Baugenehmigungen nur noch dann erteilen, wenn die dafür erforderliche Infrastruktur vorhanden sei – unbefestigte Straßen in Wohngebieten soll es nicht mehr geben. Ohne private Beteiligung wird es aber nicht gehen, das gilt auch für die Umgestaltung der historischen Innenstadt. Um den privaten Investments mehr Planungs­sicherheit zu geben, versprach Zdravkov eine Gestaltungssatzung und erklärte, dass in Zukunft im Stadtzentrum keine neuen Turmbauten mehr genehmigt werden würden – alles in allem ein ehrgeiziges Programm. Bleibt die Frage, wie viel davon umgesetzt wird.

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