Frei nach Otto
Am 31. Mai wäre Frei Otto 90 Jahre alt geworden. Sieben Betrachtungen zu seinem Erbe
Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin
Frei nach Otto
Am 31. Mai wäre Frei Otto 90 Jahre alt geworden. Sieben Betrachtungen zu seinem Erbe
Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin
Zelt, Netz, Pneu – das waren nicht unbedingt die Begriffe, die man am Anfang des Studiums mit Architektur verband. Dass sich dahinter mehr als einfache Traglufthallen und Zirkuszelte verbergen musste, begriff man schnell, zumindest als Studentin an der Universität Stuttgart. Eindrucksvoll offenbarte sich dies bei einem Vortrag, den Frei Otto dort vor zehn Jahren hielt. Glücklich waren diejenigen, die sich rechtzeitig einen Sitzplatz im großen Hörsaal gesichert hatten. Denn was folgte, war kein gewöhnlicher Werkvortrag. Mit seiner Tochter Christine Kanstinger stellte Otto eine ganze Sammlung an Projekten vor: Gedachtes, Ge-bautes, Zukünftiges. Dass hier ein Architekt von Weltrang sprach, zeigt sich nicht nur im Präsentierten, den Olympiabauten in München, dem Deutschen Pavillon für die EXPO 67 in Montreal oder der Multihalle in Mannheim, sondern in erster Linie daran, dass kaum jemand den Hörsaal während der vier Stunden verließ.
Nach seinem Tod am 9. März und dem zeitgleichen Bekanntwerden der Auszeichnung mit dem Pritzker-Preis dieses Jahres überschlugen sich die Medien mit Rückschauen (Bauwelt 13.2015). Dicke Monografien, in denen bis ins kleinste Detail Ottos Werk, insbesondere auch die vielen temporären Bauten, archiviert und sein Werdegang nachgezeichnet wurden, sind bereits erschienen. Außerdem kennen wir seine Weggefährten und Schüler, mit denen er im Team große Erfolge erzielte, mit denen zusammen er die avantgardistischen Konstruktionen realisierte. Sie leiteten später große Architektur- und Ingenieurbüros, zum Beispiel Schlaich Bergermann, Happold oder auch SL Rasch. Leichtbaukonstruktionen sind aus der Architektur nicht mehr wegzudenken, und insbesondere die Bauten von Großereignissen, wie den Olympischen Spielen oder den Fußballweltmeisterschaften, lassen Ottos Erbe erkennen. Doch seine Arbeit galt nicht ausschließlich dem Konstruieren. Sein Denken und Schaffen war geprägt von humanistischen und sozialen Grundsätzen und hatte Weitblick, weswegen sein Werk auch im heutigen Architekturdiskurs große Aufmerksamkeit erfährt.
Die Bauwelt hat dies zum Anlass genommen, nach vorne zu schauen: Was ist – abgesehen von den gebauten Ikonen – geblieben? Bekannter noch als sein Atelier in Warmbronn ist wohl Frei Ottos Institutsgebäude auf dem Universitätsgelände in Stuttgart: Das IL – „der erste technoide Thinktank Deutschlands“, wie es Gerhard Matzig in der Süddeutsche Zeitung auf den Punkt gebracht hat – wird heute als ILEK von Werner Sobek weitergeführt. Er zeichnet Frei Ottos Schaffensperioden nach und erinnert an den brachliegenden Schatz für Forschung und Lehre, den es nun zu heben gilt. Einst Praktikant am IL, hat Mick Eekhout in den letzten 45 Jahren immer wieder beobachten müssen, wie Ottos Ideen kopiert wurden, ohne ihn als Urheber zu nennen. Der Architekt Rudolf Finsterwalder bekennt mit einem Buch, worauf seine eigene Arbeit fußt und führte mit Otto Interviews. Markus Holzbach, der das Institut für Materialdesign an der HfG Offenbach leitet, forscht zu neuen Materialien und hat dabei, wie Otto, den Minimalaufwand im Blick. Dass Modelle für Frei Otto immer eine wichtige Rolle gespielt haben, zeigt der Schatz, den Georg Vrachliotis als Leiter des Archivs für Architektur und Ingenieurbau in Empfang genommen hat. Vrachliotis hebt hervor, wie wichtig Experiment und Modell für die Architektur sind. Ein häufig vergessenes Projekt sind Ottos Ökohäuser in Berlin, Vorläufer heutiger Baugruppen- und Partizipationsprojekte. Der Architekturtheoretiker Kim Förster verweist auf ihr Potenzial in einem von Großinvestoren bestimmten Wohnungsmarkt. Achim Menges, der wie Frei Otto sein eigenes Institut an der Universität Stuttgart gründete, sieht in der computerbasierten Formgenerierung eine Weiterentwicklung der Methode des Formfindens für die Architektur.
