Bauwelt

Hurra, wir sind resilient! Oder etwa nicht?

Weitermachen wie bisher ist keine Option, um sich gegen Klima- und Umweltrisi­ken zu schützen. Statt Strategien für eine schnelle Bewältigung nach Naturkatas­trophen zu entwickeln, sollte bei der Planung vorausgedacht werden.

Text: Kammerbauer, Mark, München

Hurra, wir sind resilient! Oder etwa nicht?

Weitermachen wie bisher ist keine Option, um sich gegen Klima- und Umweltrisi­ken zu schützen. Statt Strategien für eine schnelle Bewältigung nach Naturkatas­trophen zu entwickeln, sollte bei der Planung vorausgedacht werden.

Text: Kammerbauer, Mark, München

Starkregen führte letztes Jahr in Berlin zur Überflutung von ganzen Straßenzügen. Die Berliner reagierten mit der ihnen eigenen Gelassenheit und schwammen ein paar Runden. Daraus könnte man schlussfolgern, dass es kontextspezifische Formen der Klima- und Risikoanpassung an Hochwasser- und Starkregenereignisse gäbe. Die bisherige planerische Devise der modernen Stadt vor Katrina (2005) oder vor Tohoku (2011) lässt sich mit „versiegeln, verrohren, wegpumpen“ umschreiben. Im Fall von Hurricane Harvey (2017) führten massive Flächenversiegelung und mangelhafte Schutzmaßnahmen dazu, dass Hochwasser in Houston nicht schnell genug abfloss. Tausende Wohnhäuser wurden beschädigt, die Bewohner mussten in Booten oder per Hubschrauber evakuiert werden.
In Deutschland wurde jüngst ein Papier zur Planung gegen Starkregen­ereignisse veröffentlicht, dessen Anlass die Sturzflut von 2016 in Simbach in Bayern war. Das Infoblatt über „Integrale Konzepte zum kommunalen Sturzflut-Risikomanagement“ bleibt recht vage, wenn es um die Grundursachen von Risiken geht oder darum, was eigentlich die Architektur zur Bewältigung dieser Situationen beitragen kann. Hinsichtlich der Rechtslage gibt es keinen Zweifel: Jeder Bürger könnte theoretisch eine Elementarversicherung erwerben und nach dem Schadensfall mit Ver­sicherungsgeldern Wiederaufbau betreiben. Ob man sich diese leisten kann, steht auf einem anderen Blatt. Nicht jeder kann sich gleicherma­-ßen auf Katastrophen vorbereiten, und Risiken können am selben Ort unterschiedliche Folgen für Betroffene haben.
Urbane Resilienzstrategien sollen daher Abhilfe schaffen. Sie rücken von der Vorstellung ab, Raum möglichst effizient zu nutzen. Stattdessen werden Toleranzen eingebaut, Puffer gebildet, die zeitgleich zu räumlich-qualitativem Mehrwert führen sollen. In Chicago hat man seit 2006 einhundert “Green Alleys” eingerichtet, deren wasserdurchlässige Versiegelung als Filter für Niederschlags- und Hochwasser wirkt. In Kopenhagens Stadtteil Østerbro leisten kommunale Projekte wie der Tåsinge Plads einen Beitrag gegen steigende Niederschläge und Meeresspiegel. Gestalteter Freiraum wird zur Retentionsfläche; Regenwasser wird in unterirdische Tanks geführt. In Hamburg sollen Deiche nicht nur erhöht, sondern zudem versetzt werden, um die Überschwemmungsebene zu vergrößern und so Schäden durch Elbfluten zu vermeiden.
Resilienz ist auch ein zentrales Thema des „Sendai Framework for Disaster Risk Reduction“, dem Leitfaden der UN-Mitgliedsstaaten für Katas­trophenrisiken und deren Minderung. Darin werden die Herausforderungenund Ziele für ein effektives Risikomanagement benannt. Ein wesentliches Problem ist es, dass die Möglichkeit, einer Gefährdung ausgesetzt zu sein, momentan schneller zunimmt, als die Verwundbarkeit abnimmt. Zu den Ursachen der Verwundbarkeit zählen Armut, Ungleichheit, demographischer Wandel, institutionelle Rahmenbedingungen und, nicht zuletzt, risikoreiche Urbanisierungsprozesse. Die Planung für den Wiederaufbau nach Katastrophen bietet eine Chance, auf solche Umstände ein­zugehen. Insbesondere das Konzept „Building Back Better“ dient der Optimierung bestehender baulicher Strukturen vor Ort und trägt dazu bei, Risiken zu verringern und Resilienz zu stärken.
Besser noch, man betreibt Vorsorge. Es gibt generell zwei Optionen: Absiedeln oder Anpassen! Dry Proofing und Wet Proofing stellen zwei Ansätze im Umgang mit Hochwasser dar. Dry Proofing bezieht sich auf ein bestimmtes Schutzziel, etwa die Höhe des Hochwassers, und soll ein Objekt trocken halten, wenn dieses eintritt. Das entspricht der bisherigen Art und Weise im Umgang mit der Natur. Sie wird „ausgesperrt“. Ein Beispiel ist das Whitney Museum in New York von Renzo Piano. Wasserdichte Außenwände mit Flutschutztoren sowie ein Dammbalkensystem im Eingangs­bereich dienen dazu, die Kunstschätze vor Hochwasser zu bewahren. Technische Schutzmaßnahmen können jedoch versagen, und durch den Klimawandel ist zu befürchten, dass Belastungsgrenzen überschritten werden.
Anders Wet Proofing; hier wird ein Haus baulich so gestaltet, dass Hochwasser „hindurchfließen“ kann. Dabei gilt es, wichtige Nutzungen in die Obergeschosse zu verlegen und entsprechende Bauweise und Materialien zu wählen, die eine Reinigung und Reparatur nach der Havarie erleichtern. Dieser Ansatz entspricht der Idee, mit der Natur zu leben und nicht gegen sie. Beispiele hierfür sind die Wohnhäuser von James Davidson in Austra­lien oder das Stadthaus in Passau des Architekten Bernd Vordermeier, wie übrigens auch viele historische Bauten der Stadt an der Donau, bevor die Uferlagen für touristische Nutzungen attraktiv wurden.
Umweltkatastrophen reflektieren die räumlichen und sozialen Dimensionendes Alltagslebens der Betroffenen. Ausgehend von den Ursachen der Risiken, der Verwundbarkeit der Betroffenen und der siedlungsräumlichen Konstellation kann ermittelt werden, welche planerischen und baulichen Maßnahmen angemessen sind. Wenn man den Blick darauf lenkt, wie sich Haushalte in risikoreichen Orten ausbilden, gibt es sehr wohl eine Disziplin, die sich mit diesem Sachverhalt qualifiziert befassen, ihn analytisch darstellen und hierfür resiliente Strategien entwickeln kann: die Architektur.

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