Bauwelt

Der unbekannte Moderne

Die Sternkirche. Ja klar. Das Notkirchenprogramm. Sicher. Leiter der Interbau. Ach ja. Was fällt Ihnen sonst zu Otto Bartning ein? Hhhhm. Eine große Retrospektive gibt endlich einen Überblick über sein ganzes Werk

Text: Hamm, Oliver G., Berlin

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    Johanneskirche, Wuppertal-Elberfeld, 1948/49
    Fotos: Carl Schäfer © Archiv Ev. Kirchenkreis Wuppertal

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    Johanneskirche, Wuppertal-Elberfeld, 1948/49

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    Berlin-Siemensstadt, Wohnzeile, Nordfassade, 1930
    Foto: Arthur Köster © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

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    Berlin-Siemensstadt, Wohnzeile, Nordfassade, 1930

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    Otto Bartning um 1930
    Foto: © Otto-Bartning-Archiv TU Darmstadt

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    Otto Bartning um 1930

    Foto: © Otto-Bartning-Archiv TU Darmstadt

Der unbekannte Moderne

Die Sternkirche. Ja klar. Das Notkirchenprogramm. Sicher. Leiter der Interbau. Ach ja. Was fällt Ihnen sonst zu Otto Bartning ein? Hhhhm. Eine große Retrospektive gibt endlich einen Überblick über sein ganzes Werk

Text: Hamm, Oliver G., Berlin

Er war ein Meister des Sakralbaus und der Architekt der sogenannten Notkirchen, die nach den materiellen und seelischen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs vielen Tausenden Raum für ein neues, geläutertes Gemeinschaftserleben boten. Doch darüber hinaus ist in den Architekturgeschichtsbüchern nicht viel über ihn zu finden, obwohl er fast ein halbes Jahrhundert lang einer der einflussreichsten deutschen Architekten war. Otto Bartning (1883–1959) ist – noch – der große Unbekannte unter den Architekten der Moderne. Nun ist sein Werk erstmals umfassend in einer Ausstellung der Akademie der Künste in Berlin zu sehen, anschließend auch in Karlsruhe und in Darmstadt.
Die letzten acht Jahre seines Lebens verbrachte Bartning in Darmstadt, als Architekt, Preisrichter, Berater, Moderator und Multifunktionär. Seinen privaten Nachlass stellte er der Technischen Hochschule (heute: Technische Universität) Darmstadt zur Verfügung. Ein Teil davon wurde erstmals 1983 veröffentlicht. Doch es sollte noch einmal rund ein Vierteljahrhundert vergehen, ehe der gesamte Archivbestand systematisch erfasst und aufbereitet werden konnte. Mit der – von der Wüstenrot Stiftung geförderten – aktuellen Ausstellung und der noch in diesem Jahr erscheinenden Habilitationsschrift zum Leben und Werk von Otto Bartning schließt Kuratorin Sandra Wagner-Conzelmann, mit der Unterstützung von Werner Durth und Wolfgang Pehnt als Co-Autoren des Katalogs, nun eine große Lücke der Architekturgeschichte.
Otto Bartning war ein in vielerlei Hinsicht und selbstverständlich international vernetzter Architekt. In einer Zeit,
in der noch bedeutende Architekten wichtige Ämter bekleideten und sich auch jenseits der Fachkreise Gehör zu verschaffen verstanden, wirkte er u.a. im Deutschen Werkbund (ab 1908) und im Arbeitsrat für Kunst (ab 1918) mit. Er war 1924 Mitbegründer der Architektenvereinigung Zehnerring (ab 1926: Der Ring), ab 1950 Präsident des Bundes Deutscher Architekten und ab 1953 gesamtdeutscher Vertreter in der Union International des Archi­tectes (UIA). Mit seinem Konzept einer radikalen Reform der Ausbildung von Architekten und Künstlern hatte Bartning maßgeblichen Einfluss auf das von Walter Gropius ausgearbeitete Lehrprogramm am Bauhaus. Folgerichtig überantwortete man ihm, nach dem Umzug des Bauhauses nach Dessau, 1926 die Einrichtung einer Bauhochschule in Weimar. 1951 folgte er einem Ruf nach Darmstadt, wo er noch im gleichen Jahr das zweite Darmstädter Gespräch zum Thema „Mensch und Raum“ organisierte und moderierte, das entscheidenden Einfluss auf die Neujustierung des Selbstverständnisses der Architekten haben sollte. Schließlich wurde Bartning die Leitung der Interbau 1957 in Berlin übertragen, der ersten internationalen Bauausstellung nach Darmstadt (1901) und Stuttgart (1927).
Bereits ab 1905 hatte der aus Karlsruhe stammende Architekt, der nie sein Studium beendete, mit 17 Kirchen und Gemeindehäusern für die im Zuge der katholischen Los-von-Rom-Bewegung zum protestantischen Glauben konvertierten Christen (überwiegend in Österreich), aber auch mit einigen Villen und Landhäusern ein beeindruckendes Frühwerk geschaffen. Vom Militärdienst im Ersten Weltkrieg befreit, arbeitete er bis 1919 an seinem Buch „Zum neuen Kirchbau“, das die Grundlage für experimentelle Sakralbauentwürfe bildete, darunter die Sternkirche (1922), ein nicht realisiertes Meisterwerk expressionis­tischer Architektur. Mit zahlreichen Bleistift-, Kohle- und Tuschezeichnungen sowie Modellfotos (von Otto Hartmann) steht sie im Mittelpunkt der Berliner Ausstellung. Seine Reformideen im protestantischen Sakralbau mit einer auf das liturgische Zentrum ausgerichteten Raumorgani-sa­tion konnte Bartning mit der Stahlkirche in Köln (1928), der Auferstehungskirche in Essen (1930) und der Gustav-Adolf-Kirche in Berlin (1934) gleich in drei bedeutenden und jeweils sehr speziellen Baukörpern realisieren.
In der Weimarer Republik entwarf Bartning Kliniken und Siedlungsbauten in Berlin (etwa in Siemensstadt, 1930, und in Haselhorst, 1933) sowie das Musikheim in Frankfurt/Oder (1929). Die Zeit des Nationalsozialismus überstand er mit Aufträgen für die Evangelische Kirche (bis 1939) und für das Kirchliche Außenamt, für das er bis 1944 fünf Kirchen im Ausland baute. Mit dem Notkirchenprogramm (1946–53) für alle vier Besatzungszonen, aus dem über hundert Kirchen, Gemeindezentren und Diasporakapellen hervorgingen, schuf er Prototypen von Montagebauten aus seriell herstellbaren Holzkonstruktionen, die unter Mithilfe der Gemeindemitglieder errichtet werden konnten – und auf diese Weise das Gemeinschaftserleben stärkten. An dieser Stelle der materialreichen, konventionell dargebotenen Ausstellung blitzt sie einmal auf, die im Untertitel formulierte „soziale Moderne“: „sozial im Sinne einer christlichen Solidargemeinschaft“ (Durth).
Fakten
Architekten Bartning, Otto (1883–1959)
aus Bauwelt 9.2017
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Bilder Otto Bartning (1883-1959)

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