Alle Beiträge verdeutlichen, dass sich Frei Otto nicht allein einer Disziplin zuordnen lässt. Er war Architekt, Bauingenieur, Naturwissenschaftlicher und Soziologe zugleich. Die ganzheitliche Betrachtung stand für ihn immer im Vordergrund. Er war ein Visionär ohne Angst vor Fehlern, vorm Scheitern, vor Neuem.
Nach seinem Tod am 9. März und dem zeitgleichen Bekanntwerden der Auszeichnung mit dem Pritzker-Preis dieses Jahres überschlugen sich die Medien mit Rückschauen (Bauwelt 13.2015). Dicke Monografien, in denen bis ins kleinste Detail Ottos Werk, insbesondere auch die vielen temporären Bauten, archiviert und sein Werdegang nachgezeichnet wurden, sind bereits erschienen. Außerdem kennen wir seine Weggefährten und Schüler, mit denen er im Team große Erfolge erzielte, mit denen zusammen er die avantgardistischen Konstruktionen realisierte. Sie leiteten später große Architektur- und Ingenieurbüros, zum Beispiel Schlaich Bergermann, Happold oder auch SL Rasch. Leichtbaukonstruktionen sind aus der Architektur nicht mehr wegzudenken, und insbesondere die Bauten von Großereignissen, wie den Olympischen Spielen oder den Fußballweltmeisterschaften, lassen Ottos Erbe erkennen. Doch seine Arbeit galt nicht ausschließlich dem Konstruieren. Sein Denken und Schaffen war geprägt von humanistischen und sozialen Grundsätzen und hatte Weitblick, weswegen sein Werk auch im heutigen Architekturdiskurs große Aufmerksamkeit erfährt.
Die Bauwelt hat dies zum Anlass genommen, nach vorne zu schauen: Was ist – abgesehen von den gebauten Ikonen – geblieben? Bekannter noch als sein Atelier in Warmbronn ist wohl Frei Ottos Institutsgebäude auf dem Universitätsgelände in Stuttgart: Das IL – „der erste technoide Thinktank Deutschlands“, wie es Gerhard Matzig in der Süddeutsche Zeitung auf den Punkt gebracht hat – wird heute als ILEK von Werner Sobek weitergeführt. Er zeichnet Frei Ottos Schaffensperioden nach und erinnert an den brachliegenden Schatz für Forschung und Lehre, den es nun zu heben gilt. Einst Praktikant am IL, hat Mick Eekhout in den letzten 45 Jahren immer wieder beobachten müssen, wie Ottos Ideen kopiert wurden, ohne ihn als Urheber zu nennen. Der Architekt Rudolf Finsterwalder bekennt mit einem Buch, worauf seine eigene Arbeit fußt und führte mit Otto Interviews. Markus Holzbach, der das Institut für Materialdesign an der HfG Offenbach leitet, forscht zu neuen Materialien und hat dabei, wie Otto, den Minimalaufwand im Blick. Dass Modelle für Frei Otto immer eine wichtige Rolle gespielt haben, zeigt der Schatz, den Georg Vrachliotis als Leiter des Archivs für Architektur und Ingenieurbau in Empfang genommen hat. Vrachliotis hebt hervor, wie wichtig Experiment und Modell für die Architektur sind. Ein häufig vergessenes Projekt sind Ottos Ökohäuser in Berlin, Vorläufer heutiger Baugruppen- und Partizipationsprojekte. Der Architekturtheoretiker Kim Förster verweist auf ihr Potenzial in einem von Großinvestoren bestimmten Wohnungsmarkt. Achim Menges, der wie Frei Otto sein eigenes Institut an der Universität Stuttgart gründete, sieht in der computerbasierten Formgenerierung eine Weiterentwicklung der Methode des Formfindens für die Architektur.
Alle Beiträge verdeutlichen, dass sich Frei Otto nicht allein einer Disziplin zuordnen lässt. Er war Architekt, Bauingenieur, Naturwissenschaftlicher und Soziologe zugleich. Die ganzheitliche Betrachtung stand für ihn immer im Vordergrund. Er war ein Visionär ohne Angst vor Fehlern, vorm Scheitern, vor Neuem.
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