Mahnmal der Planungskultur
Donau City Tower 1
Text: Seiß, Reinhard, Wien
Mahnmal der Planungskultur
Donau City Tower 1
Text: Seiß, Reinhard, Wien
Österreichs höchstes Gebäude, der DC 1 Tower von Dominique Perrault in der Wiener Donau City, offenbart die Oberflächlichkeit und Willkür der Architektur- und Planungsszene – und zeigt, dass weder Politik noch Immobilienwirtschaft Willens sind, Stadt zu bauen
Wenn der wenig architekturaffine Langzeitbürgermeister Michael Häupl von einem Vorzeigeprojekt und einem Meilenstein des modernen Wien spricht, muss es schon ein ganz besonderes Gebäude sein, das da jüngst eröffnet wurde. Von seinen Dimensionen her ist es das auch: Mit 250 Metern überflügelt der DC Tower 1, der größere der beiden von Dominique Perrault als Zwillingspaar für die Wiener Donau City entworfenen Türme, alle anderen Bauten des seit Mitte der neunziger Jahre als urbanistisches Prestigeprojekt entwickelten Hochhaus-Clusters um das Eineinhalbfache.
Was dem Betrachter als völlig disproportional erscheinen mag, entspricht durchaus dem aktuellen Masterplan für das 17 Hektar große Areal, der ebenfalls von Perrault stammt und – ein Jahrzehnt nach Beginn der Bebauung – auch eine städtebauliche Rechtfertigung für den Wildwuchs der ersten Entwicklungsphase nachreichen soll. Der Pariser Stararchitekt sieht darin unter anderem zwei Bürohochhäuser mit 200 und 160 Metern vor, verbunden durch einen gemeinsamen Sockelbau mit Shopping Mall und Restaurants. Bis 2007 legte der gültige Bebauungsplan hier Höhen von maximal 120 Metern fest, doch war die Preisgabe städtebaulicher Zielvorstellungen gegenüber immobilienwirtschaftlichen Begehrlichkeiten in den letzten zwei Jahrzehnten geradezu Programm in der Donaumetropole. So enthält Perraults Masterplan wenig, was nicht schon vorher vom privaten Generalentwickler WED beabsichtigt war – weshalb wohl nicht so sehr die städtebauliche Expertise als der prominente Name des Planverfassers zwecks Vermarktung der noch entstehenden Immobilien im Vordergrund gestanden haben dürfte. Die Erläuterungen des Pariser Architekten muten dementsprechend lyrisch an: „Diese starke und dennoch offene Silhouette wird zu einer kinetischen Landmark“, so Perrault etwa über die Höhenentwicklung.Mangels eigener Vorstellungen zur Zukunft von Wiens „zweiter City“ erfüllte die Planungspolitik die Wünsche des – mit der Rathaus-SPÖ ebenso gut wie mit Österreichs größter Bank vernetzten – Projektentwicklers und genehmigte die beiden Wolkenkratzer mit 160 und 200 Metern Höhe. Nachdem die stagnierenden Mietpreise am chronisch übersättigten Wiener Büromarkt den Baubeginn aber um Jahre verzögerten, warf die Politik einen weiteren immobilienwirtschaftlichen Rettungsanker: Wenn die Renditeerwartungen pro Quadratmeter sinken, werden die Projekte in Wien einfach höher, um wieder auf denselben Gewinn zu kommen. Während es der DC Tower1 inklusive der Dachaufbauten nun auf stolze 250 Meter bringt, wurde die Realisierung seines kleineren Zwillings mangels Nachfrage auf unbestimmte Zeit verschoben. Und angeblich hat der Projektentwickler auch den größeren Turm nur deshalb gebaut, weil mit der internationalen Hotelkette Meliá vor Jahren schon die fristgerechte Übergabe von 15 der insgesamt 60 Geschosse vertraglich vereinbart worden war. Von den 44.000 Quadratmetern Bürofläche im DC1 steht freilich rund die Hälfte leer – und es scheint unklar, womit sie in absehbarer Zeit gefüllt werden soll. Nichts geworden ist auch aus dem versprochenen Einkaufszentrum in der Sockelzone des Turms und damit aus einer besseren Nahversorgung des Hochhausviertels mit seinen 3500 Bewohnern und 5000 Beschäftigten. Stattdessen hat ein Fitnesscenter hier Einzug gehalten.
Architektonisch funktioniere sein Entwurf – ursprünglich als Stadttor für die Donau City gedacht – auch ohne den zweiten Turm, versichert Perrault. Wobei er sich nicht festlegen möchte, was genau seine auf drei Seiten recht banale, auf einer Seite geradezu expressionistisch verformte Glasfassade ausdrücken soll. Während er bei einer Begehung mit Journalisten über einen „gläsernen Monolithen, der wie ein geometrischer Wasserfall neben der Donau steht“ fabulierte und dabei betonte, wie wichtig ihm diese Wassermetapher sei, gab er in einem Fernsehinterview bekannt, dass ihn nicht der Fluss, sondern viel mehr die archaischen Skulpturen auf den Osterinseln inspiriert hätten. Leider reichen in Wien ein halbwegs prominenter Baukünstler und ein paar modische Worthülsen, um in Politik und Planungsverwaltung, aber auch in der Architekturszene und den meisten Fachmedien helle Begeisterung oder zumindest kritiklose Akzeptanz für mittelmäßige bis belanglose Projekte zu erzeugen. Ginge es in Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern nicht um vermeintliche Weber, sondern um Baumeister – es müsste an der Donau spielen. Denn auch das Schwadronieren Perraults über den Freiraum und die Urbanität im Umfeld des Projekts erweist sich als substanzlos. Der ursprüngliche Masterplan für die Donau City von 1991 sah für den gesamten Stadtteil einen verkehrsfreien öffentlichen Raum vor – zehn Meter über dem gewachsenen, einst kontaminierten Boden. Beim DC 1 unterlief der Generalentwickler dieses Konzept nun aber und senkte einen weiten Teil des Vorbereichs – gleich einem Burggraben – um einige Meter ab. Damit ist es automobilen Besuchern möglich, aus dem unterirdischen Straßennetz aufzutauchen und unter freiem Himmel vor Perraults Glasturm vorzufahren, anstatt den Turm – wie in der Donau City üblich – über die Tiefgarage zu betreten. Der Freiraum wurde so einer städtischen Nutzung entzogen und einer anachronistischen Autogerechtigkeit geopfert.
Betont wird seitens der WED auch, dass der DC1 den Energie- und Nachhaltigkeitserfordernissen für ein „Green Building“ entspreche. Doch wird die Baustoff- und Energietechnik von heute in zehn Jahren wieder veraltet sein. Nachhaltiger Städtebau wiederum bedeutet, Gebäude, Quartiere, ja ganze Stadtteile so kleinteilig und differenziert zu entwickeln, dass Wohnen und Arbeiten, Handel und Gastronomie, Bildung und Soziales, Freizeit und Kultur möglichst stark ineinandergreifen. Die ganze Donau City aber zerfällt in ein Wohn- und ein Büroquartier, ein Nebeneinander weitgehend monofunktionaler Großbauten. Die nun eröffnete monumentale „Landmark“ ist ein weithin sichtbares Zeichen dafür.
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