Die Quadratur im Viertelkreis
Die Kunsthalle Karlsruhe in unmittelbarer Nähe zum Schloss und zum Bundesverfassungsgericht wird saniert und erweitert. Von besonderer Bedeutung ist die Gestaltung des Innenhofs.
Text: Franke, Rainer
Die Quadratur im Viertelkreis
Die Kunsthalle Karlsruhe in unmittelbarer Nähe zum Schloss und zum Bundesverfassungsgericht wird saniert und erweitert. Von besonderer Bedeutung ist die Gestaltung des Innenhofs.
Text: Franke, Rainer
Le Corbusier mochte es nicht, als er auf seinen Reisen im April 1910 durch Karlsruhe kam. Das Verdikt fiel 1923 in „Vers une Architecture“ immer noch vernichtend aus. Der Strahlengrundriss ein „Blendwerk“, den „jämmerlichsten Zusammenbruch einer künstlerischen Absicht“ verkörpernd, ein kleiner Provinzfürst, der das große Versailles nachahmt. Gleichwohl, die Bauten von Fiedrich Weinbrenner schaute er sich an, ob er aber auch an den Westrand des Schlossplatzes gelangte? Hier hätte er seinen Spaziergang immerhin mit einem lokalen Arkadien beginnen können, mit einem Ort, den man auch heute noch jedem Besucher nur ans Herz legen kann: Der Botanische Garten, eingefasst von den Bauten Heinrich Hübschs (1795-1863), des badischen Baumeisters der Romantik.
1837 begann Hübsch sein Ensemble, vom Großherzog zunächst beauftragt mit einem Museum für seine Kunstsammlung. Dem Haus des Gartendirektors folgten bis 1856 das große Orangeriegebäude, Gewächshäuser mit Torbogen und Arkadengängen sowie das neue Hoftheater, nachdem der Vorgängerbau Weinbrenners abgebrannt war. An dessen Stelle steht heute allerdings das Bundesverfassungsgericht, die bekannte Pavillonanlage Paul Baumgartens, vor kurzem sorgfältig renoviert.
Acht Jahrhunderte umfassen die Sammlungen der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, und über 150 Jahre ihre Bauphasen. Vier Flügel und vier Architekten. Im Mai 1846 wurde der Hübsch-Flügel eröffnet. Ein Gesamtkunstwerk im Geiste der Nazarener. „Salve musis amice“, sei gegrüßt, Freund der Musen, steht heute noch an der bronzenen Eingangstür. Hübschs Vorbild war die italienische Frührenaissance. Die Fassade gliederte er durch flache Lisenen und palladianische Fenster, das Obergeschoss blieb unverputzt.
1838, kurz nach Baubeginn, entwickelte Hübsch bereits einen Idealplan und ergänzte sein Kunstmuseum zu einer Vierflügelanlage, 1852 aktualisierte er diesen Plan noch einmal. Sein Vermächtnis konnte aber erst von nachfolgenden Baudirektoren fortgeführt werden. 1894 begann Joseph Durm den Südostflügel entlang der Waldstraße, und 1909 vollendete Heinrich Amersbach den Nordostflügel zum Schloss hin. Durm setzte die Fassadenelemente unmittelbar fort, fügte stirnseitig allerdings preußischen Neobarock hinzu. Selbst Amersbach folgte noch Hübsch, seine zweigeschossige Fassade stand jedoch vor einem dreigeschossigen Inneren. Danach dauerte es dann noch einmal rund 80 Jahre, bis der vierte Flügel vollendet werden konnte, Resultat eines Wettbewerbs. Der Preisträger Heinz Mohl, damals in der Stadt baulich sehr erfolgreich, nahm zwar das Stützenraster von Hübsch auf, entkernte den Amersbach-Flügel und schuf damit zum ersten Mal einen Rundgang. Sein aus der Flucht springender neuer Baukörper wirkt von außen jedoch ein wenig wie ein Güterwaggon, der nicht mehr recht in den Bahnhof hineinpasst. Ein Werk der Karlsruher Schule in Zeiten der Postmoderne, die dem Konstruktiven im Zweifel den Vorzug gab vor einem sensibleren Eingehen auf den historischen Bestand, was sich besonders am Anschluss zum Hübsch-Bau zeigte. Der Innenhof wurde unterkellert und angehoben (Bauwelt 42-43.1990).
