Die Plangestalt des Ganzen
Skizzen von Rudolf Schwarz
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Die Plangestalt des Ganzen
Skizzen von Rudolf Schwarz
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Fünfzig Jahre hat Maria Schwarz ihren Schatz gehütet: ein Päckchen von 32 Skizzen, die sie nach dem Tod ihres Mannes zusammengesucht hatte, „um sie erst wieder zu zeigen, wenn man spürt, wie wichtig sie sind“. Wolfgang Pehnt war einer der wenigen, der diese Zeichnungen seit langem kannte, obwohl er Rudolf Schwarz persönlich nie begegnet ist.
Wolfgang Pehnt verbindet mit Maria Schwarz nicht nur die Arbeit an der (inzwischen vergriffenen) Monografie „Architekt einer anderen Moderne“ und der gleichnamigen Ausstellung, sondern auch der gemeinsame Protest gegen den Umbau der von Rudolf Schwarz nach dem Krieg neu interpretierten Frankfurter Paulskirche in den achtziger Jahren. Anlässlich des 50. Todestages von Rudolf Schwarz wollte Pehnt seine umfangreichen Schriften und weiter betriebenen Forschungen über den Architekten, Städtebauer und Architekturtheoretiker publizieren und bat Maria Schwarz darum, die von ihr wohlgehüteten Zeichnungen ihres Mannes verwenden zu dürfen. Der Augenblick war sorgfältig gewählt, denn diese 32 schnellen Skizzen – erste Gedanken, denen Schwarz in Bleistift, Kohle oder Tinte, auf Skizzen- oder Zeichenpapier Gestalt gegeben hat – sind trotz ihrer flüchtigen Erscheinung so pointiert, dass sie die Idee jedes Gebäudes anschaulich machen. Pehnt hat „Die Plangestalt des Ganzen – Rudolf Schwarz und seine Zeitgenossen“ nicht als Neuauflage der Monografie von 1997 angelegt, sondern als eine weitergehende Betrachtung von Schwarz’ Herangehens- und Arbeitsweise, belegt mit ausgewählten Beispielen seines Schaffens und seiner Schriften.
Aufgaben
Der erste Teil des Buches porträtiert Schwarz nicht nur als den Kirchenbaumeister und Theoretiker, den viele in ihm sehen, sondern als einen modernen Architekten und Städtebauer. Seinen Exkurs zum Städtebau als Kölner Generalplaner von 1945 bis 1952 begann Schwarz mit einer eineinhalbjährigen Planungsphase und der anschließenden Veröffentlichung der Schrift „Das Neue Köln“. Aus der Geschichte der Stadt, der Tradition seiner Amtsvorgänger Stübben und Schumacher und seinen eigenen Maßgaben und Erfahrungen mit dem Kirchenbau und der Denkmalpflege entwickelte Schwarz einen Plan, der sich heute noch abzeichnet. Mit einem Seitenhieb auf aktuelle Planungen in Köln schreibt Pehnt: „Die Zeit der alles entscheidenden Masterpläne ist vorbei“, und greift auf Schwarz zurück, in dessen Vorstellung es durchaus Raum für Veränderung und Zufall gegeben hat – „der eine oder andere stadträumliche Gedanke“ sollte heute die Basis der Debatte bilden.
Der Bau der Fronleichnamskirche in Aachen 1929/30 während seiner Zeit als Direktor der dortigen Kunstgewerbeschule etablierte Schwarz als einen „radikalen Neuerer“. Eine Kirche in Gestalt eines Nutzbaus war eine Provokation in einer Zeit, in der es kaum formale Überschneidungen im profanen und sakralen Bauen gab. Die reinen Formen der Moderne fanden dennoch ihren Platz im Kirchenbau, wobei Schwarz in den fünfziger Jahren, als die meisten seiner Kirchen entstanden, auch den engen Spielraum, den die Liturgie dem Architekten ließ, immer wieder neu interpretierte. Er wandte sich dagegen, die Kirchengebäude zu „Liturgiemaschinen“ zu machen, um die Autonomie seiner Baukunst zu wahren. Wie eng Raum und Liturgie bei Schwarz und seinen Kritikern miteinander verknüpft sind, zeigt Pehnt an zahlreichen Beispielen, ihrem Schicksal nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 und ihrer Wertschätzung heute, wo immer mehr Innenstadt-Kirchen vom Abriss bedroht sind.
Vorbilder, Freunde und Begleiter
Im zweiten Teil des Buches stellt Pehnt Schwarz in den Kontext seiner Zeit. Schwarz, den Ulrich Conrads einmal als „verehrten unbescheidenen grimmigen arroganten spöttischen gläubigen Meister“ bezeichnet hat, war kein Eigenbrötler, vielmehr suchte er fortwährend den Austausch mit Kollegen. Immer wieder hatte er Kontakt zu seinen Lehrern Hans Poelzig und Dominikus Böhm aufgenommen und führte mit ihnen wie auch mit Karl Band, Josef Bernard und Emil Steffann einen regen, zeitweilig auch kontroversen Diskurs, der zu Parallelen im Werk und sogar zu gemeinsamen Projekten geführt hat. Bis heute zählen das Wallraf-Richartz-Museum (heute MAKK), das Schwarz gemeinsam mit Josef Bernard 1951–58 gebaut hat, und der mit Karl Band realisierte Wiederaufbau des Kölner Gürzenich (1949–55) zu seinen bekanntesten Profanbauten. Interessant ist auch Schwarz’ Beziehung zu dem dreißig Jahre jüngeren Oswald Mathias Ungers – zwei Architekten, die man nicht unbedingt miteinander in Verbindung bringen würde. Pehnt gelingt es, in ihrem ungleichen Werk herauszuarbeiten, wie beide nach dem richtigen Abstraktionsgrad der Bilder und Metaphern im Entwurfsprozess gesucht haben.
Anlässlich der Buchvorstellung im Kölner MAK präsentierte Maria Schwarz persönlich die Zeichnungen ihres Mannes, die für einen Monat in der Bibliothek des Museums zu sehen sind. Dadurch gewährte sie den Anwesenden einen Einblick in das Atelier Schwarz, das sie als einen „Raum der Freiheit des Denkens, ohne Grenzen, ohne Rezepte – bis zum Übermut“ bezeichnete. In schriftlicher Form liegen ihre Erläuterungen nicht vor, doch immer wieder stößt man beim Lesen der Texte von Pehnt auf Stellen, an denen man zu den Zeichnungen am Ende des Buches blättert, die die Idee des Gebäudes so direkt illustrieren, wie kein Foto es vermag.
Nach der Ausstellung und der Veröffentlichung der Monografie 1997 hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit Rudolf Schwarz enorm zugenommen. Inzwischen ist es leider häufig so, dass die Bauten diskutiert werden müssen, um, wie Pehnt es nennt, „Schäden aus Unwissenheit“ – und dazu gehören sowohl eine unsachgemäße Sanierung wie auch der Abbruch – zu verhindern. Ein überzeugendes Beispiel für eine zeitgemäße Umgestaltung lieferte der Ort der Veranstaltung selbst. Von Schwarz und Bernard für die Werke der Kölner Malerschule um Stephan Lochner als ersten größeren Museumsneubau der Nachkriegszeit entworfen, provozierte das Museum mit seinem geschlossenen Außenbau, der Einlass nur durch ein kleines Schlupfloch gewährt. Doch der Innenraum, den Walter von Lom in den achtziger Jahren zum Museum für Angewandte Kunst umgestaltet hat, zeigt noch heute die für Rudolf Schwarz charakteristische inszenierte Sachlichkeit.
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