Bauwelt

Jugendherberge


Her mit dem schönen Leben


Text: Meyer, Friederike, Berlin


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    Foto: Torsten Seidel

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Am Strand von Prora stehen Reste der Kaianlage. „Her mit dem schönen Leben“ hat jemand mit weißer Farbe auf die roten Backsteine geschrieben. Die als KDF-Bad geplante und Jahrzehnte militärisch genutzte Anlage ist der Forderung des russischen Revolutionsdichters Wladimir Majakowski ein Stück näher gekommen. Seit Juli warten in Block V nicht weniger als 400 Jugendherbergsbetten auf Übernachtungsgäste.
Bis Ende August ist alles ausgebucht, hatte die Rezeption am Telefon gesagt, nur auf dem Zeltplatz wäre noch ein Plätzchen frei. Wie fahren mit geringen Erwartungen zur frisch eröffneten Jugendherberge in Prora. Zu oft sind in den vergangenen 20 Jahren Pläne geplatzt, eine angemessene Nutzung für die fast vier Kilometer lange Anlage zu finden. Von der Hoffnung auf eine Sanierung mit architektonischem Anspruch ganz zu schweigen. In Workshops und Symposien haben Planer und Historiker seit 1992 immer wieder über die Zukunft Proras nachgedacht und die Anerkennung dieses „Baudenkmals von nationalem Rang“ gefordert. Doch mussten sie erfahren, dass die Politiker andere Prioritäten setzen. Die seit 1994 denkmalgeschützte Anlage, die nach Teilabriss und Sprengversuchen noch aus fünf Blöcken und einer Ruine besteht, ging 1992 ins Eigentum des Bundes über. Erst hat dieser jahrelang versucht, sie als Ganzes loszuwerden – ohne Erfolg. Das Land Mecklenburg-Vorpommern wollte Prora nicht mal geschenkt. Dann wurde das Paket zerstückelt und an verschiedene Investoren verkauft. Deren Pläne klingen vielversprechend: Wohnungen, Sport-, Spiel- und Freizeiteinrichtungen, Jugendgästehaus, Eventcenter – doch passiert ist bisher nichts. Über die Gründe wird viel gemunkelt: der schlechte Zustand der Gebäude, falsche Kalkulation, Bodenspekulation und nicht zuletzt die zuständige Nachbargemeinde Binz, die sich als nobelstes Seebad der Insel sieht und lange Zeit Konkurrenz für die Auslastung ihrer eigenen Urlauberbetten fürchtete.

Bei Block V, den der Landkreis Rügen im Jahr 2004 für einen Euro erwarb, sollte alles besser laufen. Im gleichen Jahr schrieb das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) einen Wettbewerb aus, den das Rotterdamer Büro Kempe Thill gewann (Bauwelt 10 und 12.04). Ihr Vorschlag: die Innenraumproportionen und durchgehenden Flure erhalten, mit neuen, fassadenbündigen Fenstern die modernen Ansätze weiterdenken. Die Architekten sind bekannt für pragmatisches Planen mit knappem Budget, sie hätten in Prora architektonische Maßstäbe setzen können. Doch auch hier sahen die Politiker andere Prioritäten. Fehlende Mittel verlangten immer neue Planänderungen und den Verzicht auf ganze Gebäudeteile. Das BBR als Vermittler zog sich zurück, die energetischen Anforderungen stiegen, die Denkmalpflege beurteilte plötzlich neu. Nicht zuletzt hatte der Landkreis Rügen, dem die Bauherrenschaft übertragen wurde, keine Erfahrung im Umgang mit einem derart großen Projekt. Architekten und Bauherr entzweiten sich. Auf halbem Weg wurden die Planungsleistungen neu ausgeschrieben. Das Büro RDS Partner aus Hattingen, das vor allem im Krankenhausbau aktiv ist, erhielt den Zuschlag. Ob das Resultat überzeugen kann?

Aus Grau Bunt machen

Wir sind zunächst angenehm überrascht. Das einstmals roh verziegelte letzte Ende von Block V wirkt mit seiner neuen graugrünen Putzfassade wie frisch gewaschen. Eine breite Freitreppe führt direkt in den ersten Stock. KdF-Architekt Clemens Klotz (1886–1969) hatte hier die sogenannte „Rue Interieur“ vorgesehen, die sich über die ganze Länge des Gebäudes zieht und die nun auf vier Meter Breite und 145 Meter Länge erlebbar ist. Keine einzige Feuertür trennt diese Achse, dank der Sprinkleranlage, die unter der weiß getünchten Rohbaudecke angeschraubt ist. Die weißen Wände und Fenster machen die Gänge angenehm hell, der wischfeste Linoleumboden schimmert mattgrau. Eine Atmosphäre zwischen Schule, Krankenhaus und Wohnheim hängt im Raum. Dennis Brosseit, der gut gelaunte 38-jährige Herbergsleiter, begrüßt uns an der Rezeption. Zuvor hat er auf Mallorca ein Hotel geführt. „Man hat mir hier 45 Hektar Freiraum gegeben“, sagt er, „welche Jugendherberge hat das schon? Ich will aus Grau Bunt machen.“

Ein Farbsystem unterscheidet die vier Etagen, durch die er uns führt, rot, gelb, grün und blau gestrichen sind die Brüstungen der Treppenhäuser, die mit ihrer Steinmauerung erhalten geblieben sind und zur Absturzsicherung stählerne Ergänzungen erhalten haben. Die Ausstattung der Zimmer ist robust, stoßkantenfrei – und eben bunt. Die meisten Zimmer verfügen über Toilette und Bad. „Hotelstandard mit Etagenbetten“, nennt es Brosseit. Die vergrößerten Fenster bringen viel Licht in die niedrigen Räume, die tief liegende Brüstung ist mit einem gewollt schräg gestalteten Gitter gesichert. Der Denkmalschutz hat jedes Fenster entsprechend den unterschiedlich großen Öffnungen einzeln anfertigen lassen, außen Aluminium, innen Holz. Ein Aufwand, den man nicht sieht. Das Gute an der Jugendherberge, dieser Mischung aus originellen Ideen und Standardlösungen, aus denkmalpflegerischem Anspruch und Sparmaßnahmen: In Prora übernachten jetzt täglich 400 Menschen, die sich ein Hotelzimmer in Binz nie leisten könnten.

Gefragt nach Spuren der Vergangenheit verweist Brosseit auf die angrenzende Ruine, die er mit bunten Bildern hat verhängen lassen. In zwei Jahren soll hier das Prora-Zentrum einziehen, das von der Landeszentrale für politische Bildung gefördert wird und sich der Bildungsarbeit verschrieben hat. Auch ein Konferenzbereich ist geplant. Aber jetzt müsse erst einmal gut gewirtschaftet werden, denn das oberste Geschoss harrt noch im Rohbauzustand der ersten Erweiterung des Herbergsbetriebs.



Fakten
Architekten RDS Partner, Hattingen; Atelier Kempe Thill, Rotterdam
Adresse Mukraner Straße, 18609 Binz


aus Bauwelt 32.2011
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