Die alten niederländischen, französischen und deutschen Meister findet man in der Kunsthalle selbst, ebenso das Kupferstichkabinett mit seinen 90.000 Blättern. Die „Junge Kunsthalle“ ist im Haus des Gartendirektors untergebracht, die große Sammlung der Moderne im Orangeriegebäude. Fußläufig nicht weit, aber eben nicht direkt verbunden. Raum für größere Wechselausstellungen fehlt, vieles ist ausgelagert. Nicht einmal 20 Prozent der Galeriefläche sind klimatisiert, im Sommer kämpft man mit Überhitzung, der Brandschutz ist ältlich. Alles in allem eine beengte, unbefriedigende Situation, insbesondere wenn man es mit dem Pendant in Stuttgart vergleicht, was im Ländle immer eine Rolle spielt.
Ein erster Anlauf der neuen Direktorin führt 2013 zu einem VOF-Verfahren. Fünf Büros werden zum Nachdenken aufgefordert, und dieses endet mehrfach mit einem Abriss der Bauteile von Mohl. Die Ergebnisse werden nie veröffentlicht, gleichwohl erhebt sich vielerorts Protest. Ganz besonders echauffiert sich Hans Kollhoff, Heinz Mohl hatte ihm wohl die Pläne zugänglich gemacht. Das Verfahren wird letztlich abgebrochen, die Entwürfe nicht weiterverfolgt.
Ein neuer Anlauf wird möglich, als sich die Blicke auf das östlich benachbarte Amtsgericht richten. Von der Kunsthalle durch eine vielbefahrene Straße getrennt, ist dieser letzte Block im Viertelkreis der Zirkelbebauung ein spätes Zeugnis der Wiederaufbaujahre. Klassisch unentschieden zwischen der Einpassung in die Blockstruktur und dem zeitgenössischen Streben nach Solitären. Kein Komplex jedenfalls, der eine Nutzung als Museum nahelegt. Auch die Justizverwaltung ist wenig erfreut, denn das Gericht bräuchte dann ja einen neuen Standort.
Dennoch scheint diese Idee die einzige Möglichkeit, um die Situation grundlegend zu verbessern. Im Sommer 2017 wird deshalb ein neuer Kunsthallen-Wettbewerb ausgeschrieben, aufgeteilt in einen Realisierungsbereich, die Kunsthalle, und einen Ideenteil, das Amtsgericht. Für die Vierflügelanlage der Kunsthalle wird das Korsett fest geschnürt: Sanierung und Neuordnung im Bestand. Ein deutlicher Hinweis, dass sich die Urheberrechtsproblematik nur durch Abriss umgehen ließe, entzieht den Mohl-Flügel der Gefahr. Stattdessen wird der Innenhof als neue Mitte nahegelegt und eine unterirdische Verbindung zum Amtsgericht vorgegeben. Dort sollen langfristig der Sonderausstellungsbereich, die Sammlung der Moderne sowie Vortragssaal, Büros, Depots und Gastronomie Platz finden. Die Orangerie soll aufgegeben werden.
Zwanzig Büros haben am Wettbewerb teilgenommen, darunter vier der bereits am VOF-Verfahren beteiligten. Das Resultat ist ein eindeutiger erster Preis, den Volker Staab mit seinem Entwurf errang. Er variiert das Prinzip, ein Haus ins Haus zu stellen, in beiden Gebäudekomplexen. Vom Amtsgericht bleiben im Ideenteil nur zwei Flügel für interne Nutzungen stehen. Die beiden anderen, dem Kunsthalleneingang zugewandten, werden zum Fassadenskelett zurückgebaut, über das sich in zweiter Ebene ein neuer Baukörper für die Sonderaustellungen und die Moderne erhebt. Eine kräftige Geste, aber zugleich eine schlüssige Variante des originalen Dachgeschosses, das ebenfalls zurückspringt.
Im Innenhof der Kunsthalle sieht das Haus im Haus hingegen vollkommen anders aus. Es besteht nur aus einem Sockel und einem Baldachin. Der Sockel aus Weißbeton hat zwei Ebenen. Eine umlaufende Galerie, auf die man ebenerdig vom Eingang geführt wird, und ein abgesenktes Atrium. Die neue Hofebene erreicht man über eine große Freitreppe, die die linke Stirnseite einnimmt. Ganz selbstverständlich sind ringsherum unter der Galerie die Serviceräume angeordnet, auf dem Weg zur Kasse blickt man schon in Richtung der unterirdischen Verbindung zum Erweiterungsbau. Überraschend wie die Hofabsenkung ist auch die Dachlösung. Vier Rundsäulen bilden mit der Decke einen Lichttisch, gestreutes Tageslicht soll hier von Kunstlicht unterstützt werden. Die genaue Transparenz verraten die Pläne noch nicht. Ein senkrecht aufgesetztes Lichtband lässt jedoch zumindest verdeckt Tageslicht auf die umlaufenden Fassaden fallen und inszeniert sie dadurch, zusammen mit dem neuen Sockel. Die Galerie von unten wiederholt sich also oben noch einmal, mit dieser höheren Ebene lassen sich wohl auch alle Dachanschlüsse zu den Altflügeln unauffällig lösen.
Was mit der neuen Erschließung über den abgesenkten Innenhof in Kauf genommen werden muss, ist die schnelle Durchquerung des prächtigen Treppenhauses von Hübsch. Erst auf dem Rückweg von der Kasse zum Rundgang kann man es genießen. Oder auf dem Weg zum Ausgang, wenn man sich die Museumsräume über das Untergeschoss des Amersbach-Flügels erschließt, das zunächst als Sonderausstellungsfläche dient. Aber nun ja, die jetzige Kasse im Treppenhaus würde so oder so ein Opfer des Brandschutzes. Und eigentlich sind solche Petitessen unerheblich angesichts der klaren Entwurfssprache, mit der die Gegenwart zum zweiten in das Karree der Kunsthalle einzieht. Nicht unproblematisch für Veranstaltungen könnte allerdings das Hofgefälle sein, denn das neue Atrium fällt mit drei Prozent in Richtung Erweiterungsbau, und der Denkmalschutz ist noch wenig begeistert von den beiden Aufzügen im Hübsch-Flügel. Den Mohl-Bau hingegen lässt Staab weitgehend unverändert, bis auf das gläserne Treppenhaus, das etwas zugemauert wird.
Auer Weber Architekten als zweite Preisträger heben das Innenhofniveau auf die Ebene des Erdgeschosses und ermöglichen so wie im Obergeschoss einen kompletten, flexiblen Rundgang. Die Jury lobte den insgesamt respektvollen Umgang mit der Bausubstanz. Ein dünnes Stahlgitter mit Folienkissen überdacht den Hof, eine breite Treppe führt über eine Zwischenebene in eine Folge von unterirdischen Ausstellungsräumen bis hin zum Erweiterungsbau. Ihre Höhe erfordert allerdings einen tiefen Eingriff ins Grundwasser, und manche Wegeführung ist etwas gangartig geraten. Für Depots wird ein nordöstlicher Unterbau vor dem Amersbach-Flügel vorgeschlagen. An Nutzfläche für die Kunsthalle wird so ein Optimum erreicht, im Gegensatz zum Staab-Entwurf. Dieser wiederum muss aufgrund seines offenen Atriums konsequent auf ein geringeres Raumprogramm in der Vierflügelanlage setzen. Alles andere wird weggelassen oder muss zunächst ausgelagert werden, also auch die jetzigen Depots. Das wird vielleicht den Druck erhöhen, den Ideenteil in Angriff zu nehmen. Kein ungeschickter Schachzug, denn zu Kosten und Terminen war noch wenig Konkretes zu hören. Wenn man aber den Siegerentwurf umsetzen und für die Kunsthalle etwas erreichen will, dann muss absehbar auch der zweite Schritt folgen. So leid es der Justiz tut.
Nichtoffener einphasiger Planungswettbewerb mit Ideenteil
1. Preis (145.000 Euro) Staab Architekten, Berlin
2. Preis (91.000 Euro) Auer Weber Architekten, Stuttgart
Anerkennung (31.500 Euro) Nieto Sobejano Arquitectos, Berlin
Anerkennung (31.500 Euro) Kuehn Malvezzi, Berlin
Anerkennung (31.500 Euro) haascookzemmerich Studio 2050, Stuttgart
Anerkennung (31.500 Euro) Gerber Architekten, Dortmund
1. Preis (145.000 Euro) Staab Architekten, Berlin
2. Preis (91.000 Euro) Auer Weber Architekten, Stuttgart
Anerkennung (31.500 Euro) Nieto Sobejano Arquitectos, Berlin
Anerkennung (31.500 Euro) Kuehn Malvezzi, Berlin
Anerkennung (31.500 Euro) haascookzemmerich Studio 2050, Stuttgart
Anerkennung (31.500 Euro) Gerber Architekten, Dortmund
Jury
Matthias Sauerbruch (Vorsitz), Christoph Frank, Andras Pálffy, Wolfgang Lorch, Michael Schumacher, Marc Frohn, Annette Ipach-Öhmann, Kalinka Becht
Matthias Sauerbruch (Vorsitz), Christoph Frank, Andras Pálffy, Wolfgang Lorch, Michael Schumacher, Marc Frohn, Annette Ipach-Öhmann, Kalinka Becht